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# taz.de -- Geschwister-Scholl-Preis für Ahmet Altan: „Lasst ihn frei!“
> In München wird der türkische Autor und Journalist Ahmet Altan mit dem
> Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet. Doch er ist inhaftiert.
Bild: „Sie haben nicht die Möglichkeit, meine Zeit zu stehlen“: der Autor …
München taz | Am Tag, als [1][Deniz Yücel] aus dem Gefängnis in der Türkei
freikam, wurde ein Kollege zu lebenslanger Haft verurteilt: der
Schriftsteller und Journalist Ahmet Altan, einer der wichtigsten
Intellektuellen der Türkei. Das war am 16. Februar 2018.
Schon seit 2016 saß Altan in Untersuchungshaft. [2][Am 4. November 2019
gelangte er schließlich in Freiheit] – wenige Wochen bevor Altan nun am
Montagabend in München der Geschwister-Scholl-Preis verliehen wurde. Doch
schon acht Tage nach seiner Freilassung wurde er erneut festgenommen.
„Kafkaesk“ nennt Michael Then die verworrenen Vorgänge um Altan und das
Verhalten des Erdoğan-Regimes. Then steht dem bayerischen Landesverband des
Börsenvereins des Deutschen Buchhandels vor, der gemeinsam mit der Stadt
München jährlich den angesehenen Geschwister-Scholl-Preis vergibt.
Ausgezeichnet wird in diesem Jahr Altans Buch „Ich werde die Welt nie
wiedersehen – Texte aus dem Gefängnis“ (Fischer Verlag), das er in der Haft
geschrieben hat.
Für kurze Zeit, ebenjene acht Tage im November, hatte man gehofft, Ahmet
Altan könne nach München kommen. Doch nun musste der Preis ohne ihn
verliehen werden. „Ich sollte nicht hier stehen, sondern Ahmet“, sagt seine
Vertraute Yasemin Çongar, die den Preis stellvertretend entgegennahm. Sie
ist ebenfalls Schriftstellerin und Mitbegründerin des Vereins P24 zur
Verteidigung verfolgter Journalisten.
## Widerstand innerhalb der Mauern
Die Große Aula der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität ist mit mehr als
700 Besuchern überfüllt, als Çongar die Dankesrede Altans vorliest. Der
Autor erinnert an Hans und Sophie Scholl, Namensgeber des Literaturpreises:
„Dieser Preis hat einen Teil der diesen beiden überragenden Menschen
innewohnenden Kraft auch auf mein Leben übertragen und damit meine
Widerstandskraft innerhalb dieser Mauern gestärkt.“
Seine Sammlung von 19 Essays, teils Skizzen, brachte Ahmet Altan über
Çongar an die Öffentlichkeit. Sie hatte Altan dazu ermutigt, im Gefängnis
zu schreiben. Interessant, ermutigend, berührend ist das, was sie über den
Autor im Hochsicherheitsgefängnis berichtet. „Sie haben nicht die
Möglichkeit, meine Zeit zu stehlen“, sagt Altan. Denn er schreibt. Etwa:
„Ihr könnt mich ins Gefängnis stecken, doch ihr könnt mich dort nicht
festhalten.“
Christiane Schlötzer-Scotland, Türkei-Korrespondentin der Süddeutschen
Zeitung, hält die Laudatio auf Altan. Sie berichtet von den konstruierten
Vorwürfen, die zur Anklage und Verurteilung geführt haben. Ursache war der
gescheiterte Putschversuch am 15. Juli 2016 gegen Erdoğan, infolgedessen
insgesamt 300.000 Menschen als angeblich Verdächtige in Haft gekommen
waren. Altan war vorgehalten worden, dass er bei einer TV-Talkrunde am
Vorabend des Putsches gesagt hatte: „Die AKP wird ihre Macht verlieren, und
sie wird vor Gericht gestellt werden.“
## Nester im Stacheldraht
Dies bezog sich auf die nächsten Wahlen in zwei Jahren. Staatsanwaltschaft
und Gericht sahen den Satz aber als „unterschwellige“ Botschaft an die
Putschisten. Bei seiner Minifreilassung wurde die Haftdauer von
lebenslänglich auf zehneinhalb Jahre reduziert. Die erneute Verhaftung
wurde mit Fluchtgefahr begründet. Schlötzer-Scotland verschweigt auch
nicht, dass Altan bei der Linken in der Türkei einst stark in der Kritik
stand. Anfangs hatte er Erdoğan unterstützt bei dessen Vorhaben, die Macht
des Militärs zu beschneiden.
Yasemin Çongar erzählt, dass sich Ahmet Altan sehr über den Preis gefreut
habe. „Er ist optimistisch und lacht viel. Dadurch bleibt er stark und
gesund.“ Angefangen hatte er mit dem kleinen Text „Der Vogel“. Er
beschreibt, wie Zugvögel kommen und Nester bauen in den Stacheldrähten des
kleinen Innenhofes, der ihm zur Verfügung steht. Schließlich wurde ein
Beitrag nach dem anderen an Çongar geschickt – bis sie sagte: „Das ist ein
Buch.“ Zuerst erschien es in Spanien, dann in Norwegen, Großbritannien,
Deutschland und weiteren elf Ländern. Nur in seiner Originalsprache, auf
Türkisch, wird es nicht verlegt.
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sagt bei der Verleihung,
Altans großes Verdienst sei es, „Unrecht offen auszusprechen und sich der
Barbarei mit seinen Schriften und Worten zu widersetzen.“ Der Preis gehe an
„einen Mutigen“. Und: „Lasst ihn frei!“
26 Nov 2019
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Deniz-Yuecel/!t5388975
[2] /Opposition-in-der-Tuerkei/!5639087
## AUTOREN
Patrick Guyton
## TAGS
Schriftsteller
Türkei
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