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# taz.de -- Nach dem Brexit: Barnier und Johnson im Fernduell
> Brüssel will die britische Einhaltung von EU-Regeln als Preis für ein
> Handelsabkommen. London will Freihandel ohne Bedingungen.
Bild: Auch darüber wird noch gestritten werden: London beherbergt 80 Prozent d…
BRÜSSEL/BERLIN taz | Der Brexit ist erst wenige Tage alt, doch der Graben
[1][zwischen der Europäischen Union] und Großbritannien wird schon tiefer.
Denn nach dem Austritt steht [2][die Klärung der zukünftigen Beziehungen]
zwischen der EU und dem neuen Drittstaat Großbritannien auf der
Tagesordnung – und da kracht es ordentlich, schon bevor förmliche Gespräche
überhaupt begonnen haben.
EU-Verhandlungsführer Michel Barnier forderte bei der Präsentation des
Vorschlags der EU-Kommission für das Verhandlungsmandat am Montag in
Brüssel die Briten auf, sich auch künftig an EU-Regeln zu halten – doch der
britische Premier Boris Johnson wies dies in London vehement zurück.
„Ich sehe keine Notwendigkeit, uns an die EU zu binden“, sagte Johnson in
seiner ersten Grundsatzrede nach dem Brexit im prächtigen Greenwich Naval
College am östlichen Rand der Hauptstadt. „Wir werden die vollständige
souveräne Kontrolle über unsere Grenzen, über Einwanderung, Wettbewerb,
Subventionsregelungen, Lieferungen, Datenschutz wieder herstellen.“
Demgegenüber betonte Barnier, dass die EU-Regeln das Maß aller Dinge seien.
Er bot den Briten ein umfassendes Handelsabkommen an. Die EU sei bereit,
bei sämtlichen Waren auf Zölle und Quoten zu verzichten – dafür müsse sich
Großbritannien aber zu einem „offenen und fairen“ Wettbewerb bekennen und
Dumping vermeiden. London müsse ein „Level playing field“ – also gleiche
Bedingungen – in der Handels-, Steuer, Sozial- und Umweltpolitik einhalten
und EU-Gerichte als letzte Schiedsinstanz anerkennen.
## Wer hat die höheren Standards?
Johnson machte sich über diesen Ansatz lustig. Großbritannien verlange von
der EU ja auch nicht, sich an britische Regeln zu halten, sagte er und
betonte zugleich: „Wir verlassen die EU nicht, um EU-Standards zu
untergraben. Wir werden kein Dumping in irgendeiner Form betreiben […] Das
Vereinigte Königreich wird die besten, teilweise die besseren Standards,
ohne den Zwang eines Vertrages einhalten.“ Schließlich seien zahlreiche
britische Standards höher als in der EU oder seien Vorreiter für Europa
gewesen.
Als Beispiele nannte der Premier die bezahlte Elternzeit, das Recht auf
flexible Arbeitszeiten, das Verbot der Boxenhaltung für Kälber, das scharfe
Elfenbeinverbot sowie den Umstand, dass Großbritannien sich als erstes
europäisches Land zur CO2-Neutralität bis 2050 verpflichtete. Der britische
Mindestlohn sei höher als in den meisten EU-Ländern, auch das Plastikverbot
gehe weiter als auf dem Kontinent.
Johnson strebt mit der EU ein Abkommen nach dem Vorbild von Kanada an. Für
[3][den sogenannten Ceta-Deal] hat die EU allerdings sieben Jahre
gebraucht, Johnson hat nur elf Monate Zeit – er will die Verhandlungen mit
Brüssel rechtzeitig zum Ende der Brexit-Übergangsfrist am 31. Dezember
abschließen.
Alternativ könne er sich auch einen Deal vorstellen, wie ihn Australien
hat, sagte Johnson. Doch das stößt in Brüssel auf Unverständnis – denn mit
Australien hat die EU gar kein Handelsabkommen. „Das heißt No Deal“, sagte
Bernd Lange, der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europaparlament.
Johnsons Ziel sei „ völlig absurd“.
## Auf Konfrontationskurs
In Greenwich positionierte sich der britische Premier als Hüter des
globalen Freihandels. „Die Protektionisten sind auf dem Vormarsch von
Brüssel über Beijing bis Washington“, warnte Johnson und kritisierte, Zölle
würden neuerdings „wie Keulen“ als Waffe eingesetzt.
Den Briten gehe es nach dem Brexit nicht einfach um traditionelle
Exportschlager – „[4][Tee nach China, Schokoladenkuchen nach Frankreich],
Fernsehantennen nach Südkorea, Nigel Farage nach Amerika“ –, sondern um den
„Zauber“ des Freihandels nachdem man „aus Jahrzehnten des Winterschlafs
wieder aufgewacht“ sei.
Nun sind Brüssel und London auf Konfrontationskurs – dabei haben sie sich
nach der Scheidung am 31. Januar ewige Freundschaft geschworen. Und die
Verhandlungen über die künftigen Beziehungen haben noch nicht einmal
begonnen. Die 27 verbleibenden EU-Länder müssen erst noch Barniers
Verhandlungsmandat absegnen.
Das kann noch bis Ende Februar oder Anfang März dauern. Danach will Barnier
aufs Tempo drücken und zwölf Themenfelder parallel verhandeln. Als
übergreifende Kapitel nannte er Wirtschaft und Handel, innere und äußere
Sicherheit sowie „Governance“, wozu Sanktionen gegen mögliche Verstöße
zählen sollen.
## „Kein business as usual“
Als erster, handfester Streitpunkt zeichnet sich die Fischereipolitik ab.
Barnier forderte weiter ungehinderten Zugang zu britischen Gewässern für
die Fischereiflotten der EU. Es werde kein Handelsabkommen mit
Großbritannien geben, „wenn es kein gegenseitiges Zugangsabkommen für
unsere Fischer gibt“, sagte der Franzose.
„Die britischen Fischgründe gehören zuallererst uns“, erwiderte Johnson u…
führte aus, wie er sich das vorstellt: „Es wird jährliche Verhandlungen mit
der EU auf der Grundlage der neuesten wissenschaftlichen Daten geben, um
sicherzustellen, dass die britischen Fischereigründe in erster Linie für
britische Fischer da sind.“
Für ein umfassendes Abkommen werde man mehr als elf Monate brauchen, warnte
Barnier. Bürger und Unternehmen sollten sich schon jetzt darauf einstellen,
dass es nach dem 31. Dezember „kein business as usual“ mehr geben werde.
„Wir werden auf jeden Fall Änderungen und Kontrollen sehen“, sagt er. Auch
ein „No Deal“ mit massiven Behinderungen für die Wirtschaft sei nicht
ausgeschlossen. Auch in einem solchen Fall bleiben allerdings die
Vereinbarungen des bestehenden Brexit-Deals, beispielsweise zu Nordirland
und zu den Bürgerrechten, bestehen.
Er werde sich nicht von vollmundigen Erklärungen aus London beeindrucken
lassen, sagte Barnier auf Nachfragen von Journalisten. „Ich gehe davon aus,
dass Johnson sich an den Austrittsvertrag hält.“ Darin war bereits das von
der EU gewünschte „Level playing field“ enthalten – allerdings nur in der
rechtsunverbindlichen „politischen Erklärung“. Ein neues Spiel beginnt. Es
könnte ruppig werden.
3 Feb 2020
## LINKS
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[3] /Gastkommentar-EuGH-Urteil-zu-Ceta/!5590065
[4] /Essen-nach-dem-Brexit/!5659050
## AUTOREN
Eric Bonse
Dominic Johnson
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