# taz.de -- Fragwürdiges Urteil in G20-Prozess: Im Zeichen des Fischerhuts | |
> Ein Kieler wurde wegen eines Flaschenwurfs beim G20-Gipfel zu einer | |
> Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt. Ein Hut soll ihn belastet haben. | |
Bild: Finden Sie den Anglerhut! | |
HAMBURG taz | Noch ist er frei, weil das Urteil nicht rechtskräftig ist: | |
Der 31-jährige Kieler Toto, so lautet sein Spitzname, wurde zu einem Jahr | |
und vier Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Nach Meinung des Hamburger | |
Amtsgerichts soll er beim [1][G20-Gipfe]l eine Flasche auf Polizist*innen | |
geworfen, sie jedoch verfehlt haben. | |
Die Strafe ist hoch – was allerdings laut dem Hamburger Gerichtssprecher | |
Kai Wantzen daran liegt, dass Toto zum Zeitpunkt der Tat unter laufender | |
Bewährung stand. 2015 war er wegen eines Betäubungsmitteldelikts zu neun | |
Monaten Strafe auf Bewährung verurteilt worden. | |
Allerdings tauchten in dem G20-Prozess nach Schilderungen von | |
Beobachter*innen einige Merkwürdigkeiten auf. Im Zentrum stehen dabei | |
unglaubwürdige Aussagen von Polizeibeamt*innen und ein Fischerhut, der zum | |
Symbol des Widerstands wurde. | |
Am Vorabend des G20-Gipfels, kurz nachdem die autonome | |
[2][Welcome-to-Hell-Demo] gewaltsam von der Polizei zerschlagen worden war, | |
war Toto wie viele andere in Altona unterwegs, um in kleineren Gruppen | |
weiter zu demonstrieren. „Auf der Höhe Altonaer Straße, Ecke Schulterblatt, | |
sind plötzlich Polizist*innen auf die Kreuzung gestürmt“, sagt Toto. | |
Viele Demonstrant*innen seien geflohen, aber ein Polizist habe sich auf den | |
Kieler geschmissen und ihn zu Boden gebracht. Ein Beamter habe ihn im | |
Schwitzkasten gehalten, zwei andere hätten je einen seiner Arme fixiert. | |
Dann sei er in einen Gefangenentransporter gebracht und durchsucht worden. | |
Kurz darauf seien die Insassen in einer Seitenstraße wieder freigelassen | |
worden. | |
Im März erreichte ihn die Anklage: Widerstand, tätlicher Angriff, | |
Landfriedensbruch und versuchte schwere Körperverletzung wirft die | |
Staatsanwaltschaft Toto vor. Eine Soli-Gruppe schreibt auf dem [3][Blog | |
„Free Toto“]: „Da die Anklage sich recht schwammig anhörte und es laut | |
dieser eigentlich keinen richtigen Beweis für die Tat gab, gingen wir erst | |
mal positiv an den Prozess heran.“ | |
In den ersten Verhandlungen im Mai 2019 zeigte die Staatsanwaltschaft | |
mehrere Videos, aber auf keinem sei Toto zu erkennen gewesen, [4][sagen | |
Prozessbeobachter*innen] der Soligruppe. Das bestätigt auch | |
Gerichtssprecher Wantzen. Ein Polizist sagte aus, er habe den Angeklagten | |
anhand seines schwarzen Fischerhutes identifiziert. Nur war davon in den | |
Berichten, die der Polizist angefertigt hatte, nichts zu lesen. | |
Zwei Protokolle hat der Beamte, der Toto festgenommen hatte, über den | |
Vorgang verfasst – eines direkt nach der Untersuchung des Festgenommenen im | |
Gefangenentransporter, eins später auf dem Präsidium. Im Prozess sagte er | |
aus, er habe den Angeklagten auf der Kreuzung, bevor es zur Festnahme kam, | |
die ganze Zeit im Auge gehabt und ihn anhand seines Fischerhuts | |
identifiziert. | |
„Warum steht das dann nicht in den Protokollen?“, fragt Totos Verteidigerin | |
Kristin Pietrzyk. Dafür taucht das belastende Kleidungsstück an einer ganz | |
anderen Stelle auf: In einer Dienstbesprechung der Polizei vor dem | |
G20-Einsatz sei vor Menschen mit Fischerhüten gewarnt worden, weil diese | |
besonders gewalttätig seien. Das steht laut Pietrzyk in der Akte eines | |
anderen Verfahrens. Pietrzyk beantragte, sie als Beweismittel im Prozess | |
gegen Toto heranzuziehen, doch der Richter Martin Hinkelmann lehnte das ab. | |
Die Prozessbeobachter*innen der Soligruppe beschreiben die Beweisführung | |
der Staatsanwaltschaft als äußerst zweifelhaft. Auch Pietrzyk sagt, die | |
Aussagen der beiden Polizisten hätten überhaupt nicht zu den Videoaufnahmen | |
gepasst. Zudem hätten sich die Zeugen bis auf den Fischerhut nicht erinnern | |
können, wie der Flaschenwerfer aussah. | |
## Aus dem Hut gezaubert | |
Dem Richter reichte das aber. Am neunten Verhandlungstag verurteilte er | |
Toto zu einem Jahr und vier Monaten Haft. „Ich bin vom Glauben abgefallen“, | |
sagt Pietrzyk. Wie das Gericht trotz der Videos und der dazu | |
widersprüchlichen Aussagen der Polizei, trotz des plötzlich als | |
Identifikationsmerkmal aus dem Hut gezauberten Fischerhuts und der | |
insgesamt dünnen Beweislage den Vorwürfen folgen könne, sei ihr | |
unverständlich. | |
Ein politischer Richterspruch? „Ich glaube, dass alle G20-Urteile mit so | |
hohen Strafen unter Eindruck des Gipfels gefällt wurden“, sagt sie. Dass | |
damit Exempel statuiert werden sollen, sei offensichtlich. | |
Toto und seine Verteidigerin haben mittlerweile Berufung eingelegt. Auch | |
die Staatsanwaltschaft ihrerseits hat Berufung eingelegt. Die Soligruppe | |
erklärt unterdessen den Fischerhut zum Symbol des Widerstands: „Der | |
Fischerhut ist das Symbol für die Absurdität des Prozesses gegen Toto“, | |
steht auf dem Blog. Und: „Dieser Prozess ist genau wie die anderen | |
G20-Prozesse und die extreme Polizeigewalt während der Proteste ein Mittel | |
der Repression und Abschreckung gegenüber linken Aktivist*innen. Kampf | |
ihrer Klassenjustiz!“ | |
31 Dec 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Festnahme-am-G20-Jahrestag-in-Hamburg/!5640463 | |
[2] /Ex-Polizeidirektor-ueber-Fehler-bei-G20/!5497699 | |
[3] https://freetoto.noblogs.org/ | |
[4] https://freetoto.noblogs.org/was-ist-passiert/ | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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