# taz.de -- Kostenlose Grundschulen im Kongo: Leider nicht genug Geld | |
> Der Präsident der Demokratischen Republik Kongo erlässt die Schulgebühren | |
> für Millionen Kinder. Die Folge: Schulen bleiben geschlossen. | |
Bild: Grundschüler in der Wangata-Schule in Mbandaka, Demokratische Republik K… | |
Es ist eine der ambitioniertesten Sozialreformen, die momentan in Afrika | |
laufen: kostenlose Grundschulbildung für alle in der Demokratischen | |
Republik Kongo. | |
Seit Beginn des Schuljahres 2019/20 im September müssen die Eltern der 13,6 | |
Millionen kongolesischen Kinder im Grundschulalter nichts mehr für den | |
Unterricht zahlen. Die Kostenbefreiung ist das Flaggschiff der | |
Reformpolitik von [1][Kongos neuem Präsidenten Félix Tshisekedi], der damit | |
beweisen will, dass er trotz seines durch mutmaßliche Wahlfälschung | |
errungenen Amtsantritts die alte Parole der kongolesischen | |
Demokratiebewegung „Das Volk zuerst“ einlöst. | |
So weit die Theorie. Die Realität: Viele kongolesische Kinder haben seit | |
September gar keinen Schulunterricht mehr. Quer durch das Land sind Lehrer | |
in den Streik getreten – denn seit ihre Schulen keine Gebühren mehr | |
eintreiben dürfen, können sie keine Gehälter mehr zahlen. | |
„Dass der Unterricht gratis ist, kann nicht heißen, dass die Lehrer gratis | |
unterrichten“, empörte sich vergangene Woche in Kongos Parlament der | |
Abgeordnete Muhindo Nzangi. „Die Kostenbefreiung ist blockiert und die | |
Kinder sitzen auf der Straße.“ | |
## Laut Verfassung keine Gebühren | |
Nzangi äußerte sich während der Haushaltsdebatte über Kongos Staatshaushalt | |
2020. Die Haushaltsdiskussion machte deutlich, wo das Problem liegt: Die | |
Regierung hat kein Geld für ihre Politik. | |
Eigentlich ist Schulbildung im Kongo kostenlos, das hat sogar | |
Verfassungsrang. Aber seit Diktator Mobutu Sese Seko in den 1980er Jahren | |
das Land hemmungslos ausplünderte und die Kongokriege ab Mitte der 1990er | |
Jahre den Staat völlig zerstörten, sind alle staatlichen Dienste sich | |
selbst überlassen. Staatliche Schulen – zu denen auch diejenigen gezählt | |
werden, die von der Kirche betrieben werden – müssen sich selbst | |
finanzieren. In den letzten Jahren stammen Untersuchungen zufolge zwei | |
Drittel der Gelder, die Schulen zur Verfügung stehen, von Eltern, nur ein | |
Drittel vom Staat. | |
Der Unterricht an sich mag kostenlos sein, nicht aber das Einschreiben | |
eines Kindes an der Schule und die Zulassung zu einer Prüfung. Lehrmittel | |
und Schuluniformen zahlen Eltern sowieso selbst, oft sogar den Einblick in | |
den Stundenplan. Mit etwas Fantasie und Geschäftssinn kommen Lehrer, die | |
aus ihren Schulen kleine informelle Bildungsunternehmen machen und die | |
Eltern zum Mitmachen anhalten, besser über die Runden als unter einem | |
System, wo Gehälter und Betriebskosten aus der Staatskasse fließen oder | |
eben auch nicht. | |
Doch in einem Land, in dem vier Fünftel der Haushalte weniger als 100 | |
US-Dollar im Monat zur Verfügung haben, sind selbst Schulgebühren in Höhe | |
von 100 US-Dollar für viele unerschwinglich. Viele Familien fallen unter | |
diesem System ganz aus dem Bildungswesen heraus. Aber diejenigen, die | |
mitmachen können, verteidigen es. Mehrere Versuche, die | |
Bildungsfinanzierung durch Eltern zu verbieten, sind in der Vergangenheit | |
gescheitert. | |
## Bildungsetat: 10 Dollar pro Kopf | |
Sie erzeugen eher Protest nach dem Prinzip „Vertraue niemandem, den du | |
nicht selbst bezahlst“. Genauso, wie die Durchschnittskongolesin den | |
Polizisten an der Ecke lieber selber schmiert, als darauf zu warten, dass | |
er sein Gehalt mit der Waffe eintreibt, zieht sie es vor, den Lehrer ihrer | |
Kinder selbst zu bezahlen, als dass Unterricht ausfällt, weil das | |
Schulpersonal anderweitig Geld verdienen gegangen ist. | |
Wie will die Regierung das nun also ändern? Im Staatshaushalt 2019, mit | |
einem Umfang von rund 5,5 Milliarden US-Dollar lächerlich klein für ein | |
Land mit 80 Millionen Einwohnern, ist kostenlose Bildung überhaupt nicht | |
vorgesehen, der Bildungsetat beträgt etwa 10 US-Dollar pro Kopf. | |
Der Staatshaushalt 2020 umfasst immerhin knapp 10 Milliarden US-Dollar – | |
wobei die Regierung großzügige Annahmen über noch einzuholende | |
Entwicklungshilfen eingebaut hat – und davon sind laut Regierung 1,04 | |
Milliarden für die Finanzierung der kostenlosen Grundschule vorgesehen. Die | |
Hälfte davon will die Regierung selbst tragen, für den Rest hofft man in | |
erster Linie auf die Weltbank. | |
Aber das reicht hinten und vorne nicht. Nach amtlichen Angaben vom | |
September zählt die Demokratische Republik Kongo 542.834 Lehrer, davon | |
stehen 410.220 auf den staatlichen Gehaltslisten. Allein zukünftig alle aus | |
der Staatskasse zu bezahlen, kostet 2 Milliarden US-Dollar im Jahr – für | |
2019 hatte das Bildungsministerium für Personalkosten gerade mal 515 | |
Millionen zur Verfügung, drei Viertel seines Gesamtetats. Es gibt 51.574 | |
staatliche Schulen, von denen aber nur 30.773 staatliche Finanzmittel | |
erhalten. | |
## Es fehlen Milliarden | |
Für 2020 sieht es nur wenig besser aus. Präsident Tshisekedi hatte zwar im | |
Sommer verkündet, den Bildungsanteil an den Staatsausgaben von 8 auf 20 | |
Prozent zu erhöhen, und eine staatliche Reformkommission evaluierte den | |
gesamten Finanzbedarf zur Finanzierung der kostenlosen Grundschulbildung im | |
kommenden Jahr auf 2,64 Milliarden Dollar. Nun gibt es aber nur 1,04 | |
Milliarden. | |
Die Regierung macht bereits Rückzieher. Die Einführung der kostenlosen | |
Grundschulbildung wird jetzt wohl über mehrere Jahre bis 2022 gestaffelt. | |
Aber die Frage der Lehrergehälter kann nicht jahrelang ungeklärt bleiben. | |
Während der Sommerferien verschickten die Schulen des Kongo landesweit wie | |
üblich ihre Rechnungen an die Eltern, von deren Bezahlung es abhängt, ob | |
die Kinder im September in den Unterricht dürfen. Im Zentrum der Hauptstadt | |
Kinshasa wurden so umgerechnet rund 137 US-Dollar pro Kind fällig; in | |
ländlichen Gebieten sind die Gebühren geringer. | |
Ende August wies das Bildungsministerium die Schulen an, bereits erhaltene | |
Einnahmen wieder zurückzuzahlen und auf Überweisungen aus der Staatskasse | |
zu warten. Wer das tat, sitzt seitdem auf dem Trockenen. Wer es nicht tat, | |
handelt streng genommen illegal. | |
## Noch mehr Versprechen | |
Nicht dass Lehrergehälter im Kongo zum Leben reichen würden. Das | |
Mindestgehalt beträgt 74 US-Dollar im Monat; die Regierung hat als Wohltat | |
ein Durchschnittsgehalt von 245 US-Dollar angekündigt, außerdem kostenlose | |
Dienstwohnungen und Fahrtbeihilfen. Der Staat soll den Schulen außerdem pro | |
Schüler 50 statt 27 US-Dollar Betriebskosten überweisen. | |
Ein Nachtragshaushalt für das Bildungsministerium in Höhe von 89 Millionen | |
US-Dollar für das letzte Quartal 2019 soll all das jetzt schon möglich | |
machen. | |
Aber große Sprünge sind damit nicht zu machen in einem Land, in dem seit | |
Jahrzehnten nicht mehr in Bildung investiert wurde und in dem jedes Jahr | |
drei Millionen Schulanfänger in die Klassenräume drängen. | |
NaN NaN | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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