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# taz.de -- Kulturmanager über Phantasie: „Wir produzieren Freizeit“
> Der Lübecker Thilo Gollan ist Kulturmanager und Recycling-Unternehmer
> zugleich. Ein Gespräch über Gut und Böse, Zahlen und Bauchgefühl.
Bild: Zwei Jobs: Thilo Gollan macht in Abfall und Kunst
taz: Herr Gollan, wissen Sie noch, was Sie als Kind später arbeiten
wollten?
Thilo Gollan: Meine Eltern hatten eine Landwirtschaft und einen Bauhof, wo
ich als Kind mitgeholfen habe. Aber in deren Betrieb wollte ich auf keinen
Fall einsteigen. Was ich werden will, habe ich mich eigentlich erst
gefragt, als ich mit 17 Jahren aus der Schule geflogen bin.
Was hatten Sie denn angestellt?
Das weiß ich gar nicht mehr. Ich habe einfach immer wieder Mist gebaut. Ich
habe dann eine Lehre zum Landmaschinen-Mechaniker gemacht und sogar gut
abgeschlossen, und die Fachhochschulreife nachgeholt. Damit habe ich an der
FH Maschinenbau studiert.
Und wie kamen Sie zur Abfallwirtschaft?
Mein Vater hatte damals ein sehr kleines Bauschutt-Unternehmen: sechs
Mitarbeiter, kein Büro, alles auf einem Feld in Mecklenburg. Für diesen
Betrieb habe ich als Abschlussarbeit eine Recyclinganlage entworfen.
Dort haben Sie dann weiter gearbeitet?
Ja. Das hat so gut funktioniert, dass wir größer geworden sind und ich ein
Unternehmen für Abfallwirtschaft zurückkaufen konnte, das meinem Vater
früher einmal gehört hat. Es hat wirklich Spaß gemacht, bis heute. In die
Abfallwirtschaft kann man viel Phantasie stecken.
Sind Kulturmanagement und Recycling-Management etwas grundlegend
Verschiedenes?
In beiden Bereichen sind wir Dienstleister – wir leisten einen Dienst. Aber
Kultur ist ein ganz anderes Thema, da muss man sich reindenken. Wir
produzieren Freizeit, das ist natürlich interessanter. Kultur hat
Ausstrahlung.
Kulturmanager, das hat schon mehr Glamour als Schrotthändler, oder?
Ja, auf jeden Fall. In der Abfallwirtschaft sind wir die Bösen, während
Kunst ja viel mit Phantasie und Kreativität zu tun hat. Die wird aber beim
Recycling genauso gebraucht. In beiden Bereichen muss ich Menschen führen,
die Zahlen im Blick haben, mich behaupten. Wir fühlen uns als Start-up.
Alles ist neu, und wir haben sehr viel Spaß und sind ein grandioses Team,
übrigens im gesamten Unternehmen. Die Kulturwerft wäre so nicht möglich,
wenn nicht der ganze Betrieb dahinter stehen würde. Die Mitarbeiter aus
allen Bereichen sind deshalb auch zu unseren Konzerten eingeladen.
Sie hatten die alte Industrieruine eigentlich für Ihr Recycling-Unternehmen
aus einer Insolvenzmasse gekauft. 2014 hatten Sie eine der Hallen für das
60. Firmenjubiläum schick gemacht.
Das Jubiläum hier zu machen, war die Idee meiner Frau. Am Anfang war ich
damit gar nicht glücklich, weil es wirklich ruinös war: Die Dächer waren
eingefallen, es gab nichts außer den Wänden und vielen Altlasten. Ich bin
ein Mensch, der nicht immer rechnet. Das mache ich natürlich auch, aber
vieles entscheide ich aus dem Bauch heraus. Damals habe ich mich nicht
hingesetzt und durchgerechnet, was das eigentlich alles kosten wird. Gut
so, sonst hätte ich es nicht gemacht.
Wie kam es zu der Entscheidung, die frühere Werft als Kulturort aufzubauen?
Es gab keinen Punkt, wo wir gesagt haben: Jetzt machen wir Veranstaltungen.
Das ist mit uns passiert. Die Nachfrage war da, und daraus entwickelten
sich die ersten Schritte in Richtung Veranstaltungsstätte.
Wie entsteht dann aus einer Ruine ein Konzertsaal?
Ich bin jemand, der in Bildern denkt. Ich sehe mir die Orte hier an und
stelle mir etwas vor. Ich habe Architekten im Betrieb, die sagen mir dann,
was nicht geht, und am Ende entwickeln wir eine Idee, die funktioniert. Das
Schöne ist, dass wir alle Gewerke im Betrieb haben: Hochbau, Tiefbau,
Zimmerei, Tischlerei. Eigentlich haben die Hallen uns gefunden und nicht
umgekehrt.
Sie sind auch im Immobiliengeschäft aktiv und können einschätzen, was es
bedeutet, mehr als fünf Hektar Ruine zu sanieren. Macht Ihnen diese
Verantwortung manchmal Angst?
Verantwortung bin ich gewohnt. Aber wir haben von Anfang an gesagt: Wir
können das nur machen, wenn wir damit auch Geld verdienen. Es ist eine
gewaltige Aufgabe.
Schon nach kurzer Zeit hatten Sie pro Woche zwei größere Veranstaltungen in
der Kulturwerft.
Das hat uns selbst total überrascht. Der Bedarf schien und scheint noch
immer absolut da zu sein: Wir sind jetzt im Dezember bereits bis Ende
kommenden Jahres ausgebucht, was unheimlich erfreulich ist.
Es gibt hier Hip-Hop und Klassik, Kinderkonzerte, Schlager, Vernissagen,
Abibälle und Handarbeitsmessen, etwa zwei Veranstaltungen die Woche. Wer
stellt das Programm zusammen, gibt es ein Konzept?
Die Veranstalter kommen auf uns zu und buchen die Hallen. Bei einem Teil
der Veranstaltungen sind wir mittlerweile selbst Veranstalter. Das kann
auch kontrovers sein: Wenn ein Künstler wie Jonathan Meese hier seine
Performance macht, kann man herzlich darüber streiten – aber das soll man
ja auch.
Sie haben Musikgrößen wie 5 Sterne Deluxe hergeholt, Jethro Tull und Doro,
im Jahr 2017 fand die Wahlarena mit Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz
(SPD) statt. Kommen solche Promis über Kontakte oder wegen der Location?
Wenn wir einen bekannten Künstler herholen wollen, kostet der immer eine
Summe X. Jethro Tull zum Beispiel ist eigentlich zu groß für diese Halle,
eigentlich müsste ich für diesen Künstler viel mehr Sitzplätze haben, damit
sich das rechnet. Manche sagen, sie spielen lieber in Hamburg, weil der
Markt in Hamburg größer ist. Und viele Agenturen kannten uns nicht, aber
das ändert sich gerade, was es einfacher macht. Wir müssen also über die
Schwelle Lübeck kommen, über die Schwelle Geld und wir müssen die
Veranstaltung selber durchführen, denn dieses Risiko trägt sonst keiner.
Ist die Kulturwerft ein Zuschussgeschäft?
Wir investieren gerade sehr viel, zum Beispiel in Technik und in Formate
wie das Werft-Open-Air oder das Stereopark-Indoor-Festival. Auch in dieser
Hinsicht sind wir ein Start-up: Wenn ich 500 Stühle kaufe, ist es gar nicht
möglich, die Abschreibung sofort zu verdienen. Aber das Ziel muss sein,
dass sich das trägt.
Die Kulturwerft liegt am Rand der Altstadt in einem Viertel, wo es nicht
viel Kultur gibt.
In den letzten Jahren ist viel passiert mit diesem Teil der Stadt und die
Entwicklung dauert an. Uns trennen nur 80 Meter Wasserlinie von der
Altstadt, die Lage ist sehr attraktiv, das wird aber noch zu wenig genutzt.
Und natürlich wünschen wir uns hier eine Brücke zur nördlichen
Wallhalbinsel.
Welche Pläne haben Sie mit der Kulturwerft?
Wir möchten, dass hier eine Begegnungsstätte entsteht. Das Schleswig
Holstein Musikfestival ist schon hergekommen und wir würden uns mehr Mieter
wünschen, die zum Thema Kreativität passen. Außerdem planen wir langfristig
ein Restaurant und eine Art Mall, wo Künstler ihre Werke präsentieren
können, vielleicht mit offenen Werkstätten und einem Hotdog-Stand. Hier
soll ein Kulturkiez entstehen, von wo Neuigkeiten nach oben sprießen wie
die Pilze im Wald.
25 Dec 2019
## AUTOREN
Friederike Grabitz
## TAGS
Abfallwirtschaft
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Abfall
Recycling
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Europäische Kommission
Müll
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