# taz.de -- Die Wahrheit: Operation Kreditkarte | |
> Wie ich einmal restalkoholisiert, mit leicht verquollenen Äuglein und | |
> einem Furz im Bauch bei meinem Bankdirektor vorstellig wurde. | |
Es ist nun schon zum wiederholten Mal derselbe Mist. Ich miete über ein | |
Portal ein Auto für den Urlaub und bemerke erst danach im Kleingedruckten, | |
dass mein Kreditkartenlimit nicht für die Kaution ausreicht. | |
Ich besitze nämlich nur so eine Art Kinderkreditkarte, ähnlich einer dieser | |
Kinderfahrkarten zum Ausmalen, die die Kleinen im Zug bekommen, damit sie | |
„perfekt mit Mama und Papa die Ticketkontrolle nachspielen“ können. „(Di… | |
ist natürlich kein offizielles Reisedokument!)“ warnt die DB scherzhaft und | |
in Klammern. Muss man ja immer dazusagen bei den doofen Kunden. | |
In Schönschrift darf das Kind seinen Namen sowie Start und Ziel der Reise | |
eintragen, dann gibt es im Bordbistro auch kleine Geschenke wie die | |
„miniLOK“ oder „eine Sammel-Spielfigur vom kleinen ICE und seinen | |
Freunden“. Wer auch immer die sind: das verträumte Verspätinchen, die kesse | |
Susi Signalstörung und der freche kleine Rudi Rettungseinsatz in ihrem | |
neuesten Abenteuer, „durchs verwunschene Tal in umgekehrter Wagenreihung“? | |
Ich wiederum könnte zwar mit Mama und Papa perfekt das Blockieren einer | |
Kautionssumme mit der Kinderkreditkarte nachspielen; die aber ist natürlich | |
kein offizielles Liquiditätsdokument. Und ein Geschenk bekomme ich auch | |
nicht. Weder Sparschwein, Knax-Heft noch Sumsi-Stofftier. Zum einen bin ich | |
schon älter als zwölf, und zum anderen bin ich bei der Commerzbank. Die | |
machen keine Geschenke. | |
Ich empfinde die Situation als demütigend. Mama und Papa sollen mit ihren | |
168 Jahren gar nichts davon wissen, dass ihr Sohn im gnädigen Dämmerlicht | |
seiner allerletzten Lebenshälfte noch immer nicht kreditwürdig ist. Ich | |
habe keinen Baum gepflanzt, kein Haus gebaut, kein Kind gezeugt, kein Geld | |
verdient. Ich bin kein frommer Soldat der Leistungsgesellschaft. | |
Aber wie denn auch? Die bösen Buben in der Schule hatten mir schon zu | |
Beginn der ersten Klasse das Federmäppchen weggenommen und stachen mir | |
fortan bis zum Abi nonstop von hinten mit dem Zirkel in den Po. Wie soll | |
man sich da konzentrieren? Außer Lesen und Schreiben habe ich praktisch | |
nichts gelernt. Ich bin nur eine coole Socke mit Löchern drin. | |
## Bankboss am Schreibtisch | |
„Weiche Lohnfaktoren“ haben für mich sehr an Bedeutung gewonnen: Da auf | |
Lesebühnen die Freigetränke längst den Eintrittserlös übersteigen, sitze | |
ich am Mittwochvormittag mit leicht verquollenen Äuglein dem Bankboss an | |
dessen Schreibtisch gegenüber. Ich bin gekommen, um endlich ein | |
Kartenlimit für Erwachsene auszuhandeln. | |
Seriöse Argumente führe ich nicht im Gepäck. Wahrscheinlich sehe ich eher | |
nach der Frage aus: „Alter, haste mal ’nen Verfügungsrahmen von zweitausend | |
Euro? Oder ’ne Kippe? Oder vielleicht was zu essen?“ Es fehlen nur noch die | |
Schürfwunden in Folge unkontrollierter Stürze im Gesicht. | |
Trotzdem hat er mich bis in sein Allerheiligstes vorgelassen. Privatbilder | |
und FC-Bayern-Becher. Hier stellt sich nun heraus, dass ich bei ihnen noch | |
als Student gelistet bin, und – zumindest das entspricht der Realität – | |
auch keine regelmäßigen Einkünfte nachweisen kann. Eigentlich, so der | |
Filialleiter erstaunt, gehörte ich als Selbstständiger schon lange in den | |
Geschäftskundenbereich. Aber ich wollte ja nie was von denen; seit dreißig | |
Jahren habe ich nicht Piep gemacht. Deshalb bin ich unauffällig immer | |
weiter nach unten durchgerutscht, eine verborgene Assel im dunkelsten | |
Kellerwinkel des Systems. | |
„Richtig, Herr Bankdirektor – ich bin ja freiberuflich.“ Ich lache ein | |
wenig zu laut, zu spitz und zu restalkoholisiert. Um „frei“ und „beruflic… | |
herum habe ich je zwei Paar Gänsefüßchen in die Luft gemalt, um dem | |
Bankchef ironisch anzuzeigen, dass ich weder ihn noch mich über meine | |
tatsächlichen Verhältnisse hinwegzutäuschen gedächte. Immer schön ehrlich | |
sein, gerade zu Bankern, die kennen das ja nicht anders. | |
Er würde einmal sehen, was sich machen ließe, murmelt er. Seine flinken | |
Äuglein huschen, zum Monitor gewandt, von links nach rechts, von oben nach | |
unten durch die dürren Daten und suchen nach Argumenten für den treuen | |
Kunden. Das ist nett. Kann aber auch sein, dass er froh ist, wenn ich bald | |
verschwunden bin und er den Raum auslüften kann. | |
Das Stillsitzen behagt mir nicht. „Geld ist nicht alles.“ Erneut scheppert | |
aus mir diese falsche Ausgelassenheit, für die ich mich im selben Moment | |
schon wieder hasse. Es gibt keinen Grund für gute Laune, und ich habe auch | |
keine. Doch im Handumdrehen verwandle ich meine innere Leere in gequirlte | |
Scheiße: „Aber vielleicht fange ich ja mit Singen an. Wie Leonard Cohen, | |
nachdem er mit dem Schreiben nichts gerissen hat. Und auch Picasso, als ihm | |
die Kaninchennummer … ach, egal, lassen wir das. Was meinen Sie, Herr | |
Ackermann? Hm? | |
Mein Konzept scheint ihn zu überzeugen, denn er klemmt sich hinter den | |
Telefonhörer, um „auf dem kurzen Dienstweg einen alten Freund“ in der | |
Geschäftskundenabteilung anzurufen. Als Auszubildende haben sie einst | |
Stricke an griechische Rentner verschickt, die einzige Ausnahme ever von | |
der restriktiven Präsentpolitik des Instituts. Der eine hat sie gerollt, | |
der andere verpackt. Das schweißt zusammen. | |
## Eisbärenkalender an der Wand | |
„Ja, hallo, hier XY Dingenskirchen, Filiale Sesamstraße.“ Er bekommt den | |
Kameraden offenbar gleich an die Strippe. „Wir haben hier einen ‚Herrn‘, | |
der …“ Ich höre gar nicht weiter zu. Entweder die lassen sich darauf ein, | |
oder eben nicht. Ich kann daran eh nichts ändern. Ich bin ein kleiner | |
Fisch. Meine Referenzen liegen auf dem Tisch. Mit den Fingern trommle ich | |
einen flotten Rhythmus auf die Platte, während ich zum wiederholten Mal den | |
Eisbärenkalender an der Wand hinter seinem Schreibtisch mustere. Eisbären, | |
Scheißbären. Gelangweilt ziehe ich das an der Seite stehende Foto seiner | |
Frau zu mir heran und imitiere alberne Kussgeräusche. Furzen muss ich auch. | |
Ich kann geradezu riechen, wie die „Operation Erwachsenenkreditkarte“ in | |
ihre alles entscheidende Phase tritt. | |
Deshalb passe ich nun ausnahmsweise doch mal wieder auf. „Ja, ist gut“, | |
höre ich die Führungskraft sagen. „Dann können wir das so machen“, er se… | |
eine kurze Pause, „solang nicht alle Stricke reißen.“ Beide lachen. Das | |
scheint so etwas wie ihr Running Gag zu sein. | |
Er legt auf und wendet sich mir zu. Aufgeregt kipple ich auf meinem Stuhl. | |
„Geht in Ordnung“, sagt er. „Wir haben den Rahmen jetzt auf Zwotausend | |
erhöht. Gilt ab sofort.“ | |
„Hurra!“ Ich trample im Sitzen auf der Stelle und klatsche fest in beide | |
Hände. Ich fühle mich wie ein König: eine richtige Kreditkarte! „Danke, | |
Herr Bankdirektor“, sage ich mit fester Stimme, „ich werde Sie nicht | |
enttäuschen!“ Ich bin so froh. Geld ist nämlich doch alles. Mama und Papa | |
werden stolz auf mich sein. | |
30 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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