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# taz.de -- Prozess gegen SS-Wachmann: Zeuge zieht sich zurück
> Im Hamburger Prozess gegen einen SS-Wachmann im Konzentrationslager bei
> Danzig hat ein zweifelhafter Zeuge seine Nebenklage zurückgezogen.
Bild: Angeklagter Bruno D. in einer Prozess-Pause
Hamburg taz | Der 13. Verhandlungstag im Saal 300 vor dem Hamburger
Landgericht begann mit dem Rückzug einer Nebenklage. [1][Erst vor rund zwei
Monaten] hatte Moshe Peter Loth dem ehemaligen SS-Wachmann Bruno D., der
sich wegen Beihilfe zum [2][Mord in 5.230 Fällen im Konzentrationslager
Stutthof] vor Gericht verantworten muss, mit großer Geste vergeben. Nun hat
Loth seine Nebenklage zurückgezogen. Sein Rechtsbeistand erklärte am
Montag, sein Mandant nehme seine Nebenklage zurück und entschuldige sich.
Die Vorsitzende Richterin der Jugendstrafkammer, Anne Meier-Göring,
begrüßte diese Entscheidung. Der Nebenklagevertreter habe damit dem Gericht
vorgegriffen. Denn die Kammer hatte nach einem Bericht des Magazins Der
Spiegel die Glaubwürdigkeit des 76-jährigen Loth prüfen lassen und war zu
dem Schluss gekommen, dass die Angaben des Zeugen und Nebenklägers über
sein Leben zumindest teilweise nicht stimmen können.
So hatte Loth behauptet, er sei als Säugling mit seiner jüdischstämmigen
Mutter im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig interniert gewesen und
habe dort, wie auch seine Mutter, eine Häftlingsnummer eintätowiert
bekommen. Zum Schluss seiner Aussage hatte er erklärt, er vergebe dem heute
93-jährigen Angeklagten Bruno D. und hatte ihn unter Tränen umarmt.
Aber: Nur im Konzentrationslager Auschwitz wurde den Häftlingen eine Nummer
eintätowiert. Als „zusätzliche Demütigung“, sagte Meier-Göring. Außerd…
hatte Der Spiegel bereits Ende Dezember belegen können, dass Loth nicht,
wie er es zunächst dargestellt hatte, im KZ Stutthof geboren wurde, und
auch nicht aus einer jüdischen Familie komme. Er stammt vielmehr aus einer
evangelischen Familie. Sein Großvater war bei der Waffen-SS.
## Zeuge „nicht besonders glaubwürdig“
Die Zulassung des Zeugen und Nebenklägers Loth war, so führte Meier-Göring
am Montag aus, allein wegen der Aktenlage gefallen. Nach seiner
persönlichen Aussage erschien die Biografie des in den USA lebenden Loth
dann allerdings „nicht besonders glaubwürdig“, so die Richterin. „Wir
hatten in der Hauptverhandlung sogleich den Eindruck, dass man sich auf
diese Zeugen nicht werde stützen können.“
Nebenklagevertreter Cornelius Nestler, der die [3][KZ-Stutthof-Überlebende
Judith Meisel] vertritt, sagte, ihm sei bereits nach einer kurzen
Internetrecherche klar geworden, wie abwegig die Darstellung von Loth sei.
Es sei erschreckend, dass die Anwälte „das nicht gesehen“ haben. Er
befürchtet, andere Gerichte könnten in ähnlichen Verfahren den Nebenklägern
nun weniger vertrauen und sie, wenn „sie nur ihre eigene Geschichte
erzählen könnten“, nicht mehr als Nebenkläger zulassen.
Diese Sorge wies Meier-Göring am Montag zurück. Man wisse, dass die
Nationalsozialisten viele Dokumente vernichtet hätten. Um den Opfern
gerecht zu werden, sei es daher nötig, ihnen zu vertrauen. Denn es sei oft
unmöglich, Papiere oder Unterlagen als Belege anzubringen. Mit diesem
Hinweis leitete Meier-Göring zum historischen Sachverständigen Stefan
Hördler über.
Bereits am 12. Verhandlungstag hatte der Historiker, der schon bei mehreren
anderen Verfahren über die Wehrmachts- und SS-Strukturen dabei war,
ausgeführt, dass auch der Angeklagte nicht die Wahrheit gesagt hatte. So
hatte D. ausgesagt, er habe den Wachdienst im Konzentrationslager Stutthof
nicht verlassen können, nachdem er von der Wehrmacht zur SS überstellt
worden war: „Mir drohte wohl das Strafbataillon.“ Das sei falsch, sagte
Hördler. „Auch im KZ Stutthof bestand jederzeit die Möglichkeit, zu
wechseln, sich in eine andere Einheit versetzen zu lassen.“
## Versetzungen waren möglich
Hördler legte am Montag dar, dass zum KZ-Wachdienst abkommandierte
Soldaten, wie der Angeklagte, einen Antrag auf Rückversetzung in die Truppe
stellen konnten. „Bis zum 1. September 1944 war eine mögliche
Rückversetzung zur Wehrmacht leicht“, sagte Hördler. „Und danach auch
grundsätzlich möglich.“ Als ein Beispiel führte er einen Wehrmachtsoldaten
an, der in Neuengamme bei der SS war. Es habe also Versetzungen in eine
andere Truppe gegeben hatte. Das wäre auch für Bruno D. möglich gewesen.
Bruno D. soll im KZ Stutthof zwischen dem 9. August 1944 und dem 26. April
1945 „die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer
Häftlinge unterstützt“ haben. Zu seinen Aufgaben habe es gehört, die
Flucht, Revolte und Befreiung von Gefangenen zu verhindern. Der Prozess
findet vor einer Jugendkammer statt, weil der Beschuldigte zur Tatzeit 18
Jahre alt war. Der Prozess wird am 17. Januar fortgesetzt.
13 Jan 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Andreas Speit
## TAGS
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