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# taz.de -- Mietendeckel in Berlin: Nur die halbe Miete
> Der Berliner Mietendeckel ist für die Mieter*innen der Stadt eine wahre
> Wohltat. Aber ist damit auch Klimaschutz machbar?
Bild: Kunstaktion des Kollektiv Reflektor Neukölln gegen Verdrängung und Entm…
Thomas B. lebt in einem Berliner Altbau in der [1][Emser Straße 27]. Nicht
durchsaniert, manche Bäder sind gut, andere nicht, die Fenster okay, im
Innenhof stehen Räder. Als das Haus Anfang 2018 den Eigentümer wechselt,
erhält er einen Brief: Es seien umfangreiche Erhaltungs- und
Modernisierungsmaßnahmen erforderlich, insbesondere an der Fassade. Die
Kaltmiete für seine 50-Quadratmeter-Wohnung steige deshalb bald um 2,64
Euro pro Quadratmeter auf 359 Euro – ein Plus von 132 Euro. Außerdem spare
er künftig voraussichtlich 24 Euro Heizkosten monatlich.
An anderen Ecken in Berlin finden sich extremere Beispiele in Sachen
Mieterhöhung: In der [2][Schönhauser Allee 69] klagen Anwohner*innen, ein
neuer Eigentümer plane eine umfangreiche Sanierung und habe angekündigt,
die Miete teils zu verdreifachen. Natürlich gehöre an dem Haus dringend was
gemacht, sagt eine Bewohnerin: „Aber hier geht es nur darum, uns aus
unserem Zuhause zu vertreiben.“
Geschichten wie diese meint der Berliner Senat, wenn er seinen jetzt
verabschiedeten Mietendeckel damit begründet, dass der soziale Frieden in
der Stadt gefährdet sei. Das Gesetz zieht für die Dauer von fünf Jahren
eine absolute Obergrenze für Mieten in Höhe der durchschnittlichen Preise
von Neuvermietungen von 2008 bis 2012. Wessen Miete mehr als 20 Prozent
darüber liegt, der kann nun auf eine Minderung vor Gericht klagen.
Außerdem will der Senat verhindern, dass Investoren Mieter*innen aus
Häusern wegsanieren. Um maximal 1 Euro darf die Miete künftig steigen, wenn
das Haus energetisch saniert oder altersgerecht gemacht wird. Alles darüber
muss genehmigt werden und ist nur drin, wenn es nötig ist, um das Haus zu
erhalten. Hof neu machen, Müllbereich überdachen, Videogegensprechanlage
einbauen, Balkone an der Fassade anbringen, Luxusbäder einbauen, neue
Dielen: alles ist weiterhin möglich, aber nicht auf Kosten der
Mieter*innen.
Eine radikale Idee, mit einem ungewollten Kollateraleffekt: Mit der Umlage
von 1 Euro werden Immobilienbesitzer kaum noch energetisch sanieren. Ronald
Meyer, Chef des Bundesverbandes Gebäudesanierung, sagt: Selbst mit einem
von der bundeseigenen KfW-Bank seit Februar gewährten Zuschuss von 35
Prozent zu den Sanierungskosten hätten Vermieter*innen die Ausgaben nach 20
Jahren nicht eingespielt – unter diesen Bedingungen investiert niemand in
Klimaschutz.
Der Deutsche Mieterbund und der Bundesverband deutscher Wohnungs- und
Immobilienunternehmen (GdW) kommen zum gleichen Ergebnis. Der Berliner
Mietverein befürwortet den Mietendeckel, sieht aber in dem Punkt
Klimaschutz „die Achillesferse“ des Gesetzes. Aus sozialer Sicht gut, aus
Klimasicht nicht.
## Berlin hat die Klimanotlage ausgerufen
Denn Berlin hat im Dezember die „Klimanotlage“ ausgerufen. Der Senat hat
sich vorgenommen, bis 2050 klimaneutral zu werden, bis 2030 sollen die
CO2-Emissionen der Stadt bereits um 60 Prozent sinken – und die Hälfte der
Klimagase entsteht in den Haushalten.
Nach derzeitigem Stand der Dinge wird der Deckel in der Stadt zwar endlich
verhindern, dass Mieter*innen aus ihren Häusern heraussaniert werden. Aber
er wird auch zu einem Einbruch der energetischen Sanierungen von Häusern
führen.
Und trotzdem ist es falsch, der Berliner Landesregierung allein die Schuld
daran in die Schuhe zu schieben. Die liegt genauso bei der Bundesregierung
und denjenigen unter den Immobilienbesitzer*innen, die Modernisierungen
dazu benutzen, weniger betuchte Mieter*innen zu verdrängen. Rolf Bosse
vom Mietverein Hamburg konstatiert: Immobilienbesitzer müssen aus den
laufenden Mieteinnahmen die Instandhaltung des Gebäudes finanzieren, etwa
Fenster, Türen und Fassaden in Schuss halten.
Die Kosten dürfen sie nicht auf die Miete draufschlagen. Die einer
energetischen Sanierung aber sehr wohl. Was oft vorkommt: Im Zuge einer
energetischen Sanierung werden den Vermieter*innen gleich noch die
Instandhaltungskosten auf die Miete draufgeschlagen. So wird Klimaschutz
zum Alibi für ungerechtfertigte Mieterhöhungen.
Doch selbst für ehrliche Immobilienbesitzer ist der eine Euro Umlage, den
der Berliner Mietendeckel zulässt, zu wenig. „Aus Sicht des Klimaschutzes
kommt der Mietendeckel zur Unzeit“, sagt Paula Brandmeyer, stellvertretende
Bereichsleiterin Energie und Klimaschutz bei der Deutschen Umwelthilfe.
Allerdings schränkt sie ein: „Man kann nichts abwürgen, was ohnehin zu
niedrig ist.“ Soll heißen, es müssten bundesweit viel mehr Fenster und
Türen erneuert, Dächer und Keller abgedichtet und Fassaden gedämmt werden.
Ende Januar hat eine ungewöhnliche Allianz aus Verbänden der
Wohnungswirtschaft und dem Deutschen Mieterbund, sonst eher Gegner denn
Verbündete, gemeinsam einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin
geschrieben und gewarnt: Bleibe alles wie vom Klimakabinett geplant, würden
sich „Mieter noch stärker gegen Klimaschutzmaßnahmen wehren und Vermieter
noch tiefer zwischen die Mahlsteine Klimaschutz und Sozialverträglichkeit
gelangen“.
## Wenn alles beim Alten bleibt
Die Rechnung, die sie aufstellen, zeigt einen Teufelskreis: Bis 2030
müssten, damit die Klimaziele erreicht werden, 40 Prozent der Häuser
komplett klimaneutral werden oder bis zu 80 Prozent ihren Energieverbrauch
deutlich senken. Dazu sei eine staatliche Förderung allein für die
vermieteten Wohnungen in Höhe von 6 bis 10 Milliarden Euro im Jahr nötig,
soll das alles sozial verträglich passieren.
Mal in nackten Zahlen, was es bedeutet, wenn alles beim Alten bleibt: Bei
20 Millionen Mietwohnungen würde 8 bis 16 Millionen Mietparteien, egal ob
Familien, Rentner, Alleinerziehende oder Alleinstehende, in den nächsten
zehn Jahren einer dieser Briefe ins Haus flattern, in dem steht: Ihre Miete
steigt demnächst wegen Klimaschutz. Genau genommen im Schnitt um 2,15 Euro
kalt, abzüglich der Energieeinsparungen um 1,48 Euro warm pro Quadratmeter.
Obendrauf kommen dann noch die anderen Modernisierungen, die
Immobilienbesitzer*innen gleich gern mitmachen, wenn die Handwerker
sowieso schon kommen.
Thomas B., der Mann aus der Emser Straße 27, sagt von sich: „Ich bin
eigentlich ein schlechtes Beispiel für Ihren Artikel.“ Ganz einfach weil er
die Mieterhöhung zahlen kann. Viele andere in der Nachbarschaft nicht –
und ausgerechnet die mit geringeren finanziellen Mitteln oder
Sprachbarrieren setzten sich am wenigsten zur Wehr.
Einkommensschwache Haushalte mit bis zu 1.300,00 Euro Nettoeinkommen zahlen
im Schnitt 46 Prozent davon fürs Wohnen, für ein Drittel der
Rentner*innen-Haushalte sind es über 40 Prozent des Einkommens. Das sind
die Menschen, die keine Lobbyverbände haben. Für sie sind im Schnitt 1,48
Euro mehr Warmmiete für die Pariser Klimaziele nach heutigem Stand der
Dinge der finanzielle Ruin oder die Vertreibung aus ihrer Wohnung. Nicht
sanieren ist aber langfristig auch keine Lösung: CO2 ausstoßen bekommt bald
einen Preis, der nur einen Weg kennt, nämlich nach oben. Wer in unsanierter
Wohnung mit Ölheizung wohnt, zahlt zum Heizen extra. Bis Mitte der 20er
Jahre allerdings nicht mehr als 10 bis 20 Euro im Monat. Noch ist also
Zeit.
## Förderprogramme der Bundesregierung fehlen
Zwar gibt es eine Härtefallregelung, falls Mieter die Miete nach einer
Sanierung nicht mehr aufbringen können. Telefoniert man mit Mietervereinen,
wird aber klar: In der Praxis wissen Betroffene oft nichts von Paragraf 555
(d) des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder verpassen die Widerspruchsfrist von
einem Monat nach Ankündigung einer Sanierung. Wer ohnehin kaum Geld hat,
wird sich auch keinen Anwalt nehmen können, sondern ausziehen.
Der Berliner Mietendeckel hat also ein soziales Problem gelöst und das
Klima außen vor gelassen. Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne)
schreibt auf Anfrage: „Auch mit dem Mietendeckel will die Koalition die
größte Herausforderung unserer Zeit – den Kampf gegen die Klimakrise – im
Blick behalten.“ Deshalb verspricht sie ein ergänzendes Förderprogramm zur
energetischen Sanierung. Noch ist unklar, wie das aussehen soll. Zudem
springe die Bundesregierung mit ihrer Förderung zu kurz, so Pop. Das trifft
auf den Berliner Senat auch zu: Derzeit sind nicht mehr als 50 Millionen
Euro für das Förderprogramm vorgesehen.
31 Jan 2020
## LINKS
[1] https://emser27.noblogs.org/
[2] https://schoenhauser.home.blog/
## AUTOREN
Ingo Arzt
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