| # taz.de -- Türkis-grüne Koalition in Österreich: Resignation wäre reaktion… | |
| > Die Grünen haben sich für die Koalition mit dem Rechtspopulisten | |
| > Sebastian Kurz verbiegen müssen. Nur: Die Alternativen wären noch | |
| > schlimmer. | |
| Bild: Partner wider Willen: ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz und sein grüner Vize W… | |
| Als ich vor dreißig Jahren viel mit Bürgerrechtlern und Dissidenten in der | |
| DDR zu tun hatte, hörte ich gelegentlich den Satz: „Und wenn wir dann mal | |
| das Land verlassen durften, waren wir plötzlich viel bessere DDR-Bürger als | |
| daheim.“ Soll heißen: Daheim hat man die Diktatur, die alten Männer an der | |
| Macht und die stickige Atmosphäre im Land mit den schärfsten Formulierungen | |
| kritisiert, im Ausland aber dann doch das eigene Land gegen allzu | |
| klischeehafte Schwarz-Weiß-Malerei (oder korrekter: Schwarz-Malerei) in | |
| Schutz genommen. | |
| Ein bisschen ähnlich geht es mir neuerdings mit unserer [1][Koalition in | |
| Wien, die vom konservativen Rechtspopulisten Sebastian Kurz und den Grünen | |
| um Werner Kogler gebildet wurde]. Türkis-Grün, oder wie man bei uns auch | |
| sarkastisch sagt: „Orban Gardening“. Ja, klar, die Grünen haben sich massiv | |
| verbiegen müssen und viele Kröten geschluckt. In der Migrations- und der | |
| Integrationspolitik herrscht weiter die „Grenzen hoch, Ausländer | |
| raus“-Rhetorik vor – und nicht nur Rhetorik, sondern auch die | |
| entsprechenden Regierungspraktiken. Zugleich ist es nun aber eben so, dass | |
| die ÖVP 37 Prozent der Stimmen bei den Wahlen ergatterte und mit den | |
| extremen Rechten eine satte Mehrheit im Parlament hätte. | |
| Da ist eine Mitte-rechts-Koalition unter Einschluss der Grünen ganz | |
| einfach das „kleinere Übel“. Schwer zu sagen, ob die Grünen mehr rausholen | |
| hätten können oder ob sie ein bisschen oder sehr über den Tisch gezogen | |
| worden sind. Lustig ist die Situation für sie nicht, und da begegne ich | |
| ihnen einmal mit der wohlmeinenden Annahme, dass sie sicher ihr Bestes | |
| gegeben haben. Aber vielleicht tue ich das nur, weil ich die meisten der | |
| Akteure mag. | |
| Ich lehne wohl rund siebzig oder achtzig Prozent von all dem, was im | |
| Regierungsprogramm festgeschrieben ist, ab. Und wenn ich diese zynischen, | |
| menschenverachtenden Figuren der ÖVP-Regierungsmannschaft nur sehe, bekomme | |
| ich schon Ausschläge. Und doch habe ich wie die DDR-Bürger im Ausland den | |
| Reflex, das alles einmal zu verteidigen. | |
| Bettina Gaus hat in dieser Zeitung vor ein paar Wochen einen sehr | |
| gescheiten Kommentar geschrieben, in dem sie anschaulich zeigte, wie oft | |
| wir rein gefühlsbetont unsere Urteile treffen. Sogar dann, wenn wir in | |
| Höchstmaß informiert und gut begründet argumentieren, steht am | |
| Ausgangspunkt unserer Argumentation zunächst einmal eine | |
| Gefühlsentscheidung. Wir können über Barack Obamas Fehler Bescheid wissen | |
| und die auch benennen, wenn wir in unserem Urteil aber dann begründen, dass | |
| seine positiven Seiten die negativen Seiten massiv überwiegen, dann auch | |
| deshalb, weil er uns einfach sympathisch ist. Wem er weniger sympathisch | |
| ist, der wird bei dieser Bilanzrechnung zu anderen Ergebnissen kommen. Ich | |
| finde, das ist gut beobachtet. | |
| ## Die schiefe Ebene | |
| Wir haben so viele Gefühle, wir wissen gar nicht wohin mit ihnen. Manche | |
| Linke – auch in Deutschland und auch anderswo – haben das Gefühl, dass | |
| alles nur mehr schlechter wird, das politische System und die politische | |
| Kultur wie auf einer schiefen Ebene immer mehr abrutscht und ins Negative | |
| schlägt. So dass man sich damit zufrieden geben muss, das „Schlimmste zu | |
| verhindern“. | |
| Also selbst in Deutschland empfinden das sicher genügend Leute, dabei ist | |
| Deutschland verglichen mit Ungarn, Österreich, Italien, Großbritannien ja | |
| noch eine Insel der Seligen. Wenn man das politisch so „empfindet“, dann | |
| ist das keine reine, bloße Empfindung, sondern sie kann genügend Indizien | |
| formulieren, die dieses Urteil stützen. Aber das hat dann wieder | |
| „emotionale Folgen“. Es wird sich eher kein Optimismus verbreiten, sondern | |
| viel eher politische Depression. | |
| Und jetzt, um retour zu kommen, stellen Sie sich einmal vor, wie es uns in | |
| Österreich geht. Die Grünen, die mit 14 Prozent in diese Regierung gehen | |
| und einem fiesen, aggressiven, mächtigen Regierungspartner ausgeliefert | |
| sind. Ein politisches Klima, das als Folge jahrelanger populistischer | |
| Überbietungswettbewerbe „rechtsblau versifft“ ist. Dazu eine | |
| Sozialdemokratie, die in Umfragen im Sturzflug und seit Monaten nicht in | |
| der Lage ist, sich zu stabilisieren. Da haben nicht wenige das Gefühl, dass | |
| alles permanent bergab geht und [2][die Grünen sich mit diesem Deal auch | |
| noch das Rückgrat gebrochen haben.] | |
| Dennoch finde ich, Depression zu verbreiten ist noch lange keine linke | |
| Kritik – in diesem Fall nicht und auch in keinem sonstigen. Denn ganz | |
| generell gilt: Resignation wird nicht gerade jene Energien stärken, die | |
| nötig wären, die gerade nicht besonders rosigen Umstände zu verändern. | |
| Besser wäre es, die Umstände zur Kenntnis zu nehmen und nach den Chancen zu | |
| suchen, wie diese in Trippelschritten verbessert werden können. Zarte | |
| Pflänzchen für Optimismus – bitte hegen! Pessimismus hat ja, wie wir | |
| wissen, noch nie etwas zuwege gebracht. Resignation ist reaktionär. | |
| 19 Jan 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Robert Misik | |
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