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# taz.de -- Demogeld für Protest in der Ukraine: Ein Tag bringt 15 Euro
> In Kiew protestiern 2.000 Menschen vor der Nationalbank – dafür werden
> die Protestler teils bezahlt. Edler Spender soll der Oligarch Kolomojskyj
> sein.
Bild: Demonstranten vor der der Nationalbank in Kiew – für viele ist das ein…
Kiew taz | Wer diese Tage in der ukrainischen Hauptstadt Kiew vom Platz der
Unabhängigkeit, dem Maidan, die „Straße der himmlischen Hundert“, auf der
vor fünf Jahren Dutzende von Demonstranten erschossen worden sind, zur
Nationalbank hochgeht, stößt auf ein Meeting von über 2.000 Menschen.
Ungefähr die Hälfte von ihnen trägt orange Westen.
Eine Guillotine und der Kopf eines toten Schweines auf der Bühne sollen die
Ernsthaftigkeit der Antikorruptionsbewegung unterstreichen. Auf Plakaten
fordern sie den Rücktritt des Chefs der ukrainischen Nationalbank, Yakiw
Smolii. „Smolii hinter Gitter!“, „Banditen, verpisst euch“, rufen die
Demonstranten immer wieder.
Und es scheint, als richteten sich die Protestierenden auf eine längere
Zeit ein. Für das leibliche Wohl sorgt eine mobile Teeküche. In den Pausen
halten Chöre oder auch Blasorchester die müden Demonstrierenden bei Laune.
„Nennen Sie mich einfach Maxim Sche Sche Ruch, die drei letzten Worte
stehen für,Bewegung der gelben Westen'“ sagt der Demonstrant, der ebenfalls
solch ein grell farbiges Kleidungsstück trägt. Er selbst habe bei der
Schließung einer kleinen Bank seine gesamten Einlagen verloren. Schuld an
dieser Misere, so Maxim, seien die korrupte Nationalbank und der IWF.
## Weder Wut noch Begeisterung
Doch Maxim in seiner Weste und mit seiner antikapitalistischen Rhetorik
scheint hier eher eine Ausnahmeerscheinung zu sein. Begeisterung oder gar
Wut sind auf den Gesichtern der anderen Teilnehmer nicht zu erkennen. Viele
sind von den zwei Wochen auf der Straße erschöpft.
Ukrainischen Medien zufolge ist ein Großteil der Demonstrierenden bei
Betrieben angestellt, die von dem Oligarchen [1][Ihor Kolomojskyj], einem
der reichsten Männer in der Ukraine, kontrolliert werden. Kolomojskyj
unterhält seit Langem beste Beziehungen zu [2][Wolodimir Selenski], der
seit Mai 2019 Präsident der Ukraine ist.
Die Demonstranten geben sich gar keine Mühe zu verbergen, für wen sie
arbeiten. „AT NZF“ steht in großen Lettern auf ihren orangefarbenen Westen.
Das sind die Kürzel der Nikopoler Eisenlegierungsfabrik. Und deren
Mehrheitseigner heißt Ihor Kolomojskyj.
Die Nationalbank sieht Ihor Kolomojskyj hinter diesen Protesten. Dieser
schulde dem Staat, so der Vorstand der Nationalbank, 5,5 Milliarden Dollar.
In einer Erklärung wirft das Geldinstitut Kolomojskyj vor, mit einer
Kampagne die Nationalbank diskreditieren zu wollen.
## Kampf um Rückgabe
2016 hatte die Ukraine die größte Bank des Landes, die PrivatBank,
verstaatlicht. Seitdem kämpft der damalige Besitzer der PrivatBank, Ihor
Kolomojskyj, für eine Rückgabe der Bank.
Sie fahre jeden Tag über eine Stunde von der U-Bahn-Station Minskaja zur
Demonstration, sagt die Rentnerin Elena. Sie ist vor einigen Jahren von
Nikopol nach Kiew gezogen. Und immer wieder nimmt sie in Kiew an
Kundgebungen teil – gegen Bezahlung.
Sie habe schon für die ehemalige Regierungschefin Julia Timoschenko, den
ehemaligen Präsidenten Petro Poroschenko, den früheren Gouverneur von
Odessa und Michail Saakaschwili sowie für den Oppositionsblock
demonstriert, berichtet sie. Aber so viel, wie dieses Mal, habe sie noch
nie erhalten: 15 Euro am Tag. Bei allen anderen Demonstrationen seien 5
Euro üblich gewesen.
## Kostenlose Übernachtung
Wie viele von den Demonstranten bezahlt werden, weiß sie nicht genau „Wir
sind in Bezugsgruppen organisiert. Wir sind zehn Frauen und wir werden
immer von unserer Brigadierin einen Tag vor der Demonstration angerufen. In
der Regel erfahren wir dann erst vor Ort, zu welchem Thema wir dieses Mal
demonstrieren sollen“ berichtet sie.
Wer aus Saporoschje und Nikopol angekarrt worden sei, erhalte sogar 30 Euro
pro Tag und eine kostenlose Übernachtung nebst Frühstück im Hostel.
Deswegen wird die Rentnerin Elena auch die nächsten Tage vor der
Nationalbank stehen, ein Ende der Korruption und Gefängnis für den Chef der
Nationalbank fordern. Das sagt sie in einem Moment, in dem sie sicher ist,
dass niemand ihrer MitdemonstrantInnen dem Gespräch zuhört.
29 Nov 2019
## LINKS
[1] /Kommunalwahlen-in-der-Ukraine/!5244798
[2] /Die-Ukraine-nach-Selenskis-Wahlsieg/!5638760
## AUTOREN
Bernhard Clasen
## TAGS
Protest
Ihor Kolomojskyj
Wolodymyr Selenskij
Ukraine
Schwerpunkt Korruption
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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Alexej Gontscharuk
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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Ukraine
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