# taz.de -- Tattoo-Farben vor Verbot: Am Ende des Regenbogens | |
> Zwei Farbpigmente, die häufig Einsatz in Tattoofarben finden, könnten | |
> verboten werden. Tätowierte und Tattoo-Industrie sind verunsichert. | |
Bild: Je bunter die Tattoo-Farben, umso wahrscheinlich sind beigemischte kupfer… | |
Aufregung in der Tattoo-Industrie: Mehr als 130.000 Menschen haben sich | |
bereits an einer [1][Petition zur Rettung der Tattoofarben] beteiligt. | |
Tattoo Artists fürchten um ihre Existenz. Und Tätowierte fragen sich, ob | |
sie sich Gift in die Haut gestochen haben. Der Grund ist ein [2][von der | |
European Chemicals Agency (ECHA) geplantes Verbot zweier Farbpigmente], die | |
auch für Tattoofarben verwendet werden. Die Diskussion zeigt vor allem | |
eines: Im Tattoo-Business sind viele Dinge schlicht nicht geregelt. | |
Beim Tätowieren bohren sich, je nach Art des Motivs, mehrere Nadeln bis zu | |
3.000-mal pro Minute in die Haut. Die obere Hautschicht, die Epidermis, | |
wird durchstochen, und die Farbe lagert sich in der darunterliegenden | |
Lederhaut, der Dermis, ab. Es handelt sich also lediglich um eine | |
oberflächliche Verletzung der Haut. Aus diesem Grund kann auch jeder | |
Tätowierer*in werden. Eine Maschine und ein Gewerbeschein – der allergrößte | |
Teil der Tätowierer*innen ist selbstständig – genügen, um Menschen unter | |
die Haut gehen zu dürfen. | |
Es gibt keine offizielle Ausbildung, es müssen keine Hygienekurse | |
absolviert werden. Ebenso gibt es kaum Verordnungen, Regularien oder | |
Gesetze, die sich speziell auf das Tätowieren beziehen – vielmehr finden | |
die Regelungen der Kosmetikindustrie Anwendung. Dort geltende Verbote | |
gelten entsprechend. | |
Genau damit hat es zu tun, dass die Pigmente „Blau 15“ und „Grün 7“ nun | |
verboten werden sollen. Die ECHA hat den Antrag eingebracht, den Einsatz | |
dieser beiden Pigmente zu beschränken. Die Begründung: „Diese beiden | |
Pigmente wurden durch die Kosmetik-Produkt-Regulation bereits beschränkt. | |
Und wenn sie nicht mehr auf der Haut erlaubt sind, sollten sie auch nicht | |
in der Haut erlaubt sein.“ Diese Entscheidung ist in einer veröffentlichten | |
Liste der Europäischen Kommission zu finden. Beide Pigmente werden dort | |
jedoch nicht generell verboten, sondern nur in Haarfärbeprodukten. | |
## Ungeklärtes Risiko | |
In der Veröffentlichung der ECHA, in der diese Verbote nun auf Tattoofarben | |
und auch Permanent-Make-Up ausgeweitet werden sollen, heißt es: „Die | |
Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem Risiko-Profil und dem Schicksal der | |
Pigmente, sobald sie injiziert wurden, sind zu groß, um im Moment eine | |
sichere Risiko-Einschätzung abgeben zu können.“ Kurzum: Man könne nicht | |
sagen, ob diese Farbpigmente in der Tattoofarbe gefährlich für den Menschen | |
sind, darum sollen sie verboten werden. Weiter heißt es: „Weitere | |
Einschätzung ist empfohlen, sobald mehr toxikologische Daten vorliegen.“ | |
Ein Verbot bis auf Weiteres also. | |
Im Detail geht es um die Kupferbestandteile der genannten Farbpigmente. | |
Diese seien „sehr resistent gegen Zersetzungsprozesse“ des Körpers. Genau | |
aus diesem Grund werden sie ja auch für Tattoofarbe eingesetzt: Sie sollen | |
für immer in der Haut bleiben und nicht vom Körper abgebaut werden. Hier | |
kann also durchaus ein gesundheitliches Risiko bestehen. | |
Wühlt man sich durch den Wust von EU-Regulationen, wird klar, dass diese | |
Verbote vor allem mangels Forschungserkenntnissen in Bezug auf | |
Tätowierungen ausgesprochen werden sollen. Das Wissen aus der | |
Kosmetikindustrie wird einfach auf Tattoos übertragen. Auch eine Nachfrage | |
beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ist nicht ergiebig. Dieses | |
verweist lediglich auf [3][ein FAQ zu Tätowiermitteln], das zuletzt im | |
September 2019 aktualisiert wurde. Auch hier heißt es, dass das mit der | |
Verwendung von Tattoofarbe verbundene Risiko nicht endgültig abgeschätzt | |
werden kann: „Eine Positivliste mit gesundheitlich unbedenklichen Farben | |
existiert bisher mangels aussagekräftiger wissenschaftlicher Daten nicht.“ | |
Es ist also nicht verwunderlich, dass sich große Teile der Tattoo-Industrie | |
ärgern. In der Petition, die sich gegen das Verbot der beiden Pigmente | |
ausspricht und die dem Deutschen Bundestag vorgelegt werden soll, heißt es: | |
„Wir wollen und können mit keiner anderen Branche oder Nischengewerben in | |
einen Topf geworfen werden.“ Unterstützt wird dieser Aufruf von den | |
Tattoo-Verbänden DOT E. V. und dem Bundesverband-Tattoo. | |
Nun mag sich der Tattoofan vielleicht denken, dass das Verbot zweier | |
Farbpigmente keine großen Auswirkungen haben dürfte. Doch dem ist nicht so. | |
Denn die beiden Pigmente werden in über 60 Prozent der aktuell | |
hergestellten Tattoofarben verwendet. Ein Verbot würde das Spektrum von | |
tätowierbaren Farben also stark einschränken. „Ohne Farben kann und will | |
ich nicht tätowieren“, sagt Myra Brodsky. | |
Die 32-Jährige arbeitet seit 13 Jahren als Tätowiererin und ist derzeit im | |
Berliner Studio „Brust oder Keule“ tätig. Zuvor hat sie einige Jahre in New | |
York gelebt und gearbeitet. Myra kreiert ausschließlich Farbtattoos. | |
„Menschen entscheiden sich freiwillig für Tattoos. Es ist eines der wenigen | |
Dinge im Leben, bei denen es nicht vorrangig um das Wohlbefinden geht“, | |
findet sie, auch wenn sie in ihrer Karriere als Tätowiererin noch nie | |
erlebt habe, dass jemand körperliche Probleme durch Tattoofarbe bekommen | |
hat. „Sollte dieses Verbot wirklich kommen, müsste ich mir überlegen, | |
wieder in ein Land zu ziehen, in dem das Verbot nicht existiert“, sagt sie. | |
Auch wenn sie sich gerade gut in Berlin eingelebt habe und hier gerne | |
arbeite. „Wie viele würden wohl ihren Job dadurch verlieren? Wie viele | |
Läden müssten dichtmachen?“, fragt sie sich. | |
Auf Nachfrage, auf welche Farben Tattoo Artists denn stattdessen | |
zurückgreifen könnten beziehungsweise wie sie mit einem Verbot umgehen | |
sollten, sagten sowohl das EfR als auch die ECHA, dass sie keine | |
Empfehlungen aussprechen. Es sei die Aufgabe der Industrie, das Verbot | |
umzusetzen. | |
## Angst vor Illegalisierung | |
„Wie soll so ein Verbot funktionieren? Können angefangene Tattoos dann | |
nicht mehr fertiggestellt werden? Laufen dann Menschen mit halb fertigen | |
Tattoos rum?“, fragt sich Philipp Hennermann. Der 31-Jährige tätowiert seit | |
zehn Jahren und betreibt seit fünf Jahren sein eigenes Studio in Berlin mit | |
dem Namen „Unter der Hand“. Er selbst tätowiert nur mit Schwarztönen, wä… | |
also nicht betroffen, fragt aber: „Müssen Tätowier*innen dann anfangen, | |
sich illegal Farben zu beschaffen? Aus dem Ausland?“ Er befürchtet, dass | |
die Tattoo-Industrie wieder ins Halbillegale abdriftet. „Die ganzen | |
Bemühungen, da rauszukommen, wären dann umsonst“, fürchtet er. Auch er | |
findet es bedenklich, dass es keine Zuständigkeiten speziell für die | |
Tattoo-Industrie gibt. „Tätowieren fällt unter den Tisch, das ist typisch | |
und nicht mehr zeitgemäß.“ | |
Die ECHA sagt auf Nachfrage, dass das Dossier mit dem Verbotsvorschlag | |
derzeit der Europäischen Kommission vorliege. Dort müsse nun entschieden | |
werden. Danach sei es die Aufgabe der Industrie, dieser Richtlinie zu | |
folgen – es dürften also keine Farben mehr hergestellt werden, die | |
verbotene Farbpigmente enthalten. Dann wäre es also an den Herstellern von | |
Farben, das Risiko einer gesundheitlichen Schädigung zu vermindern. Es | |
gälte, neue Farben zu erforschen, die ohne diese Pigmente auskommen. Doch | |
werden diese Farben zu großen Teilen außerhalb der EU hergestellt und wären | |
damit von dem Verbot nicht direkt betroffen. Die oft genutzte Marke | |
„Eternal Ink“ etwa wird in den USA hergestellt. Ein Anruf am deutschen Sitz | |
der Firma in Günzburg ergab nur, dass man erwarte, dass sich der | |
Verbotsantrag wohl hinziehen werde, man auf die Petition hoffe und | |
ansonsten noch nicht sagen könne, wie man mit der Situation umgehen werde. | |
Das Farbverbot in den Studios müsste durch die einzelnen Mitgliedsstaaten | |
durchgesetzt werden. „Dürfen wir dann also bald mit Kontrollen in den Läden | |
rechnen?“, fragt sich Philipp Hennermann. Bisher sei er kein Mitglied in | |
einem Branchenverband, das wolle er nun jedoch ändern. | |
Wahrscheinlich ist, dass selbst ein Verbot der beiden Pigmente den Trend | |
zur Tätowierung nicht stoppen wird: Eine neue Studie ergab, dass jede*r | |
Fünfte in Deutschland inzwischen ein Tattoo trägt. Gesundheitsgefährdende | |
Stoffe müssen verboten werden. Doch scheint es derzeit, als würden diese | |
Verbote schon ausgesprochen, bevor die Untersuchungen überhaupt | |
abgeschlossen sind. Eine Protestbewegung bunt tätowierter Menschen | |
jedenfalls dürfte auffallen – und könnte vielleicht sogar etwas ändern an | |
dem Umstand, dass die Tattoo-Industrie kaum wahrgenommen wird. | |
7 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.openpetition.de/petition/online/tattoofarbenretten-2020 | |
[2] https://echa.europa.eu/de/hot-topics/tattoo-inks | |
[3] https://www.bfr.bund.de/de/fragen_und_antworten_zu_taetowiermitteln-187854.… | |
## AUTOREN | |
Matthias Kreienbrink | |
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