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# taz.de -- Klimabewegung in der Klemme: Die Greta-Krise
> Wie ist es möglich, so viel Aufmerksamkeit und Zustimmung zu erzeugen –
> und trotzdem ändert sich nichts? Ein Appell zum Aushalten von
> Widersprüchen.
Bild: Greta Thunberg und Mitstreiterinnen vor dem Sitz der UN im August 2019
Greta Thunberg ist eine kluge junge Frau. Nicht bloß im Verhältnis zu ihren
Kritikern, deren Strunzdummheit nicht nur aus Strammrechts- und
FDP-Lautsprechern dröhnt, sondern in Form von, nun ja, „Kabarett“ auch im
öffentlichen Fernsehen versendet wird – ungefähr so lustig wie ein
Grillabend beim Ortsvereinsvorsitzenden der AfD von Niedertrachtlingen. Von
klugen Menschen kann man, taz-Leserinnen und -Leser werden es wissen,
einiges verlangen; grenzenloser und naiver Optimismus gehört nicht
unbedingt dazu.
Daher ist die doppelte Aussage von Greta Thunberg in Bezug auf die
„Klimabewegung“ – Wir haben viel erreicht! Und: Wir haben (beinahe) nichts
erreicht! – eine sehr genaue Beschreibung des derzeitigen Status:
Öffentlichkeit wurde hergestellt, das [1][Bewusstsein erweckt,] Diskurse
wurden begonnen. Doch in der Praxis ist davon kaum etwas angekommen.
An auch ökologisch [2][entscheidenden Machtpositionen] schalten Menschen,
denen Klima, Umwelt und Natur wurst sind. Solange die Nationen im
Wettbewerb miteinander stehen und Wirtschaftskriege gegeneinander oder
Wirtschaftsbündnisse gegen Menschen und Landschaften führen, verlaufen alle
Versuche, die Probleme in größerem Zusammenhang anzugehen, im Sand. Was die
Ökologie anbelangt, hat sich also eine neue Schere aufgetan: die von
öffentlichem Gerede und wirklichem Handeln. Nicht neu, das.
Was aber mag es sein, was zwischen Reden und Handeln vermittelt, einmal im
Sinn von Umsetzung, das andere mal im Sinn von Verhinderung? Es gibt ein
schmutziges Wort dafür: Politik. Und was gerade mit der Klimabewegung
passiert, zwischen der künstlichen Aufregung über ein „Oma“-Lied und einer
juristischen Kampagne gegen Organisationsformen der demokratischen
Zivilgesellschaft, ist unter anderem Ausdruck einer Krise, die für jede
soziale Bewegung unausweichlich ist. Spätestens beim Erreichen des Punktes,
an dem Vernunft und Moral an die Interessen von Macht und Kapital rühren.
Die Frage tut sich auf: Wie ist es möglich, so viel Aufmerksamkeit, ja
sogar so viel Zustimmung zu erzeugen – und trotzdem ändert sich nichts? Wer
oder was macht so was? Um den Verlust der politischen Unschuld kommt
niemand herum. Weder eine Person noch eine Bewegung.
Man sollte daher die Doppelaussage „Wir haben viel erreicht“ und „Wir hab…
nichts erreicht“ nicht als Eingeständnis des Scheiterns ansehen, sondern
als Zäsur. Wenn es weitergehen soll, müssen die Protagonisten und
Sympathisanten der Klimabewegung erkennen, dass die Zeit der
„vor-politischen“, der moralischen, wissenschaftlichen und appellativen
Aktivität vorbei ist. Was in der Aufmerksamkeitsökonomie und in der
Symbolsprache der Personalisierung erreicht werden konnte, wurde erreicht.
Nun schlägt das Imperium zurück, und die Rebellen drohen an Erschöpfung
oder Hysterisierung zugrunde zu gehen.
## Übermächtige Feinde, faule Kompromisse
Doch könnte das Ende einer „Welle“ des Widerstands durchaus auch
Vorbereitung einer zweiten Welle sein. Ein Bindeglied dafür mag vielleicht
Antonio Gramscis Aufforderung sein, in sich einen Pessimismus des Geistes
und einen Optimismus des Handelns zu vereinen. Und das ist nicht der
einzige Widerspruch, den man auszuhalten lernen muss.
Denn es sind nicht nur der übermächtige Feind und der „faule Kompromiss“
(„grüner Kapitalismus“ als Treffpunkt von Start-up-Hype und Fridays for
Future), es sind auch innere Widersprüche, die immerhin erkannt werden
müssen. Klima- und Naturschutz, ökologische Vernunft und soziale
Verantwortung, zum Beispiel muss man sich mit dem Vorwurf
auseinandersetzen, eine klassische Untugend des Kleinbürgertums, nämlich
die Inszenierung eigener moralischer Überlegenheit, in neuem Gewand zu
zelebrieren. Und das Zweitdümmste ist es, das Ganze auch noch als
Generationenkonflikt zu interpretieren (das Erstdümmste ist natürlich die
Links-rechts-Blindheit, das Drittdümmste, sich von Konzernen und Medien zu
Tode umarmen zu lassen).
Während die Klima- und Umweltbewegung sich an ihrer unaufhaltsamen
Politisierung zu spalten droht, droht sich auf der anderen Seite die Linke,
die Partei ebenso wie die Bewegung, an der Ökologie zu spalten. Hier wie
dort gibt es Menschen, die sich durch besondere Dummheit, Dogmatik und
Hysterie hervortun. Da gibt es Leute, die Klimaschutz als Religionsersatz
pflegen und deren eifernde Besserwisserei noch den Einsichtigsten in die
Flucht schlagen. Auf der anderen Seite gibt es Leute, die der festen
Überzeugung sind, dass man nicht nur traditionelle Ideen von Arbeit,
sondern auch Dinge wie „das Auto“ als [3][Relikte der
Industriegesellschaft] erhalten müsse.
Uns droht, soviel ist sicher, sowohl eine ökologische als auch eine soziale
Katastrophe (so viel zum Pessimismus des Geistes) und weder ist eine ohne
die andere zu denken, noch kann eine auf Kosten der anderen verhindert
werden. Die Antwort auf diese Dialektik kann nur eine ökologische Linke
beziehungsweise eine linke Ökologie geben, als Grundlage für einen
Optimismus des Handelns.
Dem Planeten ist es vollkommen egal, ob seine Menschen-Parasiten ihn retten
wollen oder nicht. Die Natur auf ihm macht, was sie immer macht, sie
versucht sich anzupassen, was einem Teil hervorragend und einem anderen
Teil überhaupt nicht gelingen wird. Den Menschen, die das verursacht haben,
stehen Trauer, Scham und Wut zu. Auch die große Rettungsaktion der Welt vor
dem Menschen aber wird die Fremdheit zwischen beidem nicht überwinden, so
wenig wie die Entfremdung zwischen den Menschen selbst. Und doch hat beides
auch die Chance für ein neues Bewusstsein. Was mich auf den seltsamen
Gedanken bringt, dass nach der Zäsur dieser Tage für das Verhältnis Linke
und Ökologie nicht nur ein politischer, sondern auch ein philosophischer
Neubeginn vonnöten ist. Wenn es da einen Unterschied gibt.
20 Jan 2020
## LINKS
[1] /Klimaschutz-im-Alltag/!5649980
[2] /Umstrittenes-Kohlefoerderprojekt/!5655402
[3] /Die-Wahrheit/!5648595
## AUTOREN
Georg Seeßlen
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