# taz.de -- Hartmut El Kurdis „Home.Run“: Ein Vertriebener kehrt heim | |
> Mit einem autobiografischen Theaterstück kehrt Hartmut El Kurdi nach | |
> Braunschweig zurück. Er hatte die Stadt nach einem Bann des OBs | |
> verlassen. | |
Bild: Lässig-spontaner Duktus: Hartmut El Kurdi (links) in seinem Stück „Ho… | |
BRAUNSCHWEIG taz | Ein Neu-Hannoveraner kehrt zurück ins animose | |
Braunschweig – Hartmut El Kurdi, 1964 als Sohn „Samer Hartmoud“ des | |
jordanischen Offiziers Mahmoud El Kurdi und der Nordhessin Luzie Althaus | |
geboren in Amman, seit 1980 deutscher Staatsbürger. Von Beruf | |
Kinderbuchautor, Theatermacher, Countrymusiker und Journalist, unter | |
anderem [1][für die taz]. | |
Vor zehn Jahren war er [2][aus Braunschweig nach Hannover geflüchtet], weil | |
das Arbeitsklima für ihn als Künstler, angewiesen auf öffentliche Gelder, | |
in der Löwenstadt vergiftet war. Hatte doch der damalige | |
CDU-Oberbürgermeister die städtischen Mitarbeiter und Institutionen | |
angewiesen, Auftritte El Kurdis [3][nicht mehr zu unterstützen oder zu | |
besuchen]. Der Grund? Der Publizist hatte mehrmals kritisch auf die | |
NPD-Vergangenheit des Politikers verwiesen. | |
Nach 13 Amtsjahren ist dieser Gerd Hoffmann inzwischen Geschichte, | |
entspannter Weise veröffentlichte er 2018 seine Memoiren im selben Verlag | |
wie El Kurdi seine Ruhrgebietssagen. Zeit also fürs Staatstheater, den | |
Aus-der-Stadt-Gejagten wieder nach Braunschweig zu laden, wo einst seine | |
Stücke „Boomtown Braunschweig“, „Ohja Troja“, „Johnny Hübner greift… | |
und „Angstmän“ liefen. Im Mai 2020 uraufführt er dort nun einen neuen Tex… | |
vorab darf er seine fürs Schauspiel Hannover entwickelte Produktion | |
„Home.Run“ auf der [4][Aquarium] genannten Experimentierbühne zeigen. | |
Der halbmondförmige frühere Probenraum ist in dieser Spielzeit vornehmlich | |
mit Plastikrasen, -blumen und -gemüse als Kleingarten-Installation | |
hergerichtet und soll ein Ort sein fürs utopische Nachdenken darüber, wie | |
wir zukünftig miteinander leben wollen. | |
Und da passen die Landesgrenzen ignorierenden, multikulturell verwurzelten | |
Familiengeschichten Hartmut El Kurdis bestens. Ein Zuwanderer, der den | |
Erfahrungshintergrund seiner Biografie live aufblättert. Ulrike Willberg | |
hat das als Dia-Abend inszeniert, an dem zudem Schnipsel aus historischen | |
Super-8-Filmen und verwackelten Videos zu sehen, auch ein paar | |
Kontrabasstöne, Gitarren-Melodielinien und scheue Gesangsversuche zu hören | |
sind. | |
Das Medium Theater wird dabei aber grandios unterfordert. El Kurdi ist auch | |
nicht der rampensäuische Performer, sondern eher verdruckste Satiriker | |
seiner selbst. Obwohl er seine komödiantische Plauderei schriftlich fixiert | |
und auswendig gelernt hat, bedient sich der Künstler eines lässig spontanen | |
Sprechduktus’, als würde ihm das alles gerade so einfallen. Diese | |
professionelle Beiläufigkeit zeichnet den Abend aus. Keine Abrechnung, | |
nirgends. Nur ein paar Spitzen gegen rassistische Klischees und einige | |
genüssliche Ausflüge zu den grotesken Folgen der Verquickung von Identität | |
und Nationalität. | |
Die Thermoskanne packt der Autor aus, setzt sich an einen Gartentisch, um | |
den herum die Besucher auf Outdoor-Gestühl platziert sind, verteilt Baklava | |
und berichtet mit kauziger Selbstironie von seiner Kinder-Fatwa der | |
Selbstarisierung: Hat er sich doch zur Einschulung von seinem Erstnamen | |
Samer verabschiedet und ist auf den Zweitnamen Hartmut umgeswitcht. | |
Das Dia dazu: Klein-Hartmut mit Meckischnitt, weißen Socken, kurzer Hose | |
mit Bügelfalten, knabenhoher Schultüre und gelber Pudelmütze. Irgendwo in | |
Kassel. Nach „klassischer Zwangskonversion“, sagt der Autor, „vorher war | |
ich Muslim, danach Lutheraner.“ Und fügt hinzu: „Glücklicherweise war ich | |
noch nicht beschnitten, das lässt sich ja nicht so einfach rückgängig | |
machen.“ | |
Die Eltern waren von Jordanien ins diplomatische Korps nach London beordert | |
worden, hatten sich dann aber getrennt, woraufhin die Mutter mit ihrem Sohn | |
nach Hessen zurückkehrte. Eben noch Villa, Chauffeur und Empfänge im | |
Buckingham Palace – nun „Zwei-Zimmer-Küche-Bad, Kohleofen, | |
Neue-Heimat-Siedlung, Mutter Putzfrau. So schnell kann es kommen im Leben“, | |
sagt El Kurdi. | |
In der Grundschule habe ihn die Klassenlehrerin gefragt, ob er sich als | |
Jordanier oder Deutscher fühle. Seine Antwort: „Ehrlich gesagt fühlte ich | |
mich einfach nur wie ein Junge, der gern Fußball spielt, Comics liest, sich | |
im Fernsehen,Raumschiff Enterprise' anguckt und der sich zum Geburtstag | |
eine Carrera-Bahn wünscht – und natürlich nicht kriegt.“ | |
Mit dieser Selbstverständlichkeit definiert er auch sein Verständnis von | |
Heimat auf dem Infozettel zur Produktion als Mischmasch von Sprachen und | |
Kulturen – in diesem Fall Englisch, Hessisch und anglo-amerikanische | |
Popkultur: „So gesehen liegt meine Heimat wahrscheinlich irgendwo zwischen | |
Kassel, London, Niedersachsen, Ahler Worscht, Falafel, Nashville, süßem | |
schwarzem Tee, Bob Dylan, Erich Kästner, Beatles, Robert Gernhardt, Batman, | |
orientalischen Märchen, Kurt Vonnegut, Charles Dickens und Rio Reiser.“ | |
El Kurdi zeigt Fotos der mütterlichen Familie, etwa Onkel in SS-Uniformen, | |
und erwähnt unaufgeregt die Deportation von Juden. Zitiert auch aus der | |
1999 veröffentlichten Autobiografie von Luzie Kurdi: „Sonnenaufgang über | |
der Wüste. Ein Roman, den das Leben schrieb“. Zeigt dabei viel Verständnis | |
für die Mutter als klassischen „Wirtschaftsflüchtling“ der Nachkriegszeit. | |
Deutschland lag in Trümmern, Arbeit und Wohlstandsperspektiven waren kaum | |
vorhanden, sodass ein Aupair-Job nach England lockte, wo ihr der zukünftige | |
Ehemann über den Weg lief. Der hielt sie für seine Rita Hayworth, während | |
sie sich selbst eher als Doris Day sah. | |
## Sympathischer Abend | |
Väterlicherseits recherchierte der Autor die Familie seines kurdischen | |
Großvaters in Syrien und dem Irak, aus dem Kaukasus stammt die | |
tscherkessische Großmutter, wuchs auf den Golan-Höhen auf, bevor sie nach | |
Jordanien kam. In Braunschweig kommt sie auch mit einer Videobotschaft zu | |
Wort. | |
Viele Kinder und Kindeskinder blieben im Aufbruch, wanderten weiter, sind | |
nun auf mehreren Kontinenten zu finden und heimisch geworden, indem sie | |
sich verbandelt haben mit Amerikanern, Dänen, Walisern, Iren oder Türken, | |
Schwester Mona heiratete beispielsweise einen halbsinghalesischen | |
katholischen Iraker – zusammen mit der arabischen Seite der Familie eine | |
echte Globalisierungs-Kampagne des El-Kurdi-Clans. | |
Der Autor bezeichnet die Familienaufstellung als nur „vordergründig | |
ungewöhnliches Beispiel“ – und betont damit die Realität von Migration als | |
so normal, wie sie eben heutzutage vielfach ist und schon immer war. All | |
das nicht pädagogisch auszuwerten oder ideologisch aufzuwerten, macht den | |
Abend zu einem sympathischen. Die Rückkehr nach Braunschweig wird so zu | |
einer umarmten. | |
27 Nov 2019 | |
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[4] https://staatstheater-braunschweig.de/ | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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