# taz.de -- Illegale Abschiebungen in die Türkei: Direkt zurück an die Grenze | |
> Griechenland soll zehntausende Flüchtlinge ohne Asylverfahren abgeschoben | |
> haben. Auch das UNHCR hat solche Vorfälle registriert. | |
Bild: Von Abschiebung betroffen: eine Gruppe von Flüchtlingen an der türkisch… | |
BERLIN taz | Griechenland hat an der Landgrenze zur Türkei in den | |
vergangenen zwölf Monaten fast 60.000 Menschen illegal zurückgeschoben. Das | |
[1][berichtet der Spiegel ] unter Berufung auf Dokumente des türkischen | |
Innenministeriums. | |
Mit den Zurückschiebungen verstößt Griechenland gegen seine Pflicht, | |
Ankommenden die Möglichkeit für einen Asylantrag zu geben. Dies wiegt umso | |
schwerer, als es sich bei den Zurückgeschobenen auch um Menschen aus | |
Konfliktregionen wie Afghanistan, Pakistan, Somalia und Syrien handelt. Und | |
die Türkei schiebt ihrerseits Zurückgeschobene in ihre Herkunftsländer ab. | |
Griechenland weist die Vorwürfe zurück. „Das haben wir bereits mehrmals | |
dementiert. Griechenland ist ein Rechtsstaat“, sagte Alexandros Gennimatas, | |
Sprecher des Außenministeriums, am Donnerstag der DPA in Athen. | |
Auch das UN-Flüchtlingswerk UNHCR hat Berichte über Pushbbacks erhalten, | |
will aber keine Angaben zu Zahlen machen. Die Organisation sei „besorgt“ | |
wegen „anhaltender, glaubwürdiger Berichte“ über die informellen erzwunge… | |
Rückführungen von Griechenland in die Türkei, so eine Sprecherin. „Bei | |
vielen Gelegenheiten haben wir diese Bedenken an die griechischen Behörden | |
übermittelt und eine Untersuchung der Vorfällen gefordert.“ Bisher habe | |
Griechenland auf diese Berichte aber nicht reagiert und einen effektiven | |
Zugang zum Asyl und zum Schutz vor de Zurückschiebungen sicher gestellt. | |
## Mit Gewalt genötigt | |
Tatsächlich ist die Praxis dieser Zurückschiebungen seit langer Zeit | |
bekannt. Dabei werden Migranten und Flüchtlinge, die die griechische | |
Polizei aufgreift, nicht wie vorgeschrieben zunächst in | |
Aufnahmeeinrichtungen gebracht, sondern direkt an die grüne Grenze | |
zurückgefahren und meist mit Gewalt dazu genötigt, zurückzugehen. Strittig | |
war in der Vergangenheit unter anderem die Frage, welche Rolle die | |
EU-Grenzschutzagentur Frontex dabei spielt. Frontex hatte die | |
Zurückschiebungen meist als rein griechische Aktionen dargestellt. | |
Neu ist, wie die Türkei mit dem Phänomen umgeht: Nämlich mit einer | |
Offenlegung ihrer Erkenntnisse zu den Pushbacks. Im Juli war Kyriakos | |
Mitsotakis von der konservativen Nea Dimokratia Ministerpräsident geworden | |
und hatte bald eine härtere Gangart in Sachen Asyl angekündigt. Ankara | |
fürchtete offenbar eine Zunahme der illegalen Rückschiebungen. Ende Oktober | |
hatte die Türkei deshalb Griechenland der Lüge bezichtigt. | |
Obwohl die Regierung in Athen die Pushbacks leugne, setze sich die Praxis | |
„sowohl auf See als auch an Land fort“, hieß es in einer Erklärung des | |
türkischen Außenministeriums. Damals war von rund 25.400 solcher | |
Zurückschiebungen in den ersten zehn Monaten dieses Jahres die Rede. „Wir | |
fordern die neue griechische Regierung auf, sich für eine Korrektur dieser | |
völkerrechtswidrigen Politik einzusetzen, anstatt die vom Europarat | |
ermittelten Pushback-Fälle zu leugnen“, schloss das Ministerium. Die | |
Weitergabe der internen Ermittlungsberichte an den Spiegel dürfte Teil | |
dieser Offensive sein. | |
Die Region um den Evros-Fluss ist weniger im Fokus als die Ägäis-Inseln, | |
auf denen die EU und Griechenland insgesamt fünf Hotspots genannte | |
Registrierungszentren betreiben. Diese Lager sind zwar völlig überfüllt, es | |
herrschen [2][katastrophale Zustände]. | |
## Wenig öffentliche Aufmerksamkeit | |
Abschiebungen aber gab es von den Ägäis-Inseln, wo alle Flüchtlinge | |
mindestens ein abgespecktes Asylverfahren durchlaufen, vergleichsweise | |
wenige: Von April 2016 bis Mai 2019 wurden insgesamt rund 2.460 Menschen in | |
die Türkei abgeschoben – also ganz erheblich weniger als am Evros, wo es | |
kaum öffentliche Aufmerksamkeit gibt. | |
Ein Grund dafür, warum die Zahl der Abschiebungen von den Inseln relativ | |
gering ist, ist, dass die griechischen Asylbehörden die Türkei unter | |
anderem deshalb nicht für sicher halten, weil sie in Länder wie Afghanistan | |
abschiebt. Am Evros aber gibt es solchen Rechtsschutz nicht. | |
Salinia Stroux, freie Mitarbeiterin bei Refugee Suppurt Aegean in Athen, | |
beobachtet die Lage am Evros seit Jahren. „Alle wissen es seit Jahren, auch | |
Frontex ist Zeuge dieser Vorfälle.“ Schon 2013 hat Stroux für Pro Asyl eine | |
Studie über die illegalen Zurückschiebungen aus Griechenland verfasst. „Die | |
Zahlen schätzte man damals auch schon sehr hoch“, sagt sie. | |
Tatsächlich sei die Türkei der einzige Akteur, der halbwegs genaue Zahlen | |
über das Geschehen habe „und auch schon immer hatte“, sagt Stroux. Am Evros | |
Zurückgeschobene würden in der Regel aufgegriffen und in kleinen | |
Polizeiwachen an der Grenze oder in der Stadt Edirne in Gewahrsam genommen. | |
„Uns haben viele Flüchtlinge und Migranten berichtet, dass sie dabei | |
befragt wurden.“ Dass die Türkei diese Statistiken nun erstmals so offensiv | |
kommuniziert, nennt Stroux „ein politisches Spiel“, offenbar um den Druck | |
auf Griechenland und die EU zu erhöhen. | |
14 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.spiegel.de/politik/ausland/griechenland-soll-zehntausende-migra… | |
[2] /Gefluechtete-ueber-Camp-in-Samos/!5634252 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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