# taz.de -- 15 Jahre Hilfsaktion „Laib und Seele“: Einmal die Woche richtig… | |
> Seit 15 Jahren versorgt die Aktion „Laib und Seele“ Bedürftige mit Essen. | |
> Sie sammelt Lebensmittel und Spenden mit fast abgelaufenem | |
> Haltbarkeitsdatum | |
Bild: Eine Ausgabestelle von Laib und Seele | |
Berlin taz | Von Sozialleistungen lebt Ahmed S., seit er 2014 nach | |
Deutschland kam. Der behinderte Flüchtling aus Somalia hätte sich seit | |
Jahren Essen bei der Berliner Tafel holen können. Doch da die | |
Ausgabestellen meist in kirchlichen Gebäuden sind, hatte der Moslem | |
Bedenken und hungerte lieber in den Tagen vor der Auszahlung seiner | |
Sozialleistungen. Aber im Dezember wurde es richtig drängend: Bereits zur | |
Monatsmitte hatte er nur noch 20 Euro im Portemonnaie. Das andere war ihm | |
gestohlen worden. | |
Es war keine Selbstverständlichkeit, dass die Ausgabestelle der Aktion | |
„Laib und Seele“ in einer Freikirche in Ahrensfelde im Bezirk | |
Marzahn-Hellersdorf ihn aufnahm. Normalerweise gibt es wegen der großen | |
Nachfrage Wartelisten für die Neuaufnahme. Aber aufgrund der akuten Not | |
machte Laib und Seele eine Ausnahme: Ahmed S. durfte sich im Dezember | |
erstmals Essen nehmen. | |
Der Somalier musste dafür seinen Bescheid vom Sozialamt vorlegen und 2 Euro | |
bezahlen. Das sind die Unkosten für Benzin der freiwilligen Helfer. Dafür | |
durfte der junge Mann so viel Essen nehmen, wie er nach Hause tragen | |
konnte. Er reihte sich ein zwischen alteingesessenen Marzahner Rentnerinnen | |
und Romafamilien aus Südosteuropa. | |
Reis, Nudeln und andere lange haltbare Lebensmittel suchte man in der | |
Ausgabestelle vergebens, dafür gab es viel frisches Obst und Gemüse, Brot | |
und Fertiggerichte, deren Haltbarkeitsdatum bald ablief. Dass die Bananen | |
schon braune Flecken hatten, störte Ahmed S. nicht. Hungrig schlang er sie | |
schon auf der Heimfahrt im Bus hinunter. Am Abend kochte er sich ein | |
Festessen aus Tomaten, Zwiebeln, Eiern, Kartoffeln und viel Chili. | |
## Rettung von Lebensmitteln | |
Seit genau 15 Jahren gibt es die Laib und Seele, ein Projekt der Kirchen, | |
der Berliner Tafel und des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB). Die Aktion | |
rettet Lebensmittel vor der Vernichtung und gibt sie an Bedürftige weiter, | |
die damit besser über den Monat kommen. Das Jubiläum feiern die Kirchen am | |
5. Januar mit einem ökumenischen Gottesdienst im Berliner Dom, mit dem sie | |
die ehrenamtlichen Helfer würdigen wollen, die Essen bei Supermärkten und | |
kleinen Bäckereien einsammeln, es transportieren und ausgeben. Alle | |
Berliner sind ab 15 Uhr dazu eingeladen. | |
Im Anschluss gibt es einen Festakt im Roten Rathaus mit Bürgermeister Klaus | |
Lederer und Sozialsenatorin Elke Breitenbach (beide Die Linke). Breitenbach | |
würdigt gegenüber der taz die Arbeit von Laib und Seele: „Solange Menschen | |
in unserer Stadt in Armut leben oder armutsgefährdet sind, so lange sind | |
die Berliner Tafeln ein Geschenk für sie. Sie unterstützen die Menschen | |
täglich ganz praktisch, nicht nur mit Lebensmitteln, sondern auch mit | |
Wärme, Respekt und Lebenshilfe.“ Das sei wichtig für die Stadtgesellschaft. | |
Deshalb danke sie den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern für ihre | |
kontinuierliche Arbeit. „Auch wenn ich mir wünschen würde, dass die Arbeit | |
nicht länger nötig wäre.“ | |
Das sieht der evangelische Landesbischof Christian Stäblein ähnlich. „Wir | |
dürfen uns nicht damit abfinden, dass es Armut in unserer Stadt gibt und es | |
vielen am Nötigsten mangelt.“ Die Ausgabestellen von Laib und Seele machten | |
eine ungeheuer wichtige Arbeit, weil sie nicht nur Menschen mit | |
Lebensmitteln versorgten, sondern auch daran erinnerten, dass alle Menschen | |
Kinder Gottes seien. „Nur eine solidarische Gesellschaft ist eine | |
lebenswerte Gesellschaft.“ | |
## 1.300 Ehrenamtler in 45 Ausgabestellen | |
Der Verein Berliner Tafel, von dem die vor 15 Jahren gegründete Aktion Laib | |
und Seele ein Teil ist, besteht schon länger. In den ersten Jahren | |
belieferte er soziale Einrichtungen – nicht Privatpersonen – mit | |
Lebensmitteln. Auch heute werden rund 300 soziale Einrichtungen wie | |
Obdachlosenheime oder Frauenhäuser versorgt. | |
Vor 15 Jahren bemängelte Tafel-Gründerin Sabine Werth allerdings, dass | |
Kinder in Suppenküchen gehen müssten, um eine Mahlzeit zu bekommen, statt | |
zu Hause mit der Familie etwas aus gespendeten Lebensmitteln zu kochen und | |
zu essen. Das wollte sie ermöglichen und hat um den Jahreswechsel 2004/2005 | |
herum im Haus des Rundfunks und in zwei Berliner Kirchen Lebensmittel | |
gesammelt und an 3.000 Privatpersonen ausgegeben. | |
Inzwischen arbeiten 1.300 Ehrenamtler in 45 Ausgabestellen, die über die | |
gesamte Stadt verteilt sind. Jeder Bedürftige darf sich einmal pro Woche in | |
der für seinen Wohnort zuständigen Ausgabestelle Lebensmittel abholen. | |
Insgesamt werden nach Angaben der Berliner Tafel pro Woche 50.000 Menschen | |
erreicht, jeder dritte ist ein Kind. Für 3.200 bedürftige Kinder haben die | |
Ausgabestellen zu Schuljahresbeginn auch Zuckertüten gepackt und | |
Schulbedarf ausgegeben. Ganz bewusst verzichtet die Berliner Tafel auf | |
staatliche Hilfen, damit den Bedürftigen nicht womöglich Geld vom Amt | |
abgezogen wird, wenn sie sich bei der Tafel versorgen. | |
## Auch Geld wird gesammelt | |
Neben Lebensmitteln, die von großen Discountern und kleinen Läden an der | |
Ecke gespendet werden, bevor das Haltbarkeitsdatum abläuft, benötigt der | |
Verein für seine Arbeit Geld. So haben Reisende der Flughäfen Tegel und | |
Schönefeld seit Mitte 2017 mehr als zwei Millionen Pfandflaschen vor den | |
Sicherheitskontrollen gespendet. Vom Erlös konnten nach Angaben der | |
Berliner Tafel zwei Fahrzeuge und eine Kühlzelle für das Lager des Vereins | |
angeschafft werden. | |
Eine schöne Geste war, dass Anfang Dezember Kunden von Supermärkten | |
Weihnachtsartikel kaufen konnten, die in der Adventszeit an die Berliner | |
Tafel weitergegeben wurden. Übrigens auch in der Ausgabestelle in | |
Ahrensfelde: Ahmed S. durfte sich eine Tafel Schokolade aussuchen. | |
Sonntag, 5. Januar, 15–16 Uhr: Festgottesdienst im Berliner Dom; 16.30 | |
–17.30 Uhr: Festakt im Roten Rathaus | |
3 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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