# taz.de -- Konzeptkunst-Ausstellung: Ausbreitungsmechanismen | |
> Die Dokumentarfilmerin Hito Steyerl experimentiert in ihrer Ausstellung | |
> im Neuen Berliner Kunstverein mit der Macht der Algorithmen. | |
Bild: Philosophisch hinterfragend: Künstlerin Hito Steyerl | |
Blumen wachsen auf acht skulptural angeordneten Monitoren im Neuen Berliner | |
Kunstverein. Blätter öffnen und schließen sich. Sie verändern ihre Formen. | |
Auf einem anderen Monitor wird ein Streichholz entzündet. Flammen züngeln | |
hoch. Die Art ihres Züngelns korrespondiert zuweilen mit den Metamorphosen | |
der Blütenblätter auf den anderen Screens. Ob diese Ähnlichkeiten gewollt | |
sind oder Zufallsprodukte, bleibt ungeklärt. | |
Auskunft über Umfang und Quellen der Datenbanken, aus denen dieses Bilder | |
stammen, vermag in der Galerie niemand zu geben. Ob der gleiche Algorithmus | |
an jedem Monitor wirkt und auf die gleichen Bildquellen zurückgreift, | |
ebenso wenig. Was genau beim Maschinellen Lernen geschieht, ist ohnehin | |
selbst für die Entwickler nicht einsichtig, außer sie fügen immer wieder | |
Statusmeldungen in die Abarbeitungsschleifen ein oder benutzen nachträglich | |
Analyse-Tools. Die gibt es, zum Glück, immer mehr. | |
Aber diese sinistren Aspekte des Maschinellen Lernens sind in diesem Falle | |
gar nicht Thema der gewöhnlich strukturellen Gefahren gegenüber sehr | |
aufmerksamen Künstlerin Hito Steyerl. Sie benutzt hier lediglich | |
Algorithmen, um Abbilder realer Pflanzen zu erzeugen. Der Algorithmus, den | |
sie einsetzt – so schildert es zumindest der Begleittext –, errechnet das | |
Aussehen der ursprünglich abgebildeten Pflanze in 0,04 Sekunden in der | |
Zukunft und setzt diese Wachstumsschleifen für mehrere Sekunden fort. | |
Der Algorithmus scheint gut an den biologischen Prozessen geschult. Denn | |
die Pflanzen verhalten sich meist erwartbar. Ein wenig Enttäuschung macht | |
sich daher breit. So viel technologischer Aufwand, um Pflanzen wachsen zu | |
sehen, wie sie ungefähr auch im Garten, im Gewächshaus oder im Park wachsen | |
könnten? | |
Die Installation „Power Plants“ ist eingebettet in das größere Projekt | |
„This is the Future“. In diesem auf eine LED-Leinwand projizierten Video | |
begleitet man eine Erzählerin, die von einem geheimen Gefängnisgarten | |
erzählt. Er ist angelegt von Gefangenen, stellt einen Versuch des | |
symbolischen Ausbruchs dar und wird regelmäßig vom Wachpersonal zerstört. | |
Also versucht die Erzählerin, den Garten in der Zukunft zu verstecken, | |
generiert von Algorithmen. Dieser Garten ist „Power Plants“. So legt es | |
jedenfalls die plötzlich transparent werdende Projektionsfläche von „This | |
is the Future“ nahe, durch die der Blick auf die Acht-Monitor-Installation | |
frei wird. | |
## Wie viel Revolution steckt in der Bambuspflanze? | |
Algorithmen fungieren in diesem Falle also als ein befreiendes, als ein | |
subversives Tool. Das ist dann doch eine überraschende Setzung, ist dem | |
latent technikfeindlichen und meist offen technikignoranten Mainstream in | |
Kunst und Feuilleton entgegengesetzt. | |
Mit den dunklen Folgen der Algorithmisierung beschäftigt sich Steyerl aber | |
auch. Mobilisierung durch Meme und soziale Medien problematisiert sie durch | |
Bilder vom Aufmarsch der Rechten und Rechtsextremen in Chemnitz. | |
Skalierung, also die sprunghafte Erweiterung von Reichweiten, ist ein | |
Arbeitsziel in Kommunikation und Marketing. Das ist nicht nur auf | |
Unternehmen beschränkt, sondern liegt auch im Interesse von politischen | |
Akteuren. In einer anderen Sequenz von „This is the Future“ wird | |
nahegelegt, dass das Verstehen des Wachstums von Bambuspflanzen auch als | |
Muster zu Analyse und Stimulation der Ausbreitung von Revolten und | |
Revolutionen genutzt werden könne. | |
Um welche Revolutionen es sich dabei handelt, „rechte“ oder „linke“, | |
„nationale“, „identitäre“ oder „queere“, all das bleibt offen. | |
Konsequenterweise. Denn der Inhalt, also der politische Forderungskatalog, | |
ist austauschbar. „The medium is the message“ hatte schon Marshall McLuhan | |
festgestellt. Steyerl erinnert an den Begründer der modernen | |
Medienwissenschaften, ohne ihn zu zitieren. | |
## Das einst Schockierende wird normalisiert | |
Ausbreitungsmechanismen stehen auch im Zentrum der dritten Arbeit in der | |
Ausstellung: In der Videolecture „Mission Accomplished: Belanciege“ | |
vergleicht Steyerl gemeinsam mit den Künstlerkollegen Giorgi Gago | |
Gagoshidze und Miloš Trakilović die Werbestrategien der Luxusmodemarke | |
Balenciaga mit den Kommunikationsstrategien der Trump-Kampagne. | |
Beide setzen – so zumindest stellen es die Künstler*innen dar – auf den | |
Triumph der Hässlichkeit. Hier der Schock mit klobigen Schuhen, | |
Ikea-artigen Taschen und profaner Berufsbekleidung, dort der Schock mit | |
rassistischen, frauenfeindlichen und queerphoben Äußerungen. Dann werde | |
nachgelegt und so das einst Schockierende normalisiert, bis es Nachahmer | |
findet. | |
Statt „Shock and Awe“ (Schock und Angst), dem einstigen Kampfspruch von | |
George W. Bush im Irakkrieg, nun also der Dreischritt „Shock, Normalize and | |
Copy“. Steyerl, Gagoshidze und Trakilović entwickeln die These umfassend in | |
einem Auditorium im NBK. Gelegentlich zugeschaltet wird Christopher Wylie, | |
einstiger Mitarbeiter der Datenanalysefirma Cambridge Analytica, der über | |
die Methoden der zielgerichteten Desinformationskampagnen des Trump-Lagers | |
durch seinen früheren Arbeitgeber ausgepackt hatte. Wylie leibhaftig bei | |
der Lecture zu haben, wäre der Durchschlagskraft sicher zuträglich gewesen. | |
Es sind sicherlich nicht Steyerls stärkste Arbeiten, die nun im NBK zu | |
sehen sind. Wenn man sich aber Zeit lässt, so hallen sie nach und öffnen | |
einen Raum zur Reflexion über Technologie, Politik und Ästhetik. | |
25 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
## TAGS | |
Algorithmen | |
Konzeptkunst | |
Kunstausstellung | |
Analog-Hipster | |
zeitgenössische Kunst | |
Bildende Kunst | |
zeitgenössische Kunst | |
Bildende Kunst | |
Ausstellung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kalender des Künstlers Thomas Demand: Einen Tag pralle Blüte | |
Jeden Tag Blumen bringt der Abreißkalender von Thomas Demand. Er zeigt, | |
dass das Pflanzenmotiv nicht abgedroschen ist und politisch sein kann. | |
Fotoausstellung in Berlin: Verlust und Versehrung | |
Johanna Diehls Einzelausstellung „In den Falten das Eigentliche“ im Haus am | |
Waldsee. Oder: die falschen Bilder der westdeutschen Nachkriegszeit. | |
Kleine Utopien in der Videokunst: Die Geschichte wird reicher | |
Der Künstler Stan Douglas ist als diskreter Schnittmeister von montierten | |
Welten zu erleben. Zu sehen in der Julia Stoschek Collection Berlin. | |
Zwei Ausstellungen im Ruhrgebiet: Wie die Farbe selbstständig wurde | |
Das Museum Quadrat in Bottrop und das Museum unter Tage in Bochum | |
untersuchen die Rolle der Farbe in der Gegenwartskunst. | |
Norbert Bisky in Berlin und Potsdam: Die biskynische Kapelle | |
Zum 30. Jubiläum des Mauerfalls eröffnen in Berlin und Potsdam gleich zwei | |
Ausstellungen von Norbert Bisky. Eine davon in einer Kirche. | |
Berliner Ausstellung zu Hubert Fichte: Anstacheln zur Empfindlichkeit | |
Videoinstallationen, Skulpturen, Gemälde: Mit „Liebe und Ethnologie“ wird | |
die Arbeit des Schriftstellers und Ethnografen Hubert Fichte gewürdigt. |