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# taz.de -- Ein Stallbesuch bei der Bundeswehr: Von Eseln und Vätern
> 100 Tannen, 70 Menschen, ein Esel, zwei Ziegen und viele Schafe – ein
> Krippenspiel der Extraklasse. Zu Besuch bei der Bundeswehr in Bad
> Reichenhall.
Bild: Sieht aus wie echt
Soldaten reiten Esel, schmusen Lämmer und bekommen von Gott ein Kind
geschenkt – das Krippenspiel in der Kaserne von Bad Reichenhall zeigt eine
andere Seite der Bundeswehr.
Draußen: Bad Reichenhall ist eingekesselt von Bergen. Ihre Gipfel sieht man
heute nicht, Wolken haben sie umhüllt. Es ist ein kalter Freitag Mitte
Dezember und es nieselt. Am Eingang der Kaserne, in der die Stallweihnacht
gefeiert wird, ist ein vier Meter hohes Fresko von 1936, das
Wehrmachtssoldaten zeigt. Eine Informationstafel warnt vor den Gefahren des
Nationalsozialismus.
Drinnen: Hier sind die „Mulitreiber“ stationiert. Die letzte Einheit in der
Bundeswehr, die noch mit Maultieren arbeitet. Ställe sind in Hufeisenform
angeordnet. In ihrer Mitte ist ein Freilauf, in dem die Tiere Heu fressen,
im Stroh liegen, schlafen. Es ist kurz vor sechs Uhr abends und ziemlich
dunkel in der Alpenlandschaft. Es riecht nach Glühwein und Bratwurst.
Die Stallweihnacht: 1962 gab es die Stallweihnacht zum ersten Mal. Der
Dienstherr wollte damals den Soldaten, die an Weihnachten Stallwache hatten
– also auf die Tiere aufpassten und deshalb nicht bei ihrer Familie sein
konnten – ihren Dienst mit einer Feier versüßen. Mit einer Holzkarre, die
es heute noch gibt, wurde den Tieren spezielles Weihnachtsfutter kredenzt.
Aus dieser kleinen Feier hat sich mittlerweile ein Krippenspiel entwickelt,
zu dem jährlich fast 3.000 Menschen aus dem Umland kommen.
Maultiere und Maulesel: Ein Hauptfeldwebel führt das Maultier Achilles
durch den Regen in die Reithalle. Er erklärt die Eselsbrücke, die Soldaten
hilft, sich den Unterschied zwischen Maultieren und Mauleseln zu behalten.
„Bei den Maultieren ist es wie bei den Menschen“, sagt er, „der Esel ist
immer der Vater“. Im Gegensatz zu den Mauleseln, die eine Eselsmutter
haben. Achilles übernimmt die Rolle des Esels, der die Jungfrau Maria vor
etwa 2020 Jahren nach Nazareth getragen hat.
Publikum: Auf der Tribüne finden 750 Leute Platz. Fast alle Stühle sind
besetzt. Die Leute tragen Mützen und Jacken und Schals, kleine Atemwölkchen
steigen in die kalte Luft. Die erste Reihe ist reserviert für Soldaten, die
Eichenlaub auf ihren Schultern tragen – für hohe Dienstgrade also und für
eingeladene Gäste.
Kulisse: Die Inzeller Alphornbläser beginnen die Aufführung mit einer
serenadenartigen Melodie. Sie stehen inmitten der Reithalle und liefern mit
ihren meterlangen Instrumenten den Alpensoundtrack. Hinter ihnen ein
Schuppen, in dem ein rotgoldbraun gescheckter Ochse im Heu steht und
futtert. Links daneben, in einem Feld aus Stroh, sitzen die Hirten. Auf der
gesamten Längsseite hinter dem Schuppen haben die Soldaten über 100 Tannen
aufgestellt, die zwischen 1,20 und 6 Meter groß sind.
Geduschte Darsteller: Das kleine Lamm Anton tapst zwischen den
Schauspielern umher. Es sieht aus wie ein flauschiges, prall gefülltes
Kopfkissen, mit kurzen Beinchen. Hufschmied und Stabsunteroffizier Karl
Wellinger erklärt, wie sie das Tier so „schee griagd hom“. „Mia hom des
Lamm a Woch lang jedn Dog gwaschn“, eine tägliche Dusche ist das Geheimnis.
Und damit Anton nicht krank wird, haben sie ihn auch wieder trocken
geföhnt. Stolz streicht Wellinger über Antons Fell und schmust ihn.
Lukas wäre stolz: „Sei gegrüßt, Begnadete“, klingt eine göttliche Stimm…
die sich an die Soldatin Nadine Brandl, alias Maria, richtet. „Der Herr ist
mit dir.“ Sie bekommt nun vom Engel Gabriel erzählt, dass Gott ihr den
kleinen Jesus schenken wird. Alles so, wie man das aus dem Lukasevangelium
kennt. Auftritt: Maultier Achilles. Das Tier wackelt gemächlich über die
Bühne. Sein Fell ist schwarzbraun und glänzt. Sein Bauch ist kugelrund und
während er die Jungfrau auf seinem Rücken trägt, knabbert er auf seinem
Führhalfter herum. Er wird von dem Soldaten Basti Goedecke, der Josef
spielt, geführt.
Aufwand: Alle Soldaten sind freiwillig dabei und haben sich neben ihrem
normalen Dienst der Stallweihnacht gewidmet; die Abläufe geprobt, die
Tribüne aufgebaut, den Wald haben sie auch selber geschlagen. Insgesamt
sind über 70 Leute beteiligt. Musiker, Soldaten und auch Kinder, die kleine
Rollen übernehmen.
Zusammenhalten: In einer Ecke der Bühne sitzen die Hirten zusammen an einem
Tisch auf dem eine echte Brotzeit steht. Gouda, Speck und Brot; dazu
Humpen, an denen sie hin und wieder nippen. Georg Eich ist mit 9 Jahren der
jüngste Schauspieler, er leckt hirtenmäßig an einem Kochlöffel und hat
stets die Tiere im Blick. Wie das für Hirten so üblich ist, sind sie auch
hier den ganzen Abend damit beschäftigt, die Tiere zusammenzuhalten.
Tierisches Chaos: Wieder und wieder büxen die Schafe aus und wieder und
wieder holen die Hirten sie zurück. Georg bekommt dabei leuchtende Augen
und ein fettes Grinsen. Manchmal tragen sie die Tiere dann auf dem Arm
zurück. Derweil fangen die Ziegen an, miteinander zu kämpfen. Sie stoßen
ihre Köpfe aneinander. Klack, klack.
Ohne die Chefin: Ziegen sind in matriarchalen Strukturen organisiert. Ein
bisschen wie die Bundeswehr. Eigentlich wollte die Verteidigungsministerin,
Annegret Kramp-Karrenbauer, auch kommen, doch die sagte leider kurzfristig
ab. Die Oberfeldveterinärin Heike Henseler, die Chefin der Maultiereinheit,
ist „schon ein bisschen enttäuscht“, sagt sie. Es hätte sie sehr gefreut,
wenn sie gekommen wäre. Die Einheit habe sich ja auch darauf eingestellt.
Hoch oben: Maria und Josef haben derweil ihre Schlafstätte, den Ort der
Niederkunft, erreicht und nebenan erscheint ein goldener, schwindelfreier
Engel den Hirten aus der sechs Meter hohen Krone einer Tanne.
Könige: Schließlich haben sich auch die drei Könige aus dem Morgenland in
Bethlehem eingefunden. Kaspar, Melchior und Balthasar laufen mit gesenktem
Haupt auf die Krippe zu und werden dabei von einem leuchten Stern
begleitet. Der vorderste, Kaspar, ist schwarz angemalt und man erkennt sein
Gesicht nicht in der Dunkelheit. Kritiker nennen das Blackfacing und
verweisen dabei zumeist auf koloniale und rassistische Wurzeln.
Umgang mit Kritik: „Solang wir keinen Schwarzen Soldaten haben, der
mitspielt, muss ich eben improvisieren“, sagt Hauptfeldwebel und Regisseur
Matthias Havel. Sie hätten auch schon viel Kritik von Tierschützern
bekommen, weil sie dem kleinen Lamm Anton durch die tägliche Dusche das
Wollwachs rausgewaschen hätten. „Das nächste Mal werden wir kritisiert,
weil unsere Motorsägen mit Diesel laufen“, sagt ein Soldat von der Seite.
Ein weiterer ergänzt: „Oder weil manche Futterschalen aus Plastik sind.“
Eselsbrücke: Zum Schluss hin lacht das Publikum immer lauter, weil die
Schafe und Ziegen umherlaufen und tun, was ihnen beliebt. Ansonsten ist
alles wies im Buche steht: Jesus geboren, Geschenke überreicht, Stern am
Himmel. Bliebe zum Schluss nur noch eines festzustellen: Dass der liebe
Gott der Vater vom kleinen Jesus ist, macht ihn – glaubt man der
Eselsbrücke der Soldaten – auch zum Esel.
23 Dec 2019
## AUTOREN
Clemens Sarholz
## TAGS
Krippenspiel
Bundeswehr
Weihnachten
Bundeswehr
Fußball-Bundesliga
Schwerpunkt Pestizide
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