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# taz.de -- Streik gegen Rentenreform in Frankreich: Gemeinsam, aber kein Gleic…
> Sämtliche Gewerkschaftsverbände hatten für Dienstag gemeinsam zu weiteren
> Protesten aufgerufen. Dieselben Ziele haben sie aber längst nicht.
Bild: Mit CGT-Fahne zur Demo: Der Gewerkschaftsbund gilt als kämpferisch
Paris taz | Zum dritten Mal haben am Dienstag überall in Frankreich
Hunderttausende gegen die geplante [1][Rentenreform demonstriert], während
Streiks weiterhin den öffentlichen Verkehr und den Transport stark
behinderten. Der Rücktritt des Rentenbeauftragten [2][Jean-Paul Delevoye]
aus der Regierung am Montag wegen Verdachts auf Interessenkonflikte hat die
Gewerkschaften und die Opposition nur noch bestärkt.
Zum ersten Mal haben sämtliche Gewerkschaftsverbände gemeinsam zu diesem
dritten Aktionstag aufgerufen. Damit wiesen sie den Appell der Regierung
zurück, wenigstens für die Weihnachtstage einen „Waffenstillstand“ zu
dekretieren.
Premierminister Édouard Philippe hatte bereits am Vortag die Gewerkschaften
zum Gespräch eingeladen. Er sei „entschlossen, aber nicht verschlossen“. Er
hofft offenbar immer noch, den Widerstand mit kleinen Zugeständnissen zu
spalten und so eine umfassende Vereinheitlichung des Rentensystems Anfang
2020 im Parlament durchsetzen zu können.
Zwar demonstrierten die Gewerkschaften gemeinsam gegen die Rentenreform –
dieselben Forderungen und Ziele haben sie aber nicht. Hinter der Fassade
der Einheit stehen zwei grundlegend verschiedene Strategien, welche die
Gewerkschaftszentralen entzweit. Diese beiden Lager werden durch zwei
ebenso typisch unterschiedliche Gewerkschaftsbosse verkörpert: Der stets
freundliche, umgängliche Laurent Berger (51) steht an der Spitze der
„gemäßigten“ CFDT – der oft grimmig dreinschauende Philippe Martinez mit
seinem Asterix-Schnurrbart führt die kämpferische CGT.
## Die einen setzen auf Dialog, die anderen auf Kampf
Die ursprünglich aus der christlich-sozialen Arbeiterbewegung
hervorgegangene CFDT setzt auf den Dialog mit der Regierung und
Arbeitgebern, auf die partnerschaftliche Verwaltung der
Sozialeinrichtungen, auf den Kompromiss. Die CGT, die lange unter
kommunistischem Einfluss stand, hat seit jeher eine klassenkämpferische
Linie. Sie geht davon aus, dass es zwischen den Werktätigen und dem
Kapital, respektive auch den bürgerlichen Staatsführungen, antagonistische
Interessen gibt, die häufig in Konflikte münden.
Das wird im Streit um die Rentenreform deutlich: Bergers CFDT war im
Prinzip für das gewünschte einheitliche Punktesystem für die Rente –
allerdings erwartete sie begleitende Maßnahmen, um neue soziale
Ungleichheit im Alter zu vermeiden. Dass jetzt der Premierminister Édouard
Philippe zugleich auch noch das Rentenalter erhöhen will, ist für Berger
ein Affront. Er fühlt sich in seiner Kooperationsbereitschaft verraten.
Denn damit würden die Arbeitnehmer, die schon am längsten arbeiten, erst
später als bisher eine volle Rente beziehen.
Martinez und die CGT sowie auch andere Verbände wie FO und SUD-Solidaires
fordern dagegen den totalen Verzicht auf die Reform und die angekündigte
Erhöhung des Rentenalters. Um dies durchzusetzen, gehen die kämpferischen
Gewerkschaften, unterstützt von Linksparteien, mit Streiks und
Demonstrationen aufs Ganze. Berger hofft währenddessen immer noch auf ein
teilweises Entgegenkommen, das es ihm erlauben könnte, den kurzfristig
abgebrochenen Dialog wieder aufzunehmen.
Schon als Präsident Macron mitten in der Krise mit den Gelbwesten-Protesten
einen landesweiten „Großen Dialog“ organisierte, zeichnete sich die
Trennlinie zwischen zwei gewerkschaftlichen Strategien ab. Die CFDT
beteiligte sich aktiv an den Diskussionen und brachte „konstruktive“
Vorschläge ein, während die CGT und FO das „Palaver“ als offensichtlichen
Versuch der Staatsführung, Zeit zu gewinnen, boykottierten.
Wenige Stunden vor den Demonstrationen hat Laurent Berger erneut der
Regierung einen möglichen Ausweg aus dem Konflikt vorgeschlagen: Statt das
Rentenalter zu erhöhen, könnten die (je von den Sozialpartnern bezahlten)
Beiträge in die Rentenkasse leicht erhöht oder die Reserven angezapft
werden. Beides wurde vom Minister für den Staatshaushalt, Gérald Darmanin,
unfreundlich abgelehnt. Offenbar möchte auch die Regierung kein
Unentschieden, sondern den Kampf mit einem K. o. als Exempel für sich
entscheiden. Vorerst aber hat der Widerstand auf der Straße eine Runde
gewonnen.
17 Dec 2019
## LINKS
[1] /Rentenreform-in-Frankreich/!5645940
[2] /Macrons-Rentenarchitekt-tritt-zurueck/!5646282
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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