# taz.de -- Erdgasförderung in Groningen: Es bleibt ein Zittern | |
> Die Erdgasförderung in Groningen wird nach langen Protesten gegen diese | |
> Fördertechnik gestoppt. Doch das Problem hat sich damit nicht erledigt. | |
Bild: Protest gegen die Gasförderung im August 2018 vor dem Zaun der Anlage in… | |
Groningen taz | Seit dem letzten Sommer hat die niederländische Provinz | |
Groningen eine neue Fahne. Nicht offiziell zwar, doch zumindest trifft man | |
sie regelmäßig vor Häusern oder Bauernhöfen an. Genau wie die bislang | |
bekannte Fahne besteht sie aus jeweils zwei diagonal angeordneten roten und | |
blauen Rechtecken. Getrennt werden sie allerdings nicht durch ein grünes | |
Kreuz, sondern durch die seismografische Aufzeichnung eines Erdbebens in | |
der gleichen Farbe. Ein Webshop verkauft neben der Fahne in allerlei | |
Formaten auch Aufkleber, Shirts und Handy-Hüllen. Die Botschaft dazu: „Wir | |
haben es satt, auf welche Art mit uns umgesprungen wird. Wir hängen diese | |
Flagge raus, um unseren Unmut, unseren Schaden, unsere Solidarität zu | |
zeigen.“ | |
Ausgedacht hat sich die Fahne Mark van Esveld. Im Dorf Beerta, 40 Kilometer | |
östlich der Stadt Groningen, nahe der deutschen Grenze gelegen, betreibt er | |
das Restaurant „Smederij 1872“. „Das Gebäude steht unter Denkmalschutz u… | |
ist auch gehörig beschädigt“, so van Esveld zur taz. Das ist kein | |
Einzelfall, denn zwischen Sommer 2012 und Ende Januar 2019 gab es weit mehr | |
als 97.000 Schadensmeldungen in der Region. Fällt im Rest der Niederlande | |
der Name Groningen, denken die Menschen ans Wattenmeer, die 400 Jahre alte | |
Rijksuniversiteit, an Arjen Robben – und vor allem an Erdbeben. | |
Begonnen haben die Beben in den 1990er Jahren. Ab 2003 nahm ihre Frequenz | |
zu. Der Grund: das Groninger Gasfeld, mit einer Kapazität von ursprünglich | |
rund 2.800 Milliarden Kubikmetern eines der 20 größten der Welt. Seit 1963 | |
fördert die niederländische Erdöl-Gesellschaft NAM, ein Joint Venture von | |
Shell und Exxon Mobil, hier Gas – mit konventionellen Methoden, wobei das | |
Gas dank des natürlichen Drucks durch Bohrlöcher nach oben strömt. Durch | |
die Bohrungen werden die Gesteinsschichten porös, und ihre unterschiedliche | |
Dichte lässt den Boden erzittern. Fracking wurde in Groningen nie | |
angewendet. | |
Gemessen am Rest der Niederlande ist die Provinz Groningen ziemlich dünn | |
besiedelt. Doch für ein Gasfeld dieser Dimension wohnen darüber im | |
Nordosten des Landes vergleichsweise viele Menschen. Dass bei denen die | |
Erde immer häufiger wackelte, nahm man in den anderen Provinzen zur | |
Kenntnis – mehr aber lange Zeit auch nicht. Was wiederum bemerkenswert ist, | |
da das Land nach der Entdeckung des Gasfeldes zügig und flächendeckend auf | |
Erdgas umstellte. Als die Beben im neuen Jahrtausend immer häufiger und | |
heftiger wurden, waren ganze 97 Prozent der Haushalte vom Groninger Gas | |
abhängig. | |
Im Erdbebengebiet jedoch wuchs der Unmut: über die Risse in immer mehr | |
Gebäudemauern, über Häuser, die an Wert verlieren, sowie das langsame | |
Absinken des Bodens. Und die Ignoranz, mit der man sich vom „Westen“ | |
behandelt fühlt – dem politisch und wirtschaftlich dominanten Ballungsraum | |
mit Den Haag und Amsterdam, wo man den Rest des Landes gern als „Bauern“ | |
bezeichnet. | |
Was die „Gasbeben“ betrifft, warf man den Groningern vor, sie bauschten das | |
Gefährdungsniveau bloß auf: weil diese Beben auf der Richterskala meist | |
unter 2 Punkten liegen. Vergessen wird dabei allerdings, dass induzierte | |
Beben, anders als tektonische, relativ dicht unter der Oberfläche | |
stattfinden. Daher werden auch bereits leichte Stöße deutlich wahrgenommen | |
und haben ein höheres zerstörerisches Potenzial. | |
Nicht zuletzt als Ergebnis dieses Konflikts entsteht 2009 die | |
Bürgerinitiative Groninger Bodem Beweging (GBB). In den folgenden Jahren | |
werden die Aktivisten landesweit bekannt, denn bald darauf springt mit der | |
Fördermenge auch die Zahl der Erdbeben in die Höhe. 2011 sind es mehr als | |
80 pro Jahr, 2012 fast 100, 2013 gar mehr als 120. Im August 2012 wird bei | |
Huizinge mit 3,6 auf der Richterskala das stärkste aller Beben gemessen. | |
Das meteorologische Institut KNMI prognostiziert kurz darauf zukünftig | |
Magnituden zwischen 4 und 5. „Groningen“ wird zum nationalen Reizthema, bei | |
Ortsbesuchen des damaligen Wirtschaftsministers Henk Kamp ist die Stimmung | |
aufgeheizt. | |
Als auch die Minenbaubehörde SodM rät, im Namen der Sicherheit in der | |
Region die Fördermenge schnell und drastisch zu senken, ist klar: Ein | |
Festhalten am Groninger Gas ist fahrlässig und unverantwortlich. 2014 | |
kündigt der Wirtschaftsminister an, das Volumen drei Jahre lang um 80 | |
Prozent zu reduzieren. Doch die Zahl der Beben sinkt nur vorübergehend und | |
liegt 2017 wieder bei über 120. 2018 beschließt die Regierung in Den Haag, | |
die Gasgewinnung 2030 einzustellen, nicht zuletzt unter dem Eindruck eines | |
weiteren schweren Bebens nahe beim Dorf Zeerijp mit Stärke 3,4. | |
Im Mai 2019 wackelt die Erde bei Westerwijterd (Magnitude 3,2). Nachdem | |
sich Premier Mark Rutte im Parlament bei den Groningern entschuldigt, macht | |
die Regierung im September bekannt, dass der Gaskran schon 2022 geschlossen | |
wird. 2020 soll die Menge bereits unter der als sicher geltenden Grenze von | |
12 Milliarden Kubikmeter liegen. Als Notfalllösung für kalte Winter soll | |
die Option „Groningen“ indes bis 2026 erhalten bleiben. Derwin Schorren, | |
Vizevorsitzender der Groninger Bodem Beweging, zieht ein ambivalentes | |
Fazit: „Natürlich ist es ein Erfolg, dass der Gaskran zugeht. Aber bis das | |
wirklich geschieht, ist es 2026, und dann halten die Beben mindestens noch | |
bis 2028 an.“ | |
Die jüngsten Entwicklungen geben Schorren Recht. Wie das meteorologische | |
Institut just bekanntmachte, gab es auch 2019 noch 87 Erdbeben, das letzte | |
– schwache – an Silvester. Elf davon erreichten 1,5 oder mehr auf der | |
Richterskala. 2018 waren es 90 insgesamt und 15 von minimaler Stärke 1,5. | |
„Die Abnahme der Förderung führt zu weniger Beben, und damit sinkt auch die | |
Chance auf schwerere“, so Läslo Evers, Leiter der Seismologie-Abteilung am | |
KNMI, zur taz. „Der Beschluss, die Gasgewinnung zu stoppen, ist darum | |
richtig. Trotzdem können die Beben auch danach noch jahrelang anhalten. Und | |
wie viele Jahre das sind, lässt sich nicht sagen.“ | |
## Schnelle Inspektion gefordert | |
Aus genau diesem Grund mahnt die GBB zur Eile. „Es ist wichtiger denn je, | |
dass sich Den Haag mit Groningen beschäftigt“, heißt es in einer | |
Pressemitteilung von Ende des Jahres, die sich auf einen aktuellen | |
Gesetzesentwurf bezieht, der Reparatur-Prozedur von 26.000 beschädigten | |
Häusern regeln soll. Nötig sei, so die GBB, schnelle Inspektion und | |
unkomplizierte Verstärkung der betroffenen Gebäude. Dass die Aktivisten auf | |
diesem Punkt bestehen, ist kein Zufall: Die Behandlung der Schadensfälle | |
durch eine unabhängige Kommission ohne Beteiligung der NAM war jahrelang | |
umstritten. | |
Hinzu kommt eine Klage der Stiftung „Wertverminderung durch Erdbeben | |
Groningen“, die von der Niederländischen Erdöl-Gesellschaft insgesamt 122 | |
Millionen Euro fordert, um die finanziellen Verluste von rund 5.000 | |
Bewohnern der Region auszugleichen. Man beruft sich dabei auf ein | |
Gerichtsurteil von 2015, wonach die Betreiberin des Groninger Gasfelds für | |
solche Verluste verantwortlich gemacht werden kann. Ein anderes Gericht in | |
Leeuwarden urteilte im Dezember, dass die NAM auch für immateriellen | |
Schaden und psychisches Leiden von Erdbebenopfern aufkommen muss. Die | |
Initiative GBB wiederum bereitet derzeit eine strafrechtliche Klage gegen | |
die Betreiberin vor. | |
## Die Gewinne landen woanders | |
Ob die Groninger auch vom Gas profitiert hätten, ist eine Frage, die sich | |
dem GBB-Vizevorsitzenden Schorren nicht stellt. „Wie alle Niederländer | |
konnten wir damit kochen und unsere Häuser aufwärmen. Aber von den Gewinnen | |
ist nicht mal ein Prozent in Groningen gelandet. Furchtbar viele | |
Arbeitsplätze hat es auch nicht gebracht, das Hauptquartier der NAM liegt | |
in der Provinz Drenthe und benötigt vor allem hoch ausgebildetes Personal, | |
das man von anderswo holen kann“, sagt Schorren. „Klar hat die NAM oder | |
Shell im Lauf der Jahre viele Dorfinitiativen und Sportveranstaltungen | |
gesponsert, aber das ist eher in der Kategorie ‚Brot und Spiele‘, damit die | |
lokale und regionale Politik ruhig bleibt.“ | |
Knapp 60 Jahre Förderung haben das Groninger Gasfeld zu gut 80 Prozent | |
geleert. Das machte das niederländische Statistikamt CBS 2019 bekannt. Die | |
Gewinne für den Staatshaushalt belaufen sich demnach auf 416,8 Milliarden | |
Euro. Für Derwin Schorren ist es an der Zeit, dass man in den Niederlanden | |
eine neuen Blick auf die Erdgas-Provinz im abgelegenen Nordosten einnimmt: | |
„Mitleid mit den Groningern ist schön und gut, aber bisher durfte sich das | |
natürlich nicht aufs eigene Portemonnaie oder die Energieversorgung | |
auswirken.“ | |
6 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Tobias Müller | |
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