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# taz.de -- Die Wahrheit: Wenn ich tot bin
> Es ist November. Der Monat für alles Unlebendige. Der Sprengstoffgürtel
> unter den Monaten. Was ist eigentlich bei der eigenen Beerdigung so los?
Bild: Mutige Maus auf dem kurzen Weg über den Jordan
Ich verstehe nie, warum Topterroristen, die sich mit dem Sprengstoffgürtel
in die Luft jagen, immer als „Feiglinge“ bezeichnet werden. Ich würde mich
das im Leben nicht trauen. Das tut bestimmt sehr weh. Dazu ist es furchtbar
laut und man erschrickt total. Die anschließende Sauerei wäre mir peinlich.
Ich wäre dafür definitiv zu weich.
Diese Topterroristen dürften hingegen richtig harte Brocken sein. Das ist
bestimmt eine Grundvoraussetzung neben großer Gemeinheit und ideologischer
Vollverblendung. Im Bewerbungsgespräch fragen die Personaler als Erstes:
„Sind Sie ein richtig harter Brocken?“ Und wenn du dann sagst, nein, kannst
du den Stuhl gleich für den nächsten Kandidaten räumen. Danke und tschüss.
Oder du sagst ja; in dem Fall heißt es garantiert: Na, dann zeigen Sie doch
mal, was sie so draufhaben.
Jetzt heißt es Farbe bekennen. Er will den Job unbedingt. Topterrorist ist
sein Kindheitstraum, also direkt nach Indianer und Feuerwehrmann. „Na ja“,
sagt er, „ich hab mal auf einer Lesebühne einen zwölf Minuten langen
Fußballtext vorgelesen – das geht da eigentlich gar nicht.“
Seine Gesprächspartner raunen aufgeregt und machen sich Notizen. Das
Gekritzel heimlich über Kopf zu lesen, ist schwierig, aber da könnte
durchaus „richtig harter Brocken“ stehen. Davon ermutigt, setzt er nun noch
einen drauf: Er legt die linke Hand flach auf den Tisch, holt mit der
rechten einen Hammer raus, und dann – bamm! Daneben, doch es ist die gute
Absicht, die zählt.
## Sprengstoffgürtel mit Strippe
Oder er zieht halt die Lasche von dem Sprengstoffgürtel mit dem Firmenlogo
der jeweiligen terroristischen Vereinigung, den jeder Bewerber schon vorher
am Empfangstresen als Give-away erhalten hat. Da staunen jetzt aber kurz
die Damen und Herren von der Personalabteilung. Mir ist ja überhaupt nicht
klar, ob das tatsächlich eine Lasche ist, wie an einer Dose Erbsen und
Möhrchen. Oder eher ein Nippel, ein Kippschalter, ein Knopf oder bloß so
eine einfache Strippe? Was aber eher blöd wäre, weil man damit gern an
jeder Türklinke hängenbleibt.
Mein Ding ist es eben ohnehin nicht. Also zum einen, weil das im Moment der
Explosion sicher ordentlich zeckt und zwiebelt. Und wozu die Zähne
zusammenbeißen, wenn die im nächsten Augenblick sowieso wie beim
Zweiunddreißighebauf durch die Landschaft fliegen? Erschwerend kommt hinzu,
dass man dann ja auch tot ist. Das wünscht sich im Allgemeinen keiner,
weder für sich noch für andere (Ausnahmen: Hitler, Wespe, Topterrorist).
Der einzige Grund, warum ich mich doch ein kleines bisschen auf den Tod
freue, ist, wenn ich mir meine Beerdigung vorstelle. Was die
Hinterbliebenen über mich sagen, wie sie mich betrauern, wie sie mich
loben. „Er war gut“, sagt der eine. „Er war schön“, sagt die andere. �…
war klug“, sagt der Nächste. „Schade, dass er tot ist“, die Vierte, „j…
echt jammerschade“, der Fünfte, und die Sechste: „Was für eine geile alte
Maus.“ Irgendjemand sagt: „Ich hab ein Buch von ihm gekauft.“ Darüber fr…
ich mich in meinem Sarg am meisten. Selbst die Kollegen sagen ein paar
freundliche Worte.
## Tränen nach Tagträumen
Die Tagträume triefen vor Selbstmitleid und falschem Pathos. Manchmal bin
ich den Tränen nah, so gerührt bin ich. Erbärmlicher geht es kaum. Das ist
schon fast auf einer Stufe damit, Münzen in das Robbenbecken im Zoo zu
werfen.
Wie entsteht so ein neurotisches Verhalten? Die Mutter schimpft das Kind,
und das denkt, wenn ich jetzt tot wäre, wäre sie nicht mehr böse, sondern
traurig; und alle sagen dann nur noch, wie lieb ich doch gewesen bin.
Das überschaubare Niveau dieses Psychomechanismus wird vom Erwachsenen
sogar locker unterboten. Denn sich auszumalen, wie nun vielleicht noch eine
unglückliche Liebe am Grab weint, ist ein konzertierter Offenbarungseid von
Herz, Verstand und Lebenserfahrung. Schließlich weiß doch jedes Kind: Du
warst egal, du bist egal und du bleibst egal – sonst wäre die Liebe ja
nicht unglücklich gewesen. Warum sollte sich das nach dem Tod ändern –
macht einen der Abgang irgendwie interessanter, witziger oder attraktiver?
Wohl eher nicht.
Ich bin dennoch jedes Mal ernüchtert, wenn mir einfällt, dass ich das so
nie erleben werde. Weil ich ja tot bin. Ein unauflösliches Dilemma.
Entweder kriegt man also alles mit, doch keiner sagt was, weil man ja noch
lebt. Oder alle sagen was, aber man hat nichts davon, weil Tote bekanntlich
nichts mehr schnallen. Auch was das betrifft, ist tot wirklich noch die
unangenehme Steigerung von alt.
11 Nov 2019
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
November
Tod
Beerdigung
Kolumne Die Wahrheit
Osterhase
Vegetarismus
Kreditkarte
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