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# taz.de -- Augenzeugenbericht aus Hongkong: Universitäten wie Schlachtfelder
> Der Dramatiker und Autor Pat To Yan erlebt die Kämpfe zwischen
> Oppositionellen und der Polizei hautnah. Hier schildert er seine
> Eindrücke.
Bild: Schauplatz der Auseinandersetzung: die Polytechnische Universität Hongko…
Wer in Hongkong plant, spontan ein Theater zu besuchen oder ein Konzert,
weiß gerade nicht, ob er es rechtzeitig bis zum Beginn der Vorstellung
schafft. Praktisch alle Veranstaltungssäle sind im Besitz der Regierung.
Falls die U-Bahn-Betreiber MTR ihren Betrieb vorzeitig einstellen – was
momentan des Öfteren geschieht –, werden automatisch alle kulturellen
Veranstaltungen abgesagt.
Es ist seltsam, aber auch wenn es andere Transportmittel gibt, die nach
Fahrplan verkehren, halten sich alle Veranstalter in Hongkong stets an den
Service von MTR. Wenig überraschend, dass die Regierung Hongkongs der
größte Anteilseigner der Verkehrsbetriebe ist. Jene Regierung, die eine
Ausgangssperre einführen möchte, aber sich bisher nur nicht dazu
durchgerungen hat, diese zu verkünden.
Künstler:innen wissen daher auch nie, ob alles wie geplant abläuft. Auch
bei den noch so intensiven Proben vor Uraufführungen können sie daher nicht
die Augen verschließen vor dem, was draußen vor dem Fenster passiert. In
jeder Pause greifen alle sofort zum Smartphone und checken die neuesten
Entwicklungen.
Falls wieder ein Generalstreik verkündet wird, beteiligen sich auch die
KünstlerInnen am Protest, in welcher Form auch immer. Seinen Protest
gegenüber der Polizei formulierte einer von ihnen vor kurzem auf Twitter
[1][in der Diktion von Shakespeare], bis er selbst verhaftet wurde.
## Tränengas, Gummigeschosse und nackte Leichen
Das Alltagsleben ist durch die Proteste erheblich in Mitleidenschaft
gezogen. In vielen Vierteln wird Tränengas versprüht, werden Gummigeschosse
verschossen. Es gibt inzwischen rätselhafte Fälle von Selbstmord, die mit
der Protestbewegung in Zusammenhang gebracht werden. Die Polizei ließ dazu
lediglich mitteilen, nackte Leichen seien aufgefunden worden.
Die Opfer seien wahrscheinlich von Hochhäusern in die Tiefe gestürzt.
Seltsam, an den Unglücksstellen fanden sich nirgendwo Blutspuren. Alle
Toten waren jung. Hongkong gleicht dieser Tage einem lebendigen
Leichenschauhaus.
Seit 2014 hat Hongkong eine Open-Air-Galerie, die durch die Stadt wandert:
Lennon Wall. Dort werden Post-it-Zettel angeklebt, BürgerInnen verleihen
ihrer Wut und ihren Wünschen an die Regierung Ausdruck. Dieses Jahr sind
diese Wände in allen Stadtvierteln entstanden. An den Lennon Walls finden
sich nützliche Informationen. Am allerwichtigsten ist der
zwischenmenschliche Effekt: Die Lennon Walls zeigen einem, dass man nicht
allein ist.
Zuletzt konzentrierte sich die [2][Polizei darauf, vier besetzte
Universitäten einzunehmen]. Die Chinesische Universität (CUHK) befand sich
fünf Tage im Belagerungszustand. Dort sah es aus wie auf einem
Schlachtfeld.
## Todesängste unter den Student:innen
Der Campus liegt auf einem Hügel, weitab vom Stadtzentrum, es gibt nur drei
Ausgänge, und es war zu befürchten, dass die Unversehrtheit der
Student:innen durch die Kämpfe ernsthaft in Gefahr geriet. Bürger:innen
fuhren mit ihren Autos zum Campus der CUHK, um die umliegenden Straßen zu
blockieren und den Student:innen die Flucht zu ermöglichen. Bei meinem
Eintreffen auf den Campus der CUHK traf ich auf zahlreiche Student:innen
und Bürger:innen, die Stimmung war angespannt, aber nicht resigniert. Sie
hatten Todesängste, aber waren froh, Schutzengel an ihrer Seite zu haben.
Seit Sonntag belagert die Polizei den als einzigen noch besetzten
[3][Campus der Polytechnischen Universität]. Dort hat sich eine unbekannte
Zahl von Aktivist:innen verschanzt. Sie können von außen nicht mehr
versorgt werden. Bei mehreren Versuchen, das Gelände zu verlassen, wurden
am Montag Dutzende festgenommen, andere wurden mit Tränengas zurückgedrängt
und eingekesselt.
Noch zögert die Regierung im Zeitalter von Internet und Handycams offenbar
vor einem Aufstandsbekämpfungsszenario, das demjenigen des Platzes des
himmlischen Friedens in Peking 1989 gleicht. Langsam aber wird der Protest
in Hongkong qualvoll eingedämmt, wenn die Kameras gerade ausgeschaltet
sind.
Aus dem Englischen von Julian Weber
18 Nov 2019
## LINKS
[1] https://twitter.com/ttingxiao/status/1181030039535538176/video/1
[2] /Proteste-in-Hongkong/!5642538
[3] /Neue-Zusammenstoesse-in-Hongkong/!5642436
## AUTOREN
Pat To Yan
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