# taz.de -- Regierungskrise in der Ukraine: Premier schmeißt hin | |
> Alexej Gontscharuk reicht sein Rücktrittsgesuch ein – beim Präsidenten. | |
> Über den soll er in einem vertraulichen Gespräch hergezogen sein. | |
Bild: War's das schon als Regierungschef? Alexej Gontscharuk am Freitag im Parl… | |
KIEW taz | Der ukrainische Regierungschef [1][Alexej Gontscharuk] hat | |
seinen Rücktritt eingereicht. Dem Gesuch war die Veröffentlichung eines | |
vertraulichen Gesprächs vorausgegangen, in dessen Verlauf sich Gontscharuk | |
wenig loyal über den [2][ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski] | |
geäußert hatte. | |
Der Präsident, so Gontscharuk bei diesem Gespräch, habe ein „primitives | |
Verständnis ökonomischer Prozesse“, die Wirtschaft werde von Gefolgsleuten | |
des US-amerikanischen Milliardärs George Soros kaputt gemacht, und | |
überhaupt habe auch er selbst von Wirtschaft nicht viel Ahnung. | |
Auf seiner Facebook-Seite beteuerte Gontscharuk am Freitag Vormittag seine | |
Loyalität gegenüber dem Präsidenten. Dieser stehe für Offenheit und | |
Aufrichtigkeit. Sein Rücktrittsgesuch habe er verfasst, weil er jegliche | |
Zweifel an seinem Respekt und seinem Vertrauen gegenüber dem Präsidenten | |
ausräumen wolle. „Ich habe mein Amt angetreten, um das Programm des | |
Präsidenten umzusetzen“, verteidigt er seine Arbeit. Der Präsident sei ein | |
Mensch, der volles Vertrauen verdiene. | |
Mit keinem Wort geht Gontscharuk auf die Frage ein, ob die | |
Gesprächsmitschnitte authentisch sind. Beobachter wundern sich, dass der | |
Premier sein Rücktrittsgesuch ausgerechnet an den Präsidenten gerichtet | |
habe. | |
## Wenig Ahnung | |
Eigentlich habe der Premier, ein ausgebildeter Jurist, doch wissen müssen, | |
dass nicht der Präsident, sondern das Parlament über ein Rücktrittsgesuch | |
des Premiers zu entscheiden habe, merkt der Journalist Oleksii Bratushchak | |
auf seiner Facebook-Seite an. Oder könne es sein, dass der Premier nicht | |
nur von Wirtschaft wenig Ahnung habe, sondern auch von Recht, fragt | |
Bratushchak süffisant. | |
Ähnlich sieht dies Irina Geraschtschenko, Ko-Vorsitzende der | |
Oppositionspartei „Europäische Solidarität“. Dies verstoße gegen die | |
Verfassung, so Geraschtschenko. Schließlich lebe man ja nicht in Russland, | |
wo der Präsident entscheide, wer Premierminister sei. | |
Und der ehemalige Verteidigungsminister Anatolij Hryzenko glaubt nicht, | |
dass Gontscharuk wirklich zurücktreten will. In diesem Fall hätte er sicher | |
das Rücktrittsgesuch an die richtige Adresse geschickt, zitiert das | |
Newsportal Zerkalo Nedeli den ehemaligen Minister. „Wenn Sie mal Probleme | |
mit Ihrem Arbeitgeber haben“, schreibt der Blogger Roman Schrajk, „dann | |
schicken Sie Ihre Kündigung nicht Ihrem Arbeitgeber, sondern dem | |
ukrainischen Präsidenten“. | |
Das Rücktrittsgesuch von Gontscharuk dürfte dem Präsidenten sehr ungelegen | |
kommen. Tatsächlich darf er den Premier nicht entlassen. Dies kann nur das | |
Parlament tun. Und da wiederum gilt eine Schonzeit von zwölf Monaten für | |
eine neue Regierung. | |
## Wenig vertrauenerweckend | |
Erst ein Jahr nach der ersten Regierungserklärung, so die ukrainische | |
Verfassung, darf das Parlament eine Regierung entlassen. In einer Woche | |
starte der Wirtschaftsgipfel in Davos, zitiert Zerkalo Nedeli die | |
Journalistin Christina Berdinskich. Und vertrauenerweckend sei es gegenüber | |
potenziellen Investoren nicht, wenn die Ukraine zu diesem Zeitpunkt keinen | |
Premierminister habe. | |
Auch vor dem Hintergrund weiterer Rücktritte und Entlassungen käme ein | |
Rücktritt des Premiers ungelegen: Ebenfalls am Freitag entließ das | |
Parlament den Vorsitzenden des auswärtigen Ausschusses Bogdan Jaremenko. | |
Journalisten hatten gefilmt, wie er in einer Parlamentssitzung mit einer | |
Prostituierten gechattet hatte. | |
In einem letzten Amtsakt vor seinem Rücktrittsgesuch hatte Premier | |
Gontscharuk am Donnerstag Denis Schmygal zum neuen Minister für die | |
Entwicklung der Regionen ernannt. Unbequeme Fragen von Parlamentariern hat | |
die Regierung indes vorerst nicht zu befürchten. Am Freitag vertragte sich | |
die Rada bis zum 4. Februar. | |
17 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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