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# taz.de -- Vorgehen gegen Kinderpornografie: Mit fiktiven Bilder ermitteln?
> Dürfen verdeckte Ermittler in Zukunft künstlich erstellte
> Kinderpornografie verwenden? Ein entsprechendes Gesetz will die GroKo
> noch 2019 beschließen.
Bild: Tatort Bergisch-Gladbach: Hier deckte die Polizei im November einen Missb…
Berlin taz | Im November war der Chef der Freiburger Kriminalpolizei zu
einer Anhörung im Bundestag geladen. „Ein Forum für die Nutzer von
Kinderpornografie kann man sich wie ein Gebäude vorstellen, an dessen
Eingang Sie als Eintrittskarte ein kinderpornografisches Foto oder einen
Film vorzeigen müssen“, erklärte Peter Egetemaier dort den Abgeordneten.
Wer trotz Aufforderung keine Bilder liefere, werde schnell als verdeckter
Ermittler der Polizei verdächtigt und ausgeschlossen.
Das Problem der Ermittler: Polizisten dürfen keine Straftaten begehen, das
gilt auch für verdeckte Ermittler. Deshalb müssen sich verdeckte Ermittler
bisher herausreden, wenn sogenannte Keuschheitsproben verlangt werden. In
Polizei und Politik wird schon lange diskutiert, ob Polizisten nicht
ausnahmsweise Kinderpornografie weitergeben dürfen, um in klandestine
Gruppen einzudringen.
Relativ neu [1][ist die Überlegung], dass die Polizei ja vom Computer
erzeugte fiktive Bilder benutzen könne, sodass keine realen Kinder
betroffen sind. Allerdings ist auch die Weitergabe fiktiver
Missbrauchsdarstellungen strafbar, weil befürchtet wird, dass bei
Empfängern der Wunsch steigt, nicht nur Bilder anzuschauen, sondern selbst
Kinder zu missbrauchen. Deshalb ist auch für solche Bilder eine gesetzliche
Erlaubnis nötig.
Diese Ausnahmeregelung wollen CDU/CSU und SPD nun schaffen. Und es soll
ganz schnell gehen. Die Änderung soll noch im Dezember in ein bereits
laufendes anderes Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden.
Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) spricht die entsprechende
Formulierungshilfe derzeit mit den anderen Regierungsressorts ab. Der
genaue Wortlaut ist noch nicht bekannt. Nach taz-Informationen soll aber
sichergestellt werden, dass es sich bei den Bildern um „fiktive“
Darstellungen handelt. Das ist auch die Bedingung für Johannes Fechner, den
rechtspolitischen Sprecher der SPD, der das Vorhaben mit angeschoben hat.
## Anspruchsvolles Verfahren
Das Erzeugen von Kinderpornografie am Computer ist technisch anspruchsvoll.
Dabei wird ein Originalbild mit einem neuen fiktiven Gesicht und Körper
versehen. Solche fiktiven Gesichter werden vom Computer aus einer Vielzahl
anderer Gesichter berechnet und sind kaum von realen Gesichtern zu
unterscheiden, wie etwa die Webseite [2][www.thispersondoesnotexist.com]
zeigt.
In der Praxis werden sich aber noch viele Probleme stellen. Da es um die
Darstellung von Missbrauch geht, müssen die Gesichter auch Angst, Ekel oder
Apathie ausdrücken können. Außerdem geht es um Darstellungen des ganzen
Körpers, bei denen Kinder gefesselt, geschlagen und penetriert werden. Um
solche fiktiven Szenen darzustellen, braucht der Computer Vorlagen. Zwar
hat die Polizei jede Menge Kinderpornografie beschlagnahmt. Reale Bilder
mit realen Opfern sollen aber auch nicht in die Herstellung fiktiver Bilder
einfließen, so das Justizministerium auf Nachfrage der taz.
Noch schwieriger ist das Erzeugen von Videos. Da ja kein Kindesmissbrauch
gefilmt werden kann, muss jedes fiktive Filmbild erst erzeugt werden, mehr
als 20 Bilder pro Sekunde. Für einen fiktiven Arm, der sich bewegt, braucht
der Computer also viele Vorlagefotos, die Arme in vielen Positionen aus
unterschiedlichen Winkeln zeigen.
## Noch viel Arbeit
„Mit künstlicher Intelligenz können grundsätzlich auch solche Videos
erzeugt werden“, sagte Dirk Labudde, Professor für Bioinformatik an der
Hochschule Mittweida (Sachsen). Er rechnet allerdings mit einer „längeren
Entwicklungsphase“. Und ob die Videos dann wirklich echt aussehen oder
sofort als Computer-Fake erkannt werden, da ist der Experte, der häufig mit
der Polizei zusammenarbeitet, selbst gespannt. Computergenerierte
Fußballspiele wie Fifa 20 erkennt bisher noch jeder als Simulation.
Ein Missbrauchszirkel, der sich abschotten will, müsste künftig also wohl
nur Videos statt Fotos als Probe verlangen, dann würden verdeckte Ermittler
schnell auffliegen. Oder der Zirkel verlangt einfach sehr viele Fotos. Für
das Kinderpornografie-Netzwerk „Wonderland“ wurden in den 1990er Jahren als
„Eintrittskarte“ 10.000 kinderpornografische Bilder verlangt. Bis die
Polizei so viele Fake-Bilder produziert hat, dürften Jahre vergehen.
SPD-Rechtspolitiker Fechner sorgt sich auch, dass die verlangten
Darstellungen immer krasser werden: „Auch wenn es nur um fiktive Bilder
geht, darf der Staat nicht jede Grausamkeit an Kindern darstellen.“ Es
müsse Grenzen geben – die bisher aber niemand definiert hat.
## Technik mit Gefahren
Könnte es am Ende sogar eine Eskalationsspirale geben? Dass immer krassere
Bilder verlangt werden, um die Polizei abzuschütteln? Leiden müssten
darunter die real missbrauchten Kinder. Oder sind die verlangten
Eintrittsbilder heute schon so schlimm, dass kaum eine Steigerung möglich
ist? Das BKA will zur aktuellen Praxis der Missbrauchszirkel keine Auskunft
geben. Für Kripo-Chef Egetemaier ist die Chance, missbrauchte Kinder aus
ihrer Notlage zu befreien, den Aufwand wert. Er kann sich sogar vorstellen,
mit realen Missbrauchsdarstellungen zu arbeiten – wenn die Opfer der
polizeilichen Nutzung zustimmen.
Egetemaier wurde zum bundesweit gefragten Experten, weil er und seine Leute
2017 den [3][spektakulären Missbrauchsfall in Staufen] (Südbaden)
aufklärten. Eine Mutter und ihr einschlägig vorbestrafter Lebensgefährte
hatten den siebenjährigen Sohn der Frau im Darknet zum Missbrauch
angeboten. Die Polizei konnte den Fall damals allerdings klären, ohne
selbst Kinderpornografie zu verbreiten. Im Staufener Fall hatte ein Insider
Gewissensbisse bekommen und der Polizei einen Tipp gegeben.
Der Haupttäter kooperierte dann mit der Polizei und ließ die Beamten seinen
Account nutzen. So konnten weitere Täter angelockt und verhaftet werden.
Und das war kein Einzelfall. Bei Ermittlungen im Darknet ist es heute
gängig, zu warten, bis sich einzelne Täter überführen lassen, um dann ihre
Accounts zu übernehmen. Keuschheitsproben müssen so nicht mehr erbracht
werden, weil die Täter, deren Accounts nun benutzt werden, ja schon Teil
des Netzwerks waren.
Der Freiburger Kripo-Chef will aber nicht allein auf übernommene Accounts
vertrauen. Auch er befürwortet die staatliche Produktion von
Fake-Kinderpornografie.
9 Dec 2019
## LINKS
[1] /Bekaempfung-von-Kinderpornografie/!5643941
[2] http://www.thispersondoesnotexist.com
[3] /Prozess-wegen-Kindesmissbrauchs/!5512605
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Kinderporno
sexueller Missbrauch
Polizei
Ermittlungen
Bundestag
Kindesmissbrauch
Kinder
Kinderpornografie
Darknet
Lesestück Recherche und Reportage
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