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# taz.de -- Weihnachtssingen in der Alten Försterei: Union, du Fröhliche, du …
> 2003 entstand aus der sportlichen Not heraus das Weihnachtssingen des 1.
> FC Union. Union-Fan Torsten Eisenbeiser über seine Erfindung – und ein
> Omen.
Bild: Tausende singen ganz beseelt mit: Weihnachten in der Alten Försterei im …
taz: Herr Eisenbeiser, im Dezember vor 20 Jahren steckte Union als
Zweitligist in einer schweren sportlichen Krise, ähnlich wie jetzt. Welche
Erinnerungen haben Sie daran?
Torsten Eisenbeiser: Es war tiefster Winter, fürchterlich kalt, trostlos.
Die Mannschaft kriegte keine Bälle ins Tor und machte oft ein grottiges
Spiel. Das sorgte für eine gewisse Frustration.
Die Niederlagenserie in den letzten Wochen war ja noch heftiger. Trotzdem
hatte man den Eindruck, dass die Fans mit der Situation relativ gefasst
umgingen. Als sei vielen klar gewesen, dass nach so viel Erfolg ein Tal
kommen musste, wenn auch nicht so tief.
Dass es nicht so erfolgreich weitergehen konnte, war selbstverständlich.
Wir hatten ja jedes Jahr in der Bundesliga ein besseres Ergebnis erzielt.
Mit so einem Absturz haben wir allerdings nicht gerechnet, deshalb war in
den letzten Wochen schon viel Enttäuschung zu spüren. Trotzdem gibt es
einen engen Zusammenhalt in der Union-Familie, das Stadion war ja auch
zuletzt immer ausverkauft. Wenn jemand vielleicht wegbleibt, sind natürlich
inzwischen viele andere da, die die Karte nehmen. Selbst nach den ganzen
Heimpleiten haben die Fans „Eisern Union!“ und „Weiterkämpfen!“ skandi…
Das war 2003 anders?
Wir sind damals viel mehr mit hängenden Köpfen aus dem Stadion getrottet.
Deshalb hatte ich auch den Gedanken: Was macht man jetzt eigentlich mit der
Situation? Ich habe dann gesagt, wir müssten uns noch mal treffen vor dem
Weihnachtsfest. Das Problem war, dass es noch nicht diese Vernetzung durch
das Internet gab, mit Fanforen, Facebook-Gruppen oder Sprachnachrichten auf
die Schnelle. Wir konnten uns also nicht fix untereinander austauschen. In
gewisser Hinsicht war die Fanszene etwas anonymer. Man stand zwar immer mit
den gleichen Gesichtern beieinander, aber man kannte nicht so die Namen,
wusste nicht, aus welchen Ecken die anderen Fans kamen. Nur durch
Mundpropaganda und Telefonanrufe haben wir dann rumerzählt, dass wir noch
mal zusammenkommen wollen, einen Glühwein trinken, ein paar Worte
miteinander reden und uns ins Weihnachtsfest verabschieden.
Sie haben dann Mitglieder des [1][Fanklubs „Alt-Unioner“]
zusammengetrommelt und sind ins Stadion eingedrungen?
Wir waren 89 Leute und sind irgendwie ins Stadion, das noch alt und marode
war. Mit Hilfe des Internets hatte ich ein paar Liedzettel
zusammengestellt. Die Suche gestaltete sich noch etwas mühseliger als
heute. Ich habe ein Lied eingegeben, dass mir einfiel, dann habe ich danach
gesucht, es mühselig ausgedruckt, vergrößert und am Ende über einen
Kopierer vervielfältigt. Mit den Zetteln sind wir am Tag vor Heiligabend um
19 Uhr zum Stadion An der Alten Försterei und haben uns so halb legal
Zutritt verschafft. Da standen wir dann auf den kaputten Traversen, so auf
Höhe Mittellinie, jeder mit einer Kerze in der Hand und sangen „O du
Fröhliche“ und „Kling Glöckchen“.
Aus den 89 wurden mit den Jahren Zehntausende und wenn man es genau nimmt
Hunderttausende, weil es jetzt auch woanders Weihnachtssingen im
Fußballstadion gibt.
Ja, das hat eine Entwicklung genommen, die nicht vorhersehbar war.
Hatten Sie 2003 gleich die Hoffnung, dass es nicht das einzige
[2][Weihnachtssingen] bleiben würde?
Am 23. Dezember nicht, aber am 24. merkte man schon, dass die Aktion
Aufsehen erregte. In einigen Berliner Zeitungen gab es kleine Berichte und
im noch in den Anfängen steckenden Internet tat sich auch einiges. Zwischen
den Feiertagen haben wir telefoniert und eigentlich wurde dabei schnell
klar, dass wir das Weihnachtssingen im nächsten Jahr wiederholen müssten.
Irgendwer sagte: Mal sehen, wie es fällt. Aber ich meinte: Egal, wie es
fällt, wenn, dann machen wir es wieder am 23. Dezember. Und so wurde es
relativ schnell beschlossen.
Dreimal ist es seit 2003 ausgefallen …
… aber nur im Stadion. 2008 haben wir während des Stadionumbaus im
Luisenhain vorm Rathaus Köpenick mit 7.500 Menschen gesungen. Und in der
Coronazeit war das Stadion zweimal geschlossen, weshalb wir uns was anderes
überlegt hatten.
Was denn?
Damals stellten sich ja viele auf ihren Balkon, um für die Pflegekräfte zu
klatschen. Also hatten wir uns gefragt, warum sollen wir uns nicht auch
jeder auf seinen Balkon stellen und am 23. Dezember Weihnachtslieder
singen? Die Idee hat der Verein aufgenommen und dann wurden Liederbücher
gedruckt, die man sich im Fanshop abholen konnte. Dafür musste man extra
Einkaufsslots buchen. Das haben viele getan und sie bekamen dann eine
Kerze, einen Weihnachtssingschal und ein Liederbuch.
Haben Sie auch zu Hause auf dem Balkon gesungen?
Wir haben 19 Uhr unterm Carport gesungen, das Auto rausgefahren und ein
Glühweintöpfchen aufgesetzt. Ein paar Nachbarn waren auch dabei, natürlich
auf Abstand.
Nächstes Jahr könnte wieder ein Ausweichort gesucht werden müssen, weil der
erneute Stadionumbau in Köpenick ansteht, oder?
Na ja, wenn man sich die Planungs- und Bauphasen so anguckt, da gehe ich
man eher von 2025 aus.
Union spielte in der Champions League im Olympiastadion und wird auch
während der Erweiterung des Stadions An der Alten Försterei dorthin
ausweichen. Würde Sie ein Weihnachtssingen mit über 70.000 Menschen reizen?
Nicht wirklich. Wir haben zwar zuletzt mal unseren Gedanken freien Lauf
gelassen, weil wir in der Champions League dort spielten, und da meinte
ich, mit dem Innenraum würde man wohl mehr als 70.000 Besucher haben.
Theoretisch hätte man das dieses Jahr machen können, aber es war ja nicht
notwendig, weil unser Zuhause, die Alte Försterei, frei ist. In zwei Jahren
sieht die Sache vielleicht anders aus und dann muss man sehen, wohin man
dann ausweicht. Aber das ist noch weit weg.
Mittlerweile ist das Weihnachtssingen im ganzen Land verbreitet. In
Köpenick singen nur die Fans, in anderen Stadien auch prominente Künstler.
Wie finden Sie das?
Die lassen sich woanders halt eher berauschen und zahlen Eintritt, als wenn
sie ins Theater gehen. Mich stört das nicht. Ob da nun eine Band oder ein
Freizeitchor singt, muss jeder Verein für sich entscheiden. Ich finde es
nur schade, dass sie sich nicht trauen, es am 23. zu machen, was ich
charmanter fände. Im seltensten Fall findet dann ja ein Bundesligaspiel
statt.
Wurden Sie als Erfinder mal zu einem Weihnachtssingen woanders eingeladen
oder um Rat gefragt?
Ich wurde mehrmals um Rat gefragt, in Köln, in Oberhausen, auch in
Österreich. In Oberhausen haben sie dann irgendwann in den Nullerjahren
auch ein Weihnachtssingen veranstaltet mit einem Streichorchester, aber das
war wohl ein Reinfall. Sie hatten es zwei Stunden nach einem Spiel
durchgeführt, wo die Leute ja oft schon einige Bier intus haben. Da war ich
schon skeptisch. Nach Köln wurde ich auch mal eingeladen, aber das ging
zeitlich nicht. 2019 sollte ich mal ein Weihnachtssingen beim thüringischen
Verein Kali Werra Tiefenort organisieren. Das fiel dann aber auch wegen
Corona aus. Inzwischen bin ich jedoch Dauerkarteninhaber bei dem Verein.
Wie blicken Sie heute auf Ihre Erfindung?
Sie passierte damals einfach so, es war fast wie eine Gabe. Ich habe die
Mitorganisation des Weihnachtssingens inzwischen abgegeben. Letztes Jahr
war ich als reiner Besucher da und bin zum ersten Mal im Leben durch den
Gästeblock ins Stadion gegangen. Ich bin eine halbe Stunde vor Beginn
durchs Stadion geschlendert, um mal zu spüren, was eigentlich aus meinem
Ursprungsgedanken entstanden ist.
Und wie war das?
Ich habe laut vor mich hingemurmelt: Was wollen die eigentlich alle hier?
Mein Schwiegersohn, der mich begleitete, sagte: Torsten, die sind alle
wegen dir hier. Du hast das angezettelt. Da hatte er nicht ganz unrecht.
Inzwischen kommen auch viele Gäste von außerhalb, es scheint fast eine
Touristenattraktion, oder?
Es stimmt, es kommen sogar viele internationale Gäste. Selbst der
Botschafter von Schweden war mal da. Oder einmal kam ein evangelischer
Bischof aus Dresden angereist, der lief ganz normal mit einem kleinen
Rucksack auf dem Rücken durch die Reihen. Auch Union-Spieler waren unter
den Besuchern, so wie Christian Stuff mit seinen Kindern.
Was wünschen Sie sich zu Weihnachten in Bezug auf Union?
Dass die Mannschaft sich entspannen kann, über die Feiertage Kraft sammelt
und Anfang Januar wieder mit freiem Kopf Vollgas gibt.
Vor 20 Jahren gelang der Klassenerhalt nicht. Ein böses Omen?
Nein. Wir sind zwar weit weg von der Form, die wir in den letzten drei
Jahren hatten. Ich habe aber immer noch ein gutes Gefühl bei unserem Kader.
Inzwischen wurde der Trainer ausgewechselt, was für uns allen weh tat. Wir
hätten uns alle gefreut, wenn Urs Fischer noch da wäre. Aber vielleicht war
es dann doch genau der richtige Punkt an der richtigen Stelle, um die
Mannschaft wachzurütteln. Ich bin guter Hoffnung für den Klassenerhalt.
22 Dec 2023
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## AUTOREN
Gunnar Leue
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