| # taz.de -- Gerd Müller, der FC Bayern und die CSU: „Steckt Sprengstoff drin… | |
| > Der Historiker Hans Woller wollte eine Biografie über seinen | |
| > Lieblingskicker Gerd Müller schreiben. Herausgekommen ist eine | |
| > Kriminalgeschichte. | |
| Bild: Gerd Müller, 1972 | |
| Das Gespräch mit Hans Woller findet in einem Café in der Schwabinger | |
| Clemensstraße statt. [1][Nur ein paar Gehminuten entfernt befand sich von | |
| 1900 bis 1907 der erste Fußballplatz des FC Bayern München, an den heute | |
| eine Gedenktafel erinnert.] Der Italienspezialist Woller hat das Café | |
| empfohlen, weil es da „den besten Kaffee Münchens gibt“. Seinen Cappuccino | |
| auch zu trinken, muss man Woller dann allerdings erinnern, so konzentriert, | |
| engagiert und sich Notizen machend ist er im Gespräch. | |
| taz: Herr Woller, als Historiker haben Sie erforscht, wie das Agrarland | |
| Bayern nach 1945 zu einem Motor der westdeutschen Modernisierung wurde. | |
| Welche Rolle spielt in dieser Erfolgsstory der FC Bayern, welche sein | |
| bedeutendster Spieler Gerd Müller? | |
| Hans Woller: Die Modernisierung des Fußballs beginnt mit der Einführung der | |
| Bundesliga zur Saison 1963/64. Die Folge ist eine Dynamisierung des | |
| Fußballs insgesamt. Davon profitieren viele junge Leute – wie Gerd Müller, | |
| Franz Beckenbauer, Paul Breitner und Uli Hoeneß –, die die Chance zum | |
| sozialen Aufstieg haben, weil der Fußball für die Wirtschaft und die Medien | |
| interessant wird und dadurch viel Geld in die Kassen kommt. [2][Die | |
| Bayerische Staatsregierung und die dahinterstehende CSU mischen dabei | |
| kräftig mit:] der Freistaat Bayern und der FC Bayern – modern, aber mit | |
| autoritärer Führung, unter konservativen Vorzeichen. Daraus ist dann eine | |
| Lebenspartnerschaft geworden. | |
| Wie ist man seitens der CSU vorgegangen? | |
| In einem Gespräch, das der bayerische Finanzminister Ludwig Huber um 1970 | |
| mit dem damaligen FCB-Präsidenten Wilhelm Neudecker geführt hat, wird klar | |
| ausgesprochen, dass die „bayerische Achse“ der Stars zusammengehalten | |
| werden muss, nicht nur als sportliches, sondern als ein explizit | |
| politisches Erfordernis. Und ich nenne in dem Buch eine ganze Reihe von | |
| Beispielen, wie Huber für den FC Bayern, aber auch für einzelne Spieler | |
| Vorteile herausgeschlagen hat, insbesondere für Gerd Müller. Er hat die | |
| Führung des FC Bayern zum Steuerbetrug bei den Einnahmen aus | |
| Auslandsgastspielen ermuntert. Der Großteil dieser illegalen Gelder wurde | |
| noch im Flugzeug in Briefumschlägen in bar an die Stars wie Müller | |
| weitergegeben. Huber hat Müllers Schwager eine gut dotierte Stelle bei | |
| einer Bank verschafft, er hat Gerd Müller einen Manager zur Seite gestellt | |
| und vieles andere. | |
| Der bayerische Finanzminister als Mädchen für alles? | |
| Er und Gerd Müller haben sich geduzt, das war schon ein enges Verhältnis. | |
| In fünfjähriger Arbeit hat sich ihr Buch von einer Biografie des wohl | |
| bedeutendsten deutschen Fußballers zu einer Kriminalgeschichte | |
| ausgewachsen. Welche Entdeckungen waren da entscheidend? | |
| Der Nachlass von Rainer Keßler im Hauptstaatsarchiv in München. Keßler war | |
| Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, CSU-Mitglied und eine der prägenden | |
| Figuren im Verwaltungsbeirat des FC Bayern. In diesem Nachlass bildet sich | |
| ab, wie eng die Kooperation zwischen Politik und Verein war. Das ist aber | |
| nicht die einzige Quelle. In den nicht veröffentlichten Memoiren von | |
| Neudecker findet sich zum Teil wortwörtlich dasselbe. | |
| Warum sind die nicht veröffentlicht – und wie kamen Sie an die dran? | |
| Die Memoiren fanden sich in der „FC Bayern Erlebniswelt“ in der | |
| Allianzarena. Neudecker hat sie geschrieben, nachdem er Ende der 1970er | |
| Jahre im Streit vom FC Bayern geschieden war, eine Abrechnungsschrift, | |
| nicht zuletzt auch mit Uli Hoeneß. In meinen Augen sind diese Memoiren hoch | |
| brisant, was ich den sehr freundlichen Leuten bei der „FC Bayern | |
| Erlebniswelt“ dann auch gesagt habe: Da steckt schon Sprengstoff drin. | |
| Vermutlich sind sie deshalb unveröffentlicht geblieben. | |
| Und hat sich die Führung des FC Bayern dazu verhalten? | |
| Karl-Heinz Rummenigge ist wohl derjenige, der noch am ehesten ansprechbar | |
| ist für historische Fragen. Wer überhaupt keinen Sinn hat dafür, ist Uli | |
| Hoeneß. Der begegnete mir im Gespräch eher mit Misstrauen und | |
| Unverständnis; den interessierte eine Gerd-Müller-Biografie nicht, den | |
| interessiert anscheinend auch kaum, wie sich der FC Bayern im „Dritten | |
| Reich“ betragen hat. Er ist ein Mensch der Zukunft, der so viele Pokale wie | |
| möglich gewinnen will. Ein Traditionsverein wie der FC Bayern müsste aber | |
| Interesse an der eigenen Geschichte haben, zumal diese ja nicht nur negativ | |
| ist. Viele Innovationen sind mit den Bayern verbunden, auch wenn man mit | |
| Blick auf die Präsidenten seit den 1950er Jahren sagen muss: Da werden sie | |
| kaum einen finden, der nicht mit Recht und Gesetz zum Teil in massiver Form | |
| in Konflikt geraten ist. | |
| Sie beschreiben Gerd Müller mit einer gewissen Sympathie. Gehen Sie nicht | |
| etwas zu nett mit ihm um, wo Müller sich doch auch für den Wahlkampf von | |
| CSU-Größen wie Huber und Franz Josef Strauß hat einspannen lassen? | |
| Ich will eine gewisse Empathie für Gerd Müller nicht abstreiten. Das hat | |
| mit seinen Leistungen als Fußballspieler zu tun und mit meinem Verständnis | |
| für die Problematik des sozialen Aufsteigers. Unter diesen Problemen, zumal | |
| der Zerrissenheit, habe ich selber auch gelitten. | |
| Wie würden Sie den Fußballer Gerd Müller beschreiben, für jemanden, der den | |
| Namen noch nie gehört hat, der ihn nie hat spielen sehen? Was hat ihn | |
| ausgezeichnet? | |
| Zunächst, dass er außerordentlich viele Tore geschossen hat – und zwar im | |
| Gegensatz etwa zum heutigen Bayern-Stürmerstar Robert Lewandowski die | |
| entscheidenden Tore. Das andere ist, der Mann ist so unglaublich schnell in | |
| den Bewegungen, der liegt am Boden, sein Gegenspieler auch, und bevor der | |
| nur daran denken kann, wieder aufzustehen, ist Müller schon auf den Beinen | |
| und schießt irgendwie sein Tor. Und schließlich hatte Gerd Müller einfach | |
| ein Füßchen, rechts wie links gleich gut. Ein kompletter Fußballer eben, | |
| denn er war auch sehr kopfballstark. | |
| Woran bemerkenswert ist, dass Gerd Müller den Spitznamen seines ersten | |
| Trainers bei Bayern nie losgeworden ist: „kleines, dickes Müller“. Dabei | |
| war er immerhin 1,76 groß, wog um die 80 Kilo. Warum hielt sich diese | |
| Zuschreibung? | |
| Anfang der 1970er Jahre wog Gerd Müller sogar nur 73 Kilo, war also fast | |
| schon dürr. Trotzdem hieß er in der Mannschaft bis zum Schluss „der Dicke�… | |
| In beiden Etiketten ist ein Schuss Herablassung und Spott mit dabei. Gerd | |
| Müller hat im Mannschaftskreis nie die Anerkennung gefunden, die er | |
| verdient gehabt hätte und die er auch erwartet hat. | |
| War Gerd Müller aber dabei nicht ein durchaus typischer Vertreter seiner | |
| Generation, ein 68er mit Ledermantel und bunten Hemden? | |
| Gerd Müller hatte sicherlich von den Inhalten der 68er-Bewegung relativ | |
| wenig Ahnung. Er hat aber vieles an Äußerlichkeiten übernommen. Und er hat | |
| das auch verteidigt gegen den sehr konservativen Bayern-Präsidenten | |
| Neudecker, der von seinen Spielern mitunter ultimativ verlangte: Haare | |
| schneiden, Bart ab! Gerd Müller hat sich da aber nicht dreinreden lassen, | |
| im Gegensatz zu anderen. Eine gewisse Aufsässigkeit und eine gute Portion | |
| Nonkonformismus sind bei Gerd Müller nicht zu verkennen. | |
| Zu den für mich überraschendsten Stellen in Ihrem Buch gehört ein Zitat von | |
| Romani Rose, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Sinti und Roma. 2011 | |
| sagte Rose, er könne sicher sagen, dass Gerd Müller ein Sinto sei. Sie sind | |
| da skeptischer? | |
| Gerd Müller war i[3][n seiner Geburtsstadt Nördlingen sehr eng mit der | |
| Familie Reinhardt verbunden, deren Mitglieder Sinti sind.] Eine der | |
| Töchter, Laura, war Müllers Jugendliebe, mit den Brüdern spielte er damals | |
| Fußball. Ist Gerd Müller also vielleicht ein unehelicher Sohn des | |
| Familienvaters Johann Reinhardt und Müllers Mutter? So eine Affäre wäre | |
| jedenfalls hoch riskant gewesen in der Nazizeit. Oder haben die Müllers ihn | |
| adoptiert? Die Familie war ausgesprochen arm – was hätten sie, was hätten | |
| die Reinhardts davon gehabt? Es spricht also viel dagegen. Auf der andern | |
| Seite wusste Müller selber um die Gerüchte und hat damit im Privaten ein | |
| bisschen gespielt. Laura jedenfalls hat noch Jahrzehnte später von ihm | |
| geschwärmt, „ein wunderschöner junger Mann mit brauner Haut – wie wenn er | |
| von uns kommen tät.“ Der Gerd habe „original zu uns gepasst“. | |
| 8 Dec 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/geschichte-wo-der-fc-bayern-laufen-ler… | |
| [2] /Buch-ueber-bayerische-Korruption/!5221877/ | |
| [3] https://www.br.de/nachricht/schwaben/inhalt/buchvorstellung-anna-reinhardt-… | |
| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
| ## TAGS | |
| FC Bayern München | |
| Gerd Müller | |
| CSU | |
| FC Bayern München | |
| FC Bayern München | |
| Fußball | |
| FC Bayern München | |
| Joker | |
| Oliver Kahn | |
| FC Bayern München | |
| Kolumne Press-Schlag | |
| Deutscher Fußballbund (DFB) | |
| Bayern | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| RTL-Serie „Gute Freunde“: Für den modernen Fussball | |
| Ein Sechsteiler von David Dietl erzählt nicht die wahre Geschichte des FC | |
| Bayern. Aber er zeigt schön, wie der Fußball zum Showbusiness wurde. | |
| Erinnerungen an Gerd Müller: Größe des Schlichten | |
| Das extensive Gedenken an Gerd Müller verkörpert eine große Sehnsucht – die | |
| nach einer längst verloren gegangenen Fußballkultur. | |
| Zum Tod von Gerd Müller: „Dann macht es bumm“ | |
| Gerd Müller war der wohl beste deutsche Stürmer aller Zeiten. Er wurde 75 | |
| Jahre alt. Überdauern wird die Erinnerung an einen großen | |
| Instinktfußballer. | |
| 40-Tore-Schütze Lewandowski: Der Selbstoptimierer | |
| Robert Lewandowski stellt den Bundesligarekord von Gerd Müller ein. | |
| Letzterer bleibt aber wohl der wichtigste Spieler in der Geschichte des FC | |
| Bayern. | |
| Vaterfiguren im Fußball: Hopp und der Joker | |
| Die Spaltung der Gesellschaft kommt im Stadion an: „Wir im Fußball sind da | |
| vorne mit dabei“, so ein Schalke-Funktionär. Welcher Film läuft da? | |
| Einführung in die FC-Bayern-Genetik: Oli 2.0 | |
| Oliver Kahn wird als Vorstand des FC Bayern München vorgestellt. Seinen | |
| ersten Auftritt als künftiger Vereinsboss absolviert er mit Bravour. | |
| Der FC Bayern und der Freistaat: Mia san Steuerhinterzieher | |
| Gerd Müllers Leben gehört zur Kriminalgeschichte des FC Bayern. Unser | |
| Autor, ein hoher Finanzbeamter, erzählt sie weiter und landet bei Uli | |
| Hoeneß. | |
| Korruptionsfall Franz Beckenbauer: Vom Wert der Stimme des Kaisers | |
| Mit Fußball-Weltmeisterschaften lässt sich eine goldene Nase verdienen. | |
| Drei Herren aus Deutschland wissen das besonders gut. | |
| Früherer Bayern-Erfolgstrainer: Dettmar Cramer verstorben | |
| Er brachte den FC Bayern München als Trainer nach vorn. Am Donnerstag ist | |
| Dettmar Cramer im Alter von 90 Jahren gestorben. | |
| Buch über bayerische Korruption: Schlötterers Enthüllungen | |
| Die Kultur der Macht um Franz Josef Strauß hat Wilhelm Schlötterer minutiös | |
| entlarvt. Warum haben seine Erkenntnisse keine Folgen? |