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# taz.de -- Fridays-for-Future-Theater: Die heilige Greta von Celle
> Protest und Pubertät: Um Greta Thunberg selbst geht es im
> Jugendtheaterstück „Greta“ des Celler Schlosstheaters nur am Rande.
Bild: Niedliche Klischeesprüche: Die Celler „Greta“ heißt Annegret und wi…
Celle taz | Ein echter Aufreger der Saison. Laut einer im September
veröffentlichten [1][Umfrage des Allensbach-Instituts] stieg der vom
Klimawandel beunruhigte Bevölkerungsanteil seit 2017 von 37 auf heute 61
Prozent. So haust jetzt auch am Fuße des Schlossturms zu Celle das
„Fridays for Future“-Gespenst. Die winzige Studiobühne schmückt ein Podium
zum Skandieren, die Parolen dazu sind auf Demonstrationsplakate gepinselt:
„Klimaschutz weil Baum“, „Kurzstreckenflüge nur für Insekten“, „Eis…
statt Braunkohle“, „Change the system not the climate“.
Wenn die Jugendsparte des [2][Schlosstheaters] derart in diesen hitzigen
Zeiten einen Text mit der Überschrift „Greta“ zur Uraufführung bringt, ist
nicht mit einem Abend über Frühlingserwachen und die Hals über Kopf
verdrehte Wirklichkeit der ersten Liebe zur rechnen.
[3][Daniel Ratthei] aber, Autor des Stückes, ist offenbar fest davon
überzeugt, ohne den herzpochenden Alltag der pubertierenden Klientel ab
zwölf Jahren seien weder die menschengemachten Klimawandel-Fakten und
-Prognosen zu dramatisieren noch die Erkenntnis, wie stark
gesellschaftliche Handlungsweisen hinter dem kollektiven
Bewusstseinszustand zurückbleiben.
Während der Autor [4][seine Version des Stücks am Cottbuser
Piccolo-Theater] selbst inszenierte, kümmert sich Daniela Urban in Celle um
Ausstattung und Regie. Sie animiert ein Darstellerduo, viel Aufführungszeit
mit verzückten Blicken, rotzfrechem Anbaggern, einem Entkleidungsspiel,
turbulentem Ineinanderverknoten und eifersüchtigem Schmollen zu verbringen.
Andererseits ergibt das auch Sinn, ist die sexuelle, soziale und politische
Selbstfindung doch miteinander verknüpft.
## Feuerwerk im Körper
Was im Stück aber nicht deutlich wird: Es verhandelt das hormonelle
Feuerwerk in 16-jährigen Körpern und irritiert, da der Stücktitel die
strenge, ernste, tugendhafte Greta Thunberg assoziieren lässt, die mit der
kindlichen Unschuld des heiligen Zorns einer Jeanne d’Arc gerade den rat-
oder tatenlos politisch Mächtigen und den bewusst die Welt ruinierenden
ökonomisch Mächtigen die Leviten liest – dabei polarisiert, mit dem Hinweis
auf ihren Asperger-Autismus pathologisiert wird, aber eben anschlussfähig
ist für eine idealistische Jugend. Tolles Theatersujet eigentlich.
Aber auch um Greta herself geht es gar nicht. Sondern um Annegret. Zora
Fröhlich verwandelt sich keck in diesen Teenager und gibt ein irgendwie
verpeiltes Mädchen in angestrengt unkonventionellem Textil-Design. Trotzig
geht sie ihren ersten Empowerment-Tag an und schwänzt die Schule für eine
Klimaschutzkundgebung. Mit Acrylfarbe hat sie auf Pappe ihr Statement
gemalt und steht damit im Bus: „So allein mit einem Demoschild unter
knurrigen Erwachsenen fühlt man sich nackt.“
Vorm Rathaus angekommen, tut Großschwätzer Hannes, Organisator von „Fridays
for Future“ (FFF), ganz wichtig: „Wir ficken auf eure Gier! Wir ficken auf
eure Bequemlichkeit! Wir ficken auf eure Beschimpfungen! Ich lerne hier
jeden Freitag mehr über das Leben als beim Ethikunterricht in der Schule!
Wir fordern jetzt den Kohleausstieg!“
Darüber könnte man nun ins Gespräch kommen, schließlich gilt es, Menschen
vor sich selbst zu retten. Annegret aber denkt an anderes. „Sein Mundwinkel
zuckt schelmisch. Er sieht gut aus.“ Ist aber auch übergriffig: Holt er sie
doch unabgesprochen als Rednerin auf die Bühne und kündigt sie als Celler
Greta an, was ihr schmeichelt.
Aber es überfordert sie auch und macht sie zum Objekt von Hasskommentaren.
Immer wieder teilt sie dem Publikum ihre Gedanken mit und malt die Szenerie
mit Worten aus. Dabei dialogisiert sie ab und an auch mit den von Tomás
Heise so präsent wie präzise gespielten Klischeefiguren.
## Pubertätswohlfühltheater
Eben gab der noch mit Hannes Mackerattitüde einen Kuss auf Gretas Wange,
schon klappt er sein Kinn herunter, reißt die Augen auf, platziert eine
Blödmannbrille davor und gibt einen Sportlehrer in breitmaulfroschiger
Diktion. Macht damit allerdings auch dessen Einwände gegen FFF lächerlich.
Ernst zu nehmend diskursiv wird „Greta“ selten, meist einfach Hannes und
Annegret zugestimmt. Theater als FFF-Fanprojekt. Immerhin verhandelt es
private Konsumentscheidungen. Was jeder Einzelne gegen die Erderwärmung tun
kann, das könnte natürlich ein Super-Erkenntnis-Mehrwert sein, klar, aber
Annegret von jetzt auf gleich zur Veganerin, Autohasserin,
Plastik-Phobikerin mutieren zu lassen, die ihre Ferien-Flugreise absagt,
was der Vater alles vorbildlich unterstützt und den fiesen Sportlehrer
konvertieren lässt, das ist dann schon ein wenig plump als theatrale
Behauptung.
Annegrets Supermarktbummel, Entdecken des Unverpacktladens und Besuch eines
Einwegbechercafés geraten zudem arg pädagogisch. Immerhin gibt es eine
Pointe beim Stichwort Kondom – „so viel Plastikmüll für fünf Minuten Spa…
– und eine Mini-Sottise gegen den schlagerblöd lärmenden Weihnachtsmarkt
vorm Theater: „Der riesige Müllberg, der allein auf unserem Marktplatz
entsteht, heute, hier, in wenigen Stunden, steht in keinem Verhältnis zur
lächerlichen Ansammlung ignoranter, alkoholisierter, verfetteter,
herzinfarktgefährdeter, vergifteter Humanoiden.“
Solche Spitzen machen Spaß. Aber gerade die politischen Aspekte des
Klimawandels bekommt der Autor nie in den Fokus. Findet auch keine
dramatische Form für das Thema. So ist vor allem Pubertätswohlfühltheater
zu erleben. Dabei ungenutztes Material für eine Auseinandersetzung sammelt
Annegret für ihre Schlusspredigt, findet wie Greta Superstar dafür eine
Haltung frei von Selbstzweifel, aber nicht zur radikal klaren Rhetorik
ihres Vorbilds, sondern schüttet die Anmerkungen unfassbar kompakt und
unsortiert übers Publikum aus. Eine verschenkte Chance. Nächster Versuch
zum Thema im Norden: Nico Dietrichs und Christian Vilmars Uraufführung des
Rechercheprojekts [5][„fridays. future.“] am 7. Februar 2020 am Jungen
Theater Göttingen.
9 Dec 2019
## LINKS
[1] https://www.ifd-allensbach.de/fileadmin/AWA/AWA_Praesentationen/2019/AWA_20…
[2] https://schlosstheater-celle.de/
[3] http://www.danielratthei.de/
[4] https://piccolo-cottbus.de/greta/
[5] https://www.junges-theater.de/stueck/fridays-future-ua/
## AUTOREN
Jens Fischer
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