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# taz.de -- Umbau der staatlichen Energieforschung: Stecker gezogen
> Einige Förderprojekte wurden komplett gecancelt. Energieforscher klagen,
> dass so eine längerfristige Planung nicht möglich sei.
Bild: Ohne Forschung wird die Energiewende nicht klappen: experimentelles Solar…
Berlin taz | In der vom Bund geförderten Energieforschung regiert der
eiserne Besen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat seine
Programmplanung für die kommenden Jahre deutlich reduziert. Im
Forschungsressort wurden Teile der Kopernikus-Projekte, des
Wissenschaftsprogramms für die Energiewende, sogar ersatzlos gestrichen.
Die Wissenschaftler fühlen sich überrumpelt.
Der Einschnitt kam im November letzten Jahres, in der sogenannten Nacht der
langen Messer, wie die legendäre „Bereinigungssitzung“ des
Bundestagshaushaltsausschusses auch bezeichnet wird. Die
Parlamentarier legten letzte Hand an den Bundesetat 2020 und die
Finanzplanung der kommenden Jahre. Dabei kam es im Haushalt von
[1][Wirtschaftsminister Peter Altmaier] (CDU) unerwartet zu erheblichen
Einschnitten in den Positionen für die Energieforschung.
So wurden im Etattitel 0903-68301 die Verpflichtungsermächtigungen – das
ist die bindende Reservierung von Haushaltsgeldern – für die
Energieforschung bis zum Jahr 2026 von 636 auf 537 Millionen Euro, also um
99 Millionen Euro gekürzt. Nomimell wurde dieser Betrag zur Unterstützung
von „Reallaboren“ zur experimentellen Erprobung von Energieinnovationen
zwar in den Sondertitel des [2][Energie- und Klimafonds] außerhalb des
Etats des Budeswirtschaftsministeriums (BMWi) verschoben – aber mit
erheblichen Folgen für die Projekte, wie die Forscher voraussehen.
„Es ist zu befürchten, dass viele der 2020 geplanten Forschungsprojekte
nicht umgesetzt werden können“, sagt Niklas Martin, Geschäftsführer des
ForschungsVerbundes Erneuerbare Energien (FVEE), in dem sich die
außeruniversitären Energieforscher zusammengeschlossen haben. Martin
kritisiert die Kursänderung, die sich hinter dem haushaltspolitischen
Verschiebebahnhof verbirgt. „Deutschland wird sich mit der geplanten
massiven Schrumpfung der Energieforschung aus der Technologieentwicklung
für die globalen, riesigen Märkte der Energiewende verabschieden“, erwartet
der Forschungsmanager. Mittelfristig werde „die Schwächung der
Energieforschung für mittlere Technologiereifegrade zu einem Abreißen der
Technologieentwicklungsketten führen“. Reallabore als Orte angewandter
Forschung könnten diese Forschungs- und Entwicklungsleistungen nicht
annähernd ersetzen.
Die eingesparten Mittel würden im BMWi überwiegend benötigt, um die neuen
Förderinitiativen für künstliche Intelligenz beziehungsweise
Digitalisierung zu finanzieren, verlautbarte das Ministerium nach der
Etatänderung. Aber das ist nicht der einzige Grund, wie der
CDU-Haushaltsexperte Eckhardt Rehberg durchblicken ließ. Gegenüber dem
Tagesspiegel, der die „Kehrtwende bei der Energieforschungspolitik“ publik
machte, verwies Rehberg darauf, dass es bei über 4.000 laufenden Projekten
keinesfalls zu wenig Energieforschung gebe. „Die Erfahrungen der letzten
Jahre haben gezeigt, dass die Ergebnisse davon nur leider viel zu häufig in
der Schublade verschwinden“, beschrieb er die Motivation des Ausschusses
zur Kürzung. Statt „Forschung um der Forschung willen“ zu fördern, seien
jetzt Umsetzungsprojekte wichtiger, um in der Klimapolitik zu
CO2-Reduzierungen zu kommen.
## Eine Retourkutsche
Volker Quaschning, Energieforscher an der Hochschule für Technik und
Wirtschaft in Berlin und Mitbegründer der
[3][Scientists-for-Future-Initiative], die sich an die Seite der
protestierenden Schüler*innen stellte, hält es nicht für ausgeschlossen,
dass die Kürzung der Gelder für Energiewende-Forschungsprojekte „auch
eine Retourkutsche der CDU/CSU auf die Aktionen von Scientists for Future
ist“. Schließlich hätten sich „unter den Erstunterzeichner*innen
seinerzeit besonders viele Energiewendeforscher*innen“ befunden,
äußerte sich Quaschning gegenüber der taz: „Beweisen lässt sich das
natürlich nicht, aber nachdem die Forschungsgelder über viele Jahr recht
planbar waren, ist dieser heimliche Sinneswandel doch recht auffällig.“
Das BMWi bekräftigte auf Anfrage der taz demgegenüber, dass die
„Haushaltsmittel für die Energieforschung nicht gekürzt“ würden. Vielmehr
würden die Reallabore – die bisher den „umsetzungsorientierten Bereich des
Energieforschungsprogramms“ darstellten – „ab dem Haushalt 2020 im
Wirtschaftsplan des Energie- und Kimafonds (EKF)ausgewiesen“ und erhielten
„damit einen eigenständigen, sichtbaren Beitrag für die Energie- und
Klimawende in Deutschland“. Der stärker akademische Bereich der klassischen
Forschungsfelder verbleibe im BMWi-Haushalt. „Insgesamt werden durch den
Deutschen Bundestag für das Energieforschungsprogramm des BMWi durch diesen
Schritt nicht weniger, sondern mehr Bundesmittel zur Verfügung gestellt“,
so die Sprecherin des Altmaier-Ministeriums.
FVEE-Geschäftsführer Martin hält dagegen: „Das zentrale Problem sind die
völlig unerwartet um 90 Prozent gekürzten Verpflichtungsermächtigungen für
das Jahr 2021 und die Kürzungen der Folgejahre.“ Mit ihnen könnten „die
Projektträger keine Finanzpläne für die üblicherweise mehrjährigen Projekte
darstellen“. Das werde angedachte Projekte ins Schleudern bringen.
Noch drastischer war der Einschnitt, der zur Jahreswende bei den
Flaggschiffen der [4][Energieforschung im Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF)] stattfand. Von den vier Kopernikus-Projekten, die die
Energiewende wissenschaftlich begleiten sollen, wurden nur drei in ihrer
zehnjährigen Laufzeit verlängert. Beim Teilprojekt ENavi hingegen, das vor
allem die gesellschaftlichen Auswirkungen mit einem Budget von 30 Millionen
Euro in den letzten drei Jahren untersuchte, wurde dagegen „der Stecker
gezogen“.
Noch Anfang letzten Jahres sei eine Evaluation des Projekts zunächst
positiv verlaufen; allerdings sei „die Gesamtevaluation wegen mangelnder
gesellschaftlicher Wirksamkeit kritisch ausgefallen“, erklärte
Projektleiter Ortwin Renn vom Potsdamer Institut für
Nachhaltigkeitsforschung IASS gegenüber der taz. Ein Neukonzept wurde vom
BMBF angefordert, ein neuer Wettbewerb in Aussicht gestellt, der aber nie
begonnen wurde. „Wir wurden bis Dezember hingehalten mit vielen
Ankündigungen, die nicht umgesetzt wurden, und In-Aussicht-Stellung von
Weiterführungsangeboten, die sich dann nie realisierten“, kritisiert
Renn. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren einem andauernden
Wechselspiel von Hoffnung und Enttäuschung ausgesetzt.“
Zum Jahresende musste er sein ENavi-Team entlassen, unter ihnen auch
Mitarbeiter der zivilgesellschaftlichen Plattform Forschungswende, die sich
für neue Partizipationsformen der Gesellschaft an der Forschung einsetzt.
„Das ist für mich eine der bittersten Erfahrungen in meinem Berufsleben
gewesen“, so Renn. Über die Gründe für die Entscheidung erhielt die taz vom
BMBF auf Anfrage keine Antwort.
11 Jan 2020
## LINKS
[1] /Neuer-Kurs-im-Wirtschaftsministerium/!5638499
[2] https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/energie-und-klimafonds-409438
[3] /Fridays-und-Scientists-for-Future/!5615730
[4] /Wasserstoffantrieb-in-der-Forschung/!5607467
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Energie
Forschungsministerium
Wirtschaftsministerium
Wasserstoff
BMBF
Schwerpunkt Atomkraft
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gefördert.
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