# taz.de -- Spielfilm „Das freiwillige Jahr“ im Kino: Revolte der Tochter g… | |
> Der Film „Das freiwillige Jahr“ von Ulrich Köhler und Henner Winckler | |
> erkundet juvenile Gefühlswelten. Das tut er authentisch und unprätentiös. | |
Bild: Die Tochter Jette (Maj-Britt Klenke) entdeckt ihren eigenen Kopf | |
Im neuen Film von Ulrich Köhler und [1][Henner Winckler] will eine junge | |
Frau weg von ihrem Vater. Manchmal will sie es auch nicht. Im Grunde aber | |
doch. Die Frage ist die nach den Bedingungen des Zusammenlebens und | |
Auseinandergehens innerhalb einer kleinen Familie ohne Mutter: Was auch | |
immer passiert, für Jette soll das Leben nicht länger so laufen, wie es der | |
Papa Urs geplant hat. Der vermeintlich pubertäre Ausbruch steht zu Beginn, | |
dann müssen alle den Folgen ins Gesicht sehen. | |
„Kommst du?“, meint Urs gleich zu Beginn – Winckler und Köhler vergeuden… | |
dem ersten Moment keine Zeit und gehen direkt in die Situationen. Doch erst | |
später werden die Prämissen klar: Der Urs hatte kürzlich die Idee, Jette | |
für „Das freiwillige Jahr“ nach Costa Rica zu schicken, damit sie einem | |
befreundeten Arzt im Krankenhaus zur Hand geht. | |
Freiwillig jedoch fühlt sich die geplante Zeit im Ausland für Jette so gar | |
nicht an. Also tut sie, was Teenager in Filmen gerne tun. Sie widersetzt | |
sich. Und schnell zeigt sich, dass ihrem Aufstand weitere folgen könnten. | |
Weil sie in einer Situation lebt, die sich kaum ertragen lässt. Was fehlt, | |
ist im Grunde ihr Coming-out: Noch realisiert niemand so recht, dass sie | |
ihren eigenen Kopf hat. Und Urs der Vater, Urs der Mann, Urs der Dorfarzt: | |
Er will bestimmen und kontrollieren, die Welt und seine Tochter unter | |
Kontrolle halten. | |
Und direkt geht’s ab ins Auto, rastlos auf den Weg zum Flieger. Noch kurz | |
die Kamera holen beim Bruder. Der ist Alkoholiker, betont Urs, obwohl seine | |
Tochter das längst weiß. Weil er im Recht sein will, integer sein will. | |
Weil er betonen will, das sein und das Leben von Jette richtig laufen und | |
das der anderen in der Regel falsch ist – oder zumindest weniger richtig. | |
Die Kamera beim Bruder zu holen, wird eine Herausforderung, so wie viele | |
der schrägen bis aufwühlenden Hürden, über die die Figuren im Film durch | |
ein unerbittliches, entschlossen-komisches Drehbuch getrieben werden. Eine | |
gemäßigte Routine, der träge Frieden des Alltäglichen: Im Leben von Urs und | |
Jette dürfen sie über knapp neunzig Filmminuten keine Rolle spielen. | |
## Wappentier der Sturköpfe | |
Als Urs zu Beginn ruft, sitzt Jette übrigens im Garten mit einem kleinen | |
Esel, den er sich neben dem Haus hält. Der Esel im Garten ist natürlich ein | |
Vorbote, das Wappentier der Sturköpfe. Es braucht keine kompliziertere | |
Metapher. Denn Eseln und Sturköpfen dabei zuzusehen, wie sie sich | |
verweigern, beharren und beschweren, das macht zumindest im Kino und im | |
Zirkus meistens irgendwie Spaß. | |
[2][Als sturer, obsessiver Urs gibt Sebastian Rudolph einen tragischen | |
Clown], der das Lachen aus seinen Gegenteilen heraus erkundet, nie düster | |
wird, immer unangenehm nah am Nervenzusammenbruch tänzelt und mit seiner | |
tollpatschigen Verletzlichkeit und Wärme keinen Umgang findet. Und so gibt | |
sich auch das „Das freiwillige Jahr“ als Komödie, deren Rastlosigkeit und | |
psychologische Aufgewühltheit heitere Zuschreibungen immer wieder auch | |
zielsicher abprallen lässt. | |
In der Nacht schleichen sich die großen Fragen ein und ein Sinn dafür, dass | |
die filmische Welt hier nicht naturalistisch sein müsste, sondern es aus | |
einer Entscheidung heraus geworden ist. Einmal begegnen der Gartenesel und | |
ein Artgenosse etwa einer Herde von Schafen, während Urs alleine ist und | |
sich nach seiner Tochter sehnt. Die Mitte des Films, ein Innehalten. Die | |
Revolte der Tochter gegen den Vater ist dann schon passiert. Ein | |
Kirchenchor tönt, weil Urs mit Musik besser schläft, das Geträller überhöht | |
die Szene halb ironisch zum Gleichnis. | |
## Sie hat es nicht anders gelernt | |
Herdentiere zu sein, das scheinen sowohl der Vater als auch die Tochter | |
wenig erstrebenswert zu finden. Doch lieber exzentrisch bis zum Bruch? Er | |
hat es ihr beigebracht, wie aus Versehen. Sie hat es nicht anders gelernt. | |
Doch beide haben sie den eigenen Freiheitsbegriff nicht so recht unter | |
Kontrolle. Die Verhandlungen gestalten sich schwierig. | |
Eine andere Nacht: Jette und ihr Freund Mario im Auto, auf der Flucht vor | |
der Zukunft und doch auch halb entschlossen, diese miteinander zu | |
beschreiten. Es ist dunkel, sie lieben sich, Marios Tattoo fällt auf. | |
Raketen von der Mitte seines Herzens, hinauspreschend in den offenen Raum, | |
mit noch unbekanntem Ziel. | |
Der Film spricht sich für eine Gefühlswelt aus, die sich nicht im Zaum | |
halten will, in die Entfaltung strebt. Die zwei jungen Leute spielen in | |
ihren gemeinsamen Szenen miteinander eine Authentizität, als gäbe es im | |
deutschen Kino kein Overacting. | |
Der Morgen kommt in diesem Film immer wieder, unerbittlich: Wenn Maj-Britt | |
Klenke als Jette und Thomas Schubert (Mario) bald wieder auf Sebastian | |
Rudolph als wahnsinnigen Vater treffen, wenn sich deren Spielweisen in der | |
unprätentiösen Bildsprache des Films aufs Deutlichste begegnen, wirkt es | |
mitunter erneut, als stünden sich da eben Esel und Esel gegenüber. Bei den | |
Menschen ergibt sich das Gleichnis auch ohne Choral. | |
5 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Dennis Vetter | |
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Christian Petzold | |
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