# taz.de -- Doğan Akhanlı: „Von Mittäterschaft geprägt“ | |
> Die historische Dimension der deutsch-türkischen Beziehungen, irreale | |
> Schicksalswendungen und Brain Drain im Gespräch mit dem Schriftsteller | |
> Doğan Akhanlı. | |
Bild: Der Schriftsteller Doğan Akhanlı wurde 2017 in Spanien verhaftet | |
Als Doğan Akhanlı 2010 in der Türkei verhaftet wurde, traten Freund*innen | |
und Bekannte aus der Kölner und Berliner Kulturszene für seine Freilassung | |
ein. Als er 2017 in Spanien verhaftet wurde, weil die Türkei ihn über | |
Interpol suchen ließ, war die Unterstützung riesig. Nach seiner Freilassung | |
lud das Goethe-Institut ihn zu einem Spanienaufenthalt ein. Kürzlich | |
erschien einer seiner alten Romane, „Der letzte Traum der Madonna“, | |
erstmalig in deutscher Übersetzung. Der Autor erhielt die Goethe-Medaille | |
2019. Taz gazete hat mit Doğan Akhanlı über Inhaftierung, Solidarität, die | |
deutsche Türkeipolitik und das sich wendende Schicksal gesprochen. | |
taz gazete: Herr Akhanlı, Sie haben im August in Weimar die Goethe-Medaille | |
verliehen bekommen. Was war das für ein Gefühl? | |
Doğan Akhanlı: Es hat etwas Irreales. Wie ich in meiner Preisrede sagte: | |
Wenn die türkische Regierung damals bereits aufgehört hätte, mich weiterhin | |
zu kriminalisieren, wäre ich in Granada nicht erneut verhaftet worden, dann | |
wäre ich auch nicht zwei Monate lang Gast des Goethe-Instituts in Madrid | |
gewesen. Dann hätte ich nicht das Buch „Verhaftung in Granada“ geschrieben. | |
Wenn die deutsche Presse kein Interesse an meinem Fall gezeigt hätte; wenn | |
die deutsche Bundeskanzlerin und der Außenminister sich nicht eingeschaltet | |
hätten, dann hätte es durchaus passieren können, dass ich an die Türkei und | |
damit einer ungewissen Zukunft ausgeliefert worden wäre. Dank der Reaktion | |
der Bundesregierung und der riesigen internationalen Solidarität blieb mir | |
nicht nur das erspart, sondern ich wurde in Deutschland und ganz Europa zu | |
einer bekannten Persönlichkeit, und zwar nicht nur aufgrund meiner | |
politischen Geschichte, sondern als Schriftsteller. Und solange die Türkei | |
ihre dumme Politik der Willkür verfolgt, wird es mit den Preisen auch nicht | |
aufhören. | |
Sie haben den Preis der in der Türkei inhaftierten Sängerin Hozan Cane und | |
allen politischen Gefangenen gewidmet. Wissen Sie, ob sich die | |
Bundesregierung nach Ihrer Preisrede noch einmal für die Freilassung von | |
Cane starkgemacht hat? | |
Die Bundesregierung muss sich auf die eine oder andere Weise für Hozan Cane | |
einsetzen, weil sie deutsche Staatsbürgerin ist. Aber Einzelschicksale sind | |
immer auch von zwischenstaatlichen Beziehungen und Interessenpolitik | |
abhängig. Es dürfte ziemlich schwierig sein, Hozan Cane freizubekommen, | |
während bekannte Persönlichkeiten wie Ahmet Altan, Osman Kavala und | |
Selahattin Demirtaş gefangengehalten werden und eine Oppositionspolitikerin | |
wie Canan Kaftancıoğlu gerade eine hohe Haftstrafe bekommt. Es kommt aber | |
darauf an, sich kontinuierlich für Menschen einzusetzen, die willkürlichen | |
Angriffen ausgesetzt sind. | |
Sie wurden im Sommer 2017 aufgrund einer Interpol-Notiz in Spanien | |
festgenommen. Was genau waren Ihre Probleme mit der türkischen Justiz? | |
Ich wurde 2010 bei meiner Einreise in die Türkei verhaftet und geriet in so | |
etwas wie einen Maelstrom des Hasses. Ich wollte eigentlich nur meinen | |
kranken Vater besuchen, und das wurde durch kaltschnäuzig fabrizierte | |
Anschuldigungen und die Willkür der Richter verunmöglicht. Zwölf Tage vor | |
meiner Haftentlassung starb mein Vater. Das war für mich ein Verlust, der | |
nicht wiedergutzumachen ist. Der Staatsanwalt damals war Celal Kara, ein | |
bekannter Name. Es gelang meinen Anwälten, sämtliche Vorwürfe der Reihe | |
nach zu entkräften und meine Freilassung zu erwirken. Doch Staatsanwalt | |
Kara rächte sich, indem er mit einem Einzeiler Widerspruch gegen meinen | |
Freispruch beim Kassationsgerichtshof einlegte. Das Gericht nahm das ernst | |
und hob meinen Freispruch auf. Es wurde ein neuer Haftbefehl erlassen. Und | |
der war der Grund, warum ich im August 2017 während meines Urlaubs in einem | |
Hotelzimmer in Granada von der spanischen Polizei festgenommen wurde, weil | |
mich Interpol suchte. Die meisten der damaligen Richter am | |
Kassationsgericht, die diese Unrechtsurteile sprachen, sitzen mittlerweile | |
selbst im Gefängnis oder haben doch zumindest ihre Posten verloren. Ihnen | |
wird vorgeworfen, Gülen-Anhänger zu sein. Auch Celal Kara ist nicht mehr | |
Staatsanwalt. In den Zeitungen stand, er sei nach Deutschland geflohen. | |
Aber niemand weiß, wo er ist. Er wird jetzt von Interpol gesucht und soll | |
in der Türkei als Gülenist erschwerte lebenslängliche Haft bekommen, und | |
zwar unter dem gleichen Paragraphen wie damals ich. Wenn er ein bisschen | |
was im Kopf hat, wird er keine Reise über die Grenzen der Bundesrepublik | |
hinaus unternehmen. | |
Sie sind derzeit einer der meistdiskutierten türkeistämmigen Autor*innen in | |
Deutschland. In der Türkei werden Sie mehr oder weniger ignoriert. | |
Das geht ja nicht nur mir so. Wenn du nicht in der Türkei lebst, aber einen | |
türkischen Namen trägst, wirst du auf eine seltsame Weise ausgegrenzt. | |
Ähnliches haben ja auch schon sogenannte Exil-Autor*innen anderer Länder | |
erlebt. Viele der Schriftsteller*innen und Künstler*innen, die Deutschland | |
während der Nazi-Herrschaft verlassen mussten, wurden in der Bundesrepublik | |
unglaublich lange ignoriert. Für mich ist es wichtiger, Autor zu sein als | |
türkeistämmig zu sein. Deshalb kann ich mit dem Gefühl, übersehen zu | |
werden, ganz gut leben. | |
Wie steht es um die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Türkei? | |
Während die Türkei Sie im Gefängnis sehen will, bekommen Sie ein | |
offizielles Ehrenzeichen der Bundesrepublik verliehen. Ist das ein | |
Widerspruch? | |
Die deutsch-türkischen Beziehungen sind von einer historischen | |
Mittäterschaft geprägt. Seit Jahrhunderten sind die beiden Länder | |
befreundet. Generalfeldmarschall Helmuth Graf von Moltke hat zwischen 1835 | |
und 1839 die osmanische Armee modernisiert und eine federführende Rolle bei | |
der Niederschlagung kurdischer Aufstände gespielt. Während der Genozide an | |
Armenier*innen, Assyro-Aramäer*innen, Chaldäer*innen und Ezid*innen hat | |
Deutschland sich still verhalten. Als 1938 in Deutschland die Synagogen | |
brannten, wurden in Dersim die kurdischen Familien ausgerottet. Abgesehen | |
von dieser historischen Partnerschaft gibt es aber wichtige grundsätzliche | |
Unterschiede zwischen den beiden Ländern. Für Deutschland ist die | |
Auseinandersetzung mit historischer Schuld und Verantwortung eine zweite | |
Natur geworden. Die Türkei streitet immer noch ab, dass es überhaupt einen | |
Völkermord an den Armenier*innen gegeben habe, obwohl es der nach der | |
Schoah meisterforschte Genozid ist. Die traditionelle Türkeipolitik der | |
Bundesrepublik trägt hier nicht zur Demokratisierung bei. Schauen wir uns | |
zum Beispiel die deutsche Haltung zur Kriegsführung gegen die Kurd*innen | |
an. Die Bundesregierung muss aufhören, Menschenrechte und Demokratie in der | |
Türkei ihren wirtschaftlichen Interessen zu opfern. | |
In den letzten Jahren erleben wir einen riesigen Brain Drain aus der Türkei | |
nach Deutschland. Denken Sie, dass die Neuankömmlinge hier finden können, | |
was sie suchen? | |
Ich glaube, es ist der türkischen Regierung noch nicht klar geworden, dass | |
ein Brain Drain eine der schlimmsten Sachen ist, die einem Land passieren | |
können. Nicht einmal nach dem Militärputsch 1980 sind so viele | |
Intellektuelle aus der Türkei ausgewandert wie jetzt. Langfristig wird die | |
Türkei zu einer kulturellen Wüste. Europa hingegen ist kein Paradies für | |
Menschen, die fliehen müssen. Wer aus der Türkei weg muss, wird auch hier | |
ernsthafte Probleme vorfinden. | |
Aus dem Türkischen von Oliver Kontny | |
16 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Rezan Aksoy | |
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