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# taz.de -- Türkis-grüne Koalition in Österreich: Feindbild Islam
> Worin unterscheidet sich die Islam-Politik der neuen Koalition von der
> ihrer Vorgängerin mit FPÖ-Beteiligung? In nichts.
Bild: Minarett in Tirol
Die Religionspolitik der neuen Bundesregierung in Österreich beschränkt
sich im Wesentlichen auf die Religion des Islam. In dieser Hinsicht
unterscheidet sich [1][das neue Regierungsprogramm] kaum bis gar nicht von
der türkis-blauen Vorgängerregierung. Zwar kommen die Begriffe
„Islam/Muslim“ bei 16 Erwähnungen im Regierungsprogramm fünfmal weniger v…
als im alten Regierungsprogramm. Hingegen ist der Inhalt dieses Mal sogar
umfassender in den Thematiken, die angesprochen werden.
Die erste Pressekonferenz im Neujahr hatte die Richtung bereits vorgegeben.
Und die Headlines in der Woche der Regierungsangelobung haben es bestätigt.
[2][Der Law-and-Order-Kurs der neuen Volkspartei] unter Sebastian Kurz wird
insbesondere in der Migrations- und Integrationspolitik nahtlos
weitergeführt. So liest sich das auch in einem der acht formulierten Ziele
des Regierungsabkommens: „Ein konsequenter Kurs im Bereich Migration und
Integration“ werde verfolgt. Mit dabei seien „Gesetzesverschärfungen gegen
den politischen Islam, um sicherzustellen, dass es zu keinen
Gegengesellschaften kommen wird“, betonte Kurz.
Damit bediente er nicht nur die Superlative des Vokabulars der FPÖ, die in
der Parallelgesellschaft die Gegengesellschaft erblickt. Eine gefährliche
Wort- und Bedeutungsverschiebung! Er zeigte auch, dass der Kampf gegen den
sogenannten politischen Islam ein im Kern Kurz’sches Projekt ist – und
keines der FPÖ.
## Euphemismus „politischer Islam“
Das Regierungsprogramm ist von einer eingegrenzten und [3][ausschließenden
Identitätspolitik] geprägt. Österreich wird als „weltoffenes christlich
geprägtes Land“ präsentiert. Nichts ist mehr zu lesen von der
jüdisch-christlichen Tradition, wie noch unter Türkis-Blau (das aber
ohnehin primär der Ausgrenzung der dritten monotheistischen Religion
diente). Und zur Abgrenzung dient vor allem der Euphemismus des
„politischen Islam“, mit dem der Islam gemeint ist, wie die Verbote von
islamischer Religionspraxis (Kopftuchverbot, Moscheeschließung) unter
Türkis-Blau gezeigt haben.
Angeblich nach dem Vorbild des Dokumentationsarchivs des österreichischen
Widerstands soll jetzt eine Forschungs- und Dokumentationsstelle
eingerichtet werden, die sich mitunter mit dem politischen Islam
auseinandersetzen soll. Die Innenministerin kündigte kurz nach ihrer
Vereidigung an, dass sie dieses Projekt innerhalb der ersten 100 Tage
umsetzen wolle. Zudem soll das Bundesamt für Verfassungsschutz und
Terrorismusbekämpfung einen eigenen Extremismusbericht erstellen, der – wie
sollte es anders sein – „u. a. islamistischen Extremismus umfasst“. Ein
Aktionsplan gegen den religiös motivierten politischen Extremismus sollte
ebenso ausgearbeitet werden.
So plant die Bundesregierung etwa, das Strafrecht an „aktuelle
Herausforderungen“ anzupassen, worunter auch eine nicht weiter dargelegte
„Präzisierung und Ergänzung von Straftatbeständen zur effektiven Bekämpfu…
des religiös motivierten politischen Extremismus (politischer Islam)“
gemeint ist.
Interessanterweise findet sich unter dem Thema „Maßnahmen gegen Extremismus
und Terrorismus“ nicht nur der Kampf gegen den Islamismus, sondern auch die
Stärkung des Kultusamts, einer Behörde, die sich um das Verhältnis des
Staates zu Kirchen und Religionsgesellschaften kümmert. Ihre
Umstrukturierung zu einem Sicherheitsapparat schreitet weiter voran, indem
das Islamgesetz von 2015 eine vertiefte Institutionalisierung erfahren soll
und das Kultusamt polizeibehördliche Aufgaben erhält.
## Bildungsraum im Visier
Besonders im Fokus des Regierungsprogramms steht der Bildungsraum. So wird
verstärkte Kontrolle insbesondere bei islamischen Einrichtungen von
Kindergärten über Privatschulen bis hin zu Schülerheimen angesagt. Der
Religionsunterricht sollte sich an „pädagogischer Qualität und
staatsbürgerlicher Erziehung orientieren“, heißt es weiter. Ist das der Weg
zur Dienstbarmachung von Religion für den Staat? Die Trennung von Staat und
Kirche hatte die inhaltliche Einmischung in den bekenntnisorientierten
Religionsunterricht bisher verhindert. Und ob die christlichen Kirchen das
mit sich machen lassen, sei dahingestellt.
Aber vermutlich geht es gar nicht um diese, sondern lediglich um die
islamische Glaubensgemeinschaft. So heißt es einen Absatz weiter, dass
insbesondere Bücher und Materialien des islamischen Religionsunterrichts
erhoben und evaluiert werden sollen. Auch die
ReligionslehrerInnenausbildung wird lediglich im Zusammenhang mit dem
muslimischen Religionslehrerpersonal angesprochen. Selbst in puncto
Bildungssystem wird der politische Islam als verfassungsfeindliche
Kategorie in Abgrenzung zur Heranbildung junger Menschen positioniert.
## Kopftuchverbot
Das Kopftuchverbot, das unter Türkis-Blau noch nicht im Koalitionsvertrag
enthalten war, findet nun Eintritt in das türkis-grüne Koalitionsabkommen.
Dass zur Begründung der Ausweitung des Verbots bis zur Vollendung des 14.
Lebensjahres das Erreichen der Religionsmündigkeit herangezogen wird, wie
Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) betonte, ändert nichts an dieser
diskriminierenden Bestimmung, die wiederum allein auf Musliminnen abzielt
und explizit Sikhs und Juden ausnimmt.
In Summe lässt sich sagen, dass das Regierungsprogramm eine einseitige
Fokussierung auf die Gruppe muslimischer Religionsangehöriger vornimmt.
Restriktive Politiken der Kontrolle ihrer Bildungseinrichtungen
reflektieren die Unterstellung der feindlichen Haltung und entsprechende
Maßnahmen werden angekündigt. Es ist davon auszugehen, dass der „politische
Islam“ im Zuständigkeitsbereich der Türkisen (Inneres und Sicherheit)
weiter nicht den politischen Extremismus meint, sondern den Islam. Und
damit steht das türkis-grüne Regierungsabkommen in nahtloser Kontinuität
zum türkis-blauen.
20 Jan 2020
## LINKS
[1] /Tuerkis-gruene-Koalition-in-Oesterreich/!5654392
[2] /Oesterreichs-neue-tuerkis-gruene-Regierung/!5650471
[3] /Neue-Regierung-in-Oesterreich/!5649849
## AUTOREN
Farid Hafez
## TAGS
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