# taz.de -- Italiens Zivilgesellschaft wacht auf: Die Schwarmintelligenz | |
> Der rechtsextreme Matteo Salvini hat einen neuen Gegner: Die | |
> Sardinen-Bewegung protestiert friedlich gegen Hetze. Sie verbreitet sich | |
> rasend schnell. | |
Bild: Flashmob in Sizilien: Die Sardinen-Bewegung agiert italienweit | |
RIMINI/ROM taz | Bologna 14. 11., Modena 17. 11., Palermo 22. 11., Reggio | |
Emilia 23. 11., Rimini 24. 11., Parma 25. 11. Am 30. 11. dann Florenz, am | |
1. 12. Mailand, am 15. 12. Rom: Die Liste von Daten und Orten liest sich | |
wie der Tourkalender einer erfolgreichen Band, die in diesen Tagen quer | |
durch Italien auftritt – [1][die „6.000 Sardinen“]. | |
Tausende Menschen drängen sich am frühen Abend in Rimini, gleich hinter dem | |
alten Fischmarkt, auf dem Rathausplatz, und viele haben sich mit Sardinen | |
ausgerüstet: aus Papier in Klarsichthülle, aus Pappe, aus Holz, mal in den | |
Regenbogenfarben bemalt, mal in den Farben der EU. | |
Und immer wieder ist auf den Fischen zu lesen, „Rimini beißt nicht an“, | |
oder auch „Rimini non si Lega“ – Rimini lässt sich nicht fesseln, ein | |
Wortspiel mit dem Namen der aggressiv rechtspopulistischen Lega, die in | |
ganz Italien [2][auf dem Vormarsch] ist und mittlerweile in den | |
Meinungsumfragen bei 34 Prozent liegt. | |
„Wir stehen hier wirklich dicht gepackt wie die Sardinen“, strahlt Marta, | |
eine 17-jährige Gymnasiastin, „und endlich wird sichtbar, dass es ein | |
anderes Rimini, eine andre Romagna, ein anderes Italien gibt, das die | |
Hassbotschaften von Matteo Salvini zurückweist, das für Demokratie, für | |
Offenheit, für Toleranz und gegen Rassismus steht.“ | |
## Thunfisch gegen Sardinen | |
Nein, politisch aktiv war Marta bisher nicht, aber hier musste sie einfach | |
dabei sein, „die Vorstellung, dass Salvini mit seiner Lega am 26. Januar | |
auch hier in der Emilia Romagna die Regionalwahlen gewinnt, ist einfach | |
schauerlich“. | |
Eben von diesem Sieg in der seit 1945 ununterbrochen links – zunächst von | |
den Kommunisten, dann von den Linksdemoraten und heute von der Partito | |
Democratico (PD) – regierten Region träumt Salvini, und um sein Ziel zu | |
erreichen, tourt er in diesen Tagen unermüdlich durch die Emilia Romagna. | |
Nur eine gute Stunde vor dem Massenauflauf der Sardinen hatte auch er | |
seinen Auftritt in Rimini, nur 300 Meter vom Rathausplatz entfernt. Schon | |
da wurde deutlich, dass ihm der neue, völlig unerwartete Protest der | |
Sardinen schon ein wenig zu schaffen macht. | |
Es begann mit dem Outfit: Salvini präsentierte sich in einem | |
[3][dunkelblauen Fleecepulli], auf ihm zu sehen ein Thunfisch, der sich | |
daranmacht, einen Schwarm Sardinen zu verschlingen. | |
## Die „Zecken“ waren ihm recht | |
In seiner kurzen Rede dann beschwert sich Salvini etwas lahm, die Sardinen | |
seien ja „bloß dagegen“, statt konstruktive Vorschläge zu machen, und | |
überhaupt, „dieser Kampf gegen Marsmenschen, Nazis, Faschisten – hier vor | |
mir sehe ich keine Faschisten, sondern bloß Italiener, die stolz darauf | |
sind, Italiener zu sein!“ | |
Vor sich sieht Salvini, der das neue Parteibüro der Lega einweiht, eine | |
bescheidene Schar von vielleicht 300 Fans – vor allem aber sieht er keinen | |
einzigen Protestierenden. | |
Eigentlich mochte er die immer: die Militanten aus den Centri sociali, den | |
besetzten autonomen Zentren, die ihm wütende Parolen zuriefen, die | |
womöglich versuchten, die Polizeiketten rund um die Lega-Veranstaltungen zu | |
durchbrechen. Die konnte er mit einer Mischung aus Ironie und Häme | |
abfertigen, sie als „Zecken“ schmähen, als „figli di papà“, also vom | |
begüterten Papa ausgehaltene Faulpelze lächerlich machen, die mal „lieber | |
arbeiten gehen sollten“. Die Menge der Lega-Anhänger johlte dann jedes Mal | |
begeistert. | |
Die Sardinen dagegen setzen auf ein radikal anderes Protestformat, und das | |
wird auch in Rimini deutlich. Gleich zum Auftakt schärft eine Sprecherin | |
den wohl 7.000 Menschen auf dem Platz – kein Klacks in einer | |
150.000-Einwohner-Stadt – ein: „Keine Parteifahnen, keine Hassparolen, wir | |
sind absolut friedlich“. | |
## Bunter Widerstand | |
In der Tat wirkt die Versammlung wie ein enormes Familientreffen. Schüler | |
und Studentinnen mischen sich mit alten Herrschaften um die 80, Elternpaare | |
schieben Kinderwagen, ein angegrauter Herr erklärt, er sei schon 1980 bei | |
den Protesten gegen die nukleare Aufrüstung dabei gewesen, die meisten aber | |
lassen wissen, sie seien keine politischen Aktivisten. | |
Und statt einer Rede gibt es Gesang. Mit leuchtenden Augen stimmen Tausende | |
„Romagna mia“ an, die Lokalhymne der Region an der Adria, die nur eine gute | |
Stunde vorher auch Salvini bei seiner Kundgebung gesungen hatte, und die | |
Botschaft ist klar: Wir lassen uns von der Lega weder unsere Hymne noch | |
unseren Landstrich rauben. | |
Heiter ist die Stimmung auf dem Platz, von Aggressivität keine Spur, selbst | |
dann nicht, wenn die Rede auf die Rechtspopulisten von der Lega kommt. | |
[4][„Bella Ciao“], die alte Partisanenweise, ist das nächste Lied, das der | |
Platz anstimmt, wieder singen alle mit Inbrunst mit. | |
Und auf ihre Weise stehlen sie Salvini die Show. Der hatte in den letzten | |
Monaten den Mythos verbreitet, er vertrete „das Volk gegen den Palazzo“. | |
Jetzt muss er Tag für Tag ganz viel Volk zur Kenntnis nehmen, das Präsenz | |
zeigt: Präsenz gegen ihn. | |
## Superwahljahr 2020 | |
Eben darum ging es den vier Gründern des Ganzen. Sie wollten vor knapp zwei | |
Wochen, als der Lega-Anführer dort seinen Regionalwahlkampf eröffnete, | |
eigentlich nur zu einem lokalen Event in Bologna aufrufen. Salvini hatte | |
den PalaDozza angemietet, einen Sportpalast mit 5.700 Plätzen. Deshalb die | |
„6.000 Sardinen“. | |
Die vier, alle um die 30 Jahre alt, hatten die Idee, mit einem | |
Facebook-Aufruf einfach mehr Leute auf die Piazza zu bringen als die Lega | |
versammeln würde, mehr Leute mit der einen Botschaft, dass es ein anderes | |
als das rechte, rabiate Italien der Lega gibt. | |
Schließlich hatte der Politiker, der „Italiener zuerst!“ predigt und in | |
seiner Zeit als Innenminister die Politik der „geschlossenen Häfen“ | |
durchgesetzt hatte, gerade erst am 27. Oktober die Region Umbrien mit einem | |
triumphalen Wahlsieg erobern können. | |
In acht weiteren Regionen wird allein im kommenden Jahr gewählt. Am 26. | |
Januar 2020 im süditalienischen Kalabrien und am selben Tag eben auch hier, | |
in der Emilia Romagna, der Region, über die Salvini die Parole ausgegeben | |
hatte, sie zu „befreien“. Und die Meinungsumfragen zeigen: Seine Chancen | |
stehen nicht schlecht, Kopf an Kopf liegen die Rechte und die Linke. | |
## Die dicken Fische kommen noch | |
In Bologna allerdings war dann das Rennen klar für die Sardinen | |
ausgegangen, nicht 6.000, sondern um die 12.000 Menschen hatten sich | |
eingefunden, um ebenso friedlich wie entschlossen gegen die Lega Stellung | |
zu beziehen. Und was als lokaler, spontaner Grassroots-Protest begann, | |
wurde binnen weniger Tage zur Lawine – jeden Abend gehen quer durch Italien | |
Tausende Menschen auf die Straße, um zu zeigen, dass sie „nicht anbeißen“ | |
bei den Hasspredigern. | |
Dabei kommen die wirklich großen Städte erst noch, mit Mailand am nächsten | |
Wochenende, mit Rom am 14. Dezember. Auf der dortigen Facebook-Gruppe haben | |
sich mehr als 100.000 Menschen registriert. | |
26 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.facebook.com/sardinemilano/ | |
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/italien-demo-105.html | |
[3] https://lookdavip.tgcom24.it/matteo-salvini-contro-le-sardine-tira-fuori-il… | |
[4] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/tausende-singen-bella-ciao-g… | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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