| # taz.de -- Gewalt in der Psychiatrie: Ein gefährlicher Arbeitsplatz | |
| > Der Betriebsrat im Klinikum Bremen Ost schlägt Alarm: Patient*innen | |
| > würden häufiger und heftiger gewalttätig gegen Pfleger*innen. | |
| Bild: „Trend zur Verrohung“: Ein Flur am Klinikum Bremen-Ost | |
| BREMEN taz | Vor wachsender Gewalt in der Psychiatrie warnt der Betriebsrat | |
| des Klinikums Bremen Ost. In einem aktuellen internen Rundschreiben an die | |
| Mitarbeiter*innen heißt es: „In letzter Zeit erreichen uns immer | |
| häufiger die Mitteilungen von Übergriffen auf Kollegen und Kolleginnen | |
| durch Patienten in der Psychiatrie.“ Gewalt habe es immer gegeben, aber sie | |
| sei massiver geworden. Der Betriebsrat schreibt weiter, er erwarte, dass | |
| der Arbeitgeber die Mitarbeiter*innen schützt. „Niemand sollte | |
| ertragen müssen, körperlichen und/oder psychischen Schaden zu erleiden.“ | |
| Die Klinik bestätigt den Eindruck des Betriebsrats, dass die Art der | |
| Übergriffe sich verändert habe. „Wir erleben auf den Stationen dasselbe, | |
| wie es auch Polizisten und Rettungskräfte schildern“, sagt Karen Matiszick, | |
| Sprecherin des städtischen Klinikverbunds Geno, zu dem auch das Klinikum | |
| Ost gehört. „Es gibt in der Gesellschaft einen Trend zur Verrohung, die | |
| Bereitschaft zuzuschlagen steigt und die Hemmschwelle sinkt.“ | |
| Die Geno reagiere als Arbeitgeber mit gezielten Deeskalationstrainings. Das | |
| Problem sei nur, dass die Übergriffe häufig so schnell geschehen, dass gar | |
| keine Zeit zur Reaktion bleibe. Das bestätigt ein Mitglied des | |
| Betriebsrats, die nicht namentlich genannt werden möchte. „Die | |
| Kolleg*innen sagen uns, dass viele Patienten ohne Vorwarnung | |
| explodieren.“ Früher, also vor etwa fünf Jahren, habe sich das meistens | |
| langsam aufgeschaukelt, heute gehe es direkt zur Sache. Und dann auch | |
| deutlich härter als selbst langjährige Mitarbeiter*innen es kennen. Es | |
| gebe Kolleg*innen, die aufgrund der erlittenen Verletzungen | |
| traumatisiert seien und nicht mehr auf den Arbeitsplatz zurückkehren. | |
| Dabei treffe es alle, wobei Frauen häufiger als früher verbal bedroht und | |
| beleidigt würden. „Ich fick dich“ etwa würden sie zu hören bekommen. | |
| Meistens von Männern, die aufgrund ihrer Sozialisation keinen Respekt vor | |
| Frauen hätten. Grundsätzlich ließe sich die Zunahme der Übergriffe aber | |
| nicht darauf zurückführen, dass mehr Männer mit Migrationshintergrund und | |
| vor allem Fluchterfahrung in der Psychiatrie landen, sagt die | |
| Betriebsrätin. „Das macht der gemeine Deutsche genauso.“ Häufig seien | |
| Drogen wie Crystal Meth oder andere gepanschte Stoffe dafür verantwortlich, | |
| dass jemand überhaupt keine Steuerung mehr habe und austicke. | |
| Auch eine schlechte Personalausstattung hält sie nicht für | |
| hauptverantwortlich. „Das kann man für die Psychiatrie so nicht sagen.“ Es | |
| könne sich aber ändern, weil es sich natürlich herumspreche, dass es in der | |
| Psychiatrie zu Übergriffen komme, und daher weniger Leute bereit seien, | |
| dort zu arbeiten. „Ich bewundere die, die es machen, dafür, dass sie immer | |
| noch versuchen, das Beste für die Patienten herauszuholen.“ | |
| Der Forderungskatalog an die Geno ist angesichts der Schwierigkeit, auf die | |
| Probleme zu reagieren, nicht lang. „Wir wollen, dass die Leute, wenn sie | |
| dort anfangen, schneller ein Deeskalationstraining bekommen und diese | |
| regelmäßiger aufgefrischt werden.“ | |
| Uneinigkeit besteht zwischen Betriebsrat und Geno in der Frage, inwiefern | |
| die Anzahl der Vorfälle zugenommen hat. Während der Betriebsrat sagt, er | |
| habe den Eindruck, dass sich sowohl die Qualität als auch die Quantität | |
| verändert habe, verweist die Geno darauf, dass die Zahl der von | |
| Mitarbeiter*innen insgesamt gemeldeten Gewaltvorfälle abnehme. | |
| Auf Nachfrage der taz legt sie Quartalsberichte für die Jahre 2017 bis 2019 | |
| vor. Nur werfen die mehr Fragen auf, als sie beantworten. In den ersten | |
| drei Quartalen des Jahres 2017 gab es jeweils zwischen 116 und 199 | |
| Vorfälle. Im vierten Quartal dann nur noch 15. Und in 2018 insgesamt 112 | |
| Vorfälle, in 2019 in den ersten drei Quartalen gerade mal 60. | |
| Eine Erklärung hat die Geno nicht dafür und gibt auch keine Zahlen für die | |
| Jahre davor heraus. Ein Sprecher schreibt der taz: „Es gab eine ganze Reihe | |
| an Dingen, die in den vergangenen beiden Jahren verändert wurden, die auch | |
| zu einer drastischen Abnahme der Übergriffe geführt haben.“ Dazu gehöre | |
| „eine stärkere Schulung der Klinikteams im Umgang mit angespannten | |
| Patienten und Situationen“. Zudem seien „strukturell und personell Bereiche | |
| neu geordnet worden, so dass sich auch die Arbeitsweise insgesamt entspannt | |
| hat“. | |
| Den Betriebsrat wundern die Zahlen dennoch. „Vielleicht melden die | |
| Kolleg*innen weniger, weil sie sich so daran gewöhnt haben?“ Da würde | |
| verbale Gewalt oder Schubsen möglicherweise schon gar nicht mehr als Gewalt | |
| wahrgenommen werden. | |
| 20 Dec 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Eiken Bruhn | |
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