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# taz.de -- Trendsport Weihnachtssingen: Choräle der Heimeligkeit
> Es gibt kaum ein Fußballstadion, in dem derzeit nicht gesungen wird.
> Fußballfans feiern den Advent, und die Kirche freut's.
Bild: „O, du Fröhliche“: Fußballfans üben sich in christlichen Ritualen
„Stille Nacht, Heilige Nacht“ tönte es bereits aus dem Signal-Iduna-Park in
Dortmund. 68.000 beseelte Menschen haben mitgesungen, viele davon in ihrer
gelb-schwarzen Fangarderobe. Diese Art von Besinnlichkeit – wenn auch in
blau-weiß – war schon aus der Veltins-Arena auf Schalke zu vernehmen. In
den Stadien von Magdeburg, Aachen und Köln und an anderen Standorten steht
das alljährliche Weihnachtssingen noch bevor. Allein in diesem Jahr sind
sechs neue Singstadien dazugekommen – Chemnitz, Rostock und Leverkusen
etwa.
Der Transfer christlicher Bräuche in die Kathedralen des deutschen Fußballs
boomt. Das Bedürfnis, jene Orte, an denen die Volksseele ansonsten ganz
ungezwungen sein darf („Ihr seid Scheiße wie der BVB“, „Hurensöhne“, …
dich DFB“) in irgendwie weihnachtliche, heimelige Stimmungsbuden zu
verwandeln, scheint unerschöpflich zu sein.
Beim 1. FC Union Berlin hat alles angefangen. Bis heute mischen sich dort
beim Weihnachtssingen zarte Töne („Ihr Kinderlein kommet“) mit dem immer
wiederkehrenden Schlachtruf „Eisern Union“. Irgendwann dazwischen kommt mal
die Weihnachtsgeschichte. Fehlt zur Abrundung dieser eigentümlichen
Mischung eigentlich nur der Stadiongassenhauer der Glückseligkeit: „So ein
Tag, so wunderschön wie heute....“
Es gab ja mal Zeiten, da war den Kirchen der Fußball mit seinen
ersatzreligiösen Zügen suspekt. Dass etwa einzelne Spieler in den Stadien
von den Fans als „Fußballgott“ verehrt wurden, war ein beliebter Stoff für
moralinsaure Predigten von den Kanzeln. Man hat sich eines Besseren
besonnen. Die Kirchen sind zu offenherzigen Dienstleistern geworden. Dem
eher weltlich orientierten Publikum geben Pfarrer und Priester in den
Stadien ihren Segen. Fürs weihnachtliche Wohlgefühl liefern sie das
Weihevolle frei Haus.
## Nazis mit Herz
Vielerorts treten sie auch als Mitveranstalter auf wie die Vereinigung
Christen in Magdeburg (CiMD ). Dort kam allerdings die Idee zum
Weihnachtssingen aus einer anderen Ecke. [1][Jörg Alsleben], der vor
zwanzig Jahren wegen seiner Beteiligung an einer Hetzjagd von Neonazis auf
Migranten vor Gericht kam und dieses Jahr im Trauerzug für Thomas Haller,
den verstorbenen Mitbegründer der HooNaRa (Hools Nazis Rassisten), zu
finden war, hatte mit seinem Kumpel Guido Völpel den Anstoß für das
herzerwärmende Event gegeben. Beide sind leidenschaftliche Anhänger des 1.
FC Magdeburg. Die Christen in Magdeburg erwiesen sich ebenfalls als
begeisterungsfähig.
Es ist da eine ganz besondere Liaison zwischen dem Fußball und den Kirchen
entstanden. Wenn die Menschen nicht in die Kirchen kommen, müssen diese
eben zu den Menschen kommen. Oder man lässt die Kuttenträger wie in Köln
vor Saisonbeginn im Dom unter Orgelbegleitung ihr Vereinslied singen –
schwankend mit emporgehaltenen rot-weißen Schals.
Die kirchlichen Dogmatiker von einst sind so biegsam wie Weltklasseturner
geworden. In Dortmund kündete der Moderator beim Weihnachtssingen mit einer
ins Moll umschlagenden Stimme das nächste Lied an: „You'll Never Walk
Alone“. Für die Menschen, die jetzt ganz alleine sind, erklärte er. Die
Vereinshymne des FC Liverpool, die sich fast alle zu eigen gemacht haben,
ist vor zwei Jahren bereits auch von evangelischen Landeskirchen in ihr
erweitertes Gesangbuch aufgenommen worden.
Wie so viele Partner und Sponsoren des Fußballs träumt man in den Kirchen
wohl von einer Win-win-Situation. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt
jedenfalls: Da ist noch einiges möglich. Wie wäre es etwa mit dem
Bekenntnis aus der Kurve: „Steht auf, wenn ihr für Christus seid.“
20 Dec 2019
## LINKS
[1] https://de.indymedia.org/node/376
## AUTOREN
Johannes Kopp
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