# taz.de -- Bestseller-Autor über Spaltung: „Kultur macht die Menschen besse… | |
> Fernando Aramburu ist in Spanien Bestsellerautor. Er schreibt über den | |
> Terror der ETA – und lebt seit 1985 in Hannover. | |
Bild: Kennt inzwischen einige Hannover-Witze, weiß aber, dass sie wohlfeil sin… | |
Herr Aramburu, taucht ein Stück Hannover in Ihren Büchern auf? | |
Fernando Aramburu: Ja. Vielleicht nicht so oft, wie es sein sollte, weil | |
mich mein Heimatland Spanien mit seinen vielen politischen Konflikten immer | |
noch sehr beschäftigt. Und ich versuche jedes Mal, eine Antwort zu geben. | |
Aber ich habe für die spanische Presse oft über Hannover berichtet. Und es | |
sind auch Presseteams aus Spanien gekommen, um mich zu interviewen. Man | |
verbindet mich in Spanien mit Hannover. | |
Was interessiert die Spanier an Hannover? | |
Hannover ist wenig bekannt in Spanien. Die Menschen kennen nur den Namen | |
„Hannover“. Aber Sie verbinden damit kein Symbol, kein Emblem. Es gibt | |
keinen großen Fluss, keinen Eiffelturm oder irgendetwas, das die Stadt in | |
der Welt berühmt machen könnte. Aber Hannover wird langsam bekannter, vor | |
allem nach der Expo. | |
Wie hat es dann Sie ausgerechnet in diese Stadt verschlagen? | |
Anfang der 80er-Jahre in Saragossa, wo ich studierte, lernte ich ein | |
hübsches deutsches Mädchen aus Hannover kennen. Da kam die Liebe ins Spiel | |
und ich bin ihr 1985 hinterher. Heute sind wir 30 Jahre zusammen und haben | |
zwei Töchter. | |
War der Terror der baskischen Untergrundorganisation ETA, über den Sie | |
heute in Ihren Büchern schreiben, auch ein Grund für Sie, um Ihrem | |
Heimatland den Rücken zu kehren? | |
Ich war nie ein Exilant. Aber ich wollte weg. Es ist nicht angenehm, in | |
einer Gesellschaft zu leben, wo Leute mit Waffen rumlaufen und wo andere | |
Attentaten applaudieren. Das ist nichts für mich. | |
Aber die Bedrohung war nicht entscheidend? | |
Es ist so: Man trifft Entscheidungen, und man weiß am Ende nur, dass man | |
entschieden hat. Der Weg entzweit sich auf einmal, aber man geht nur in | |
eine Richtung. Ich kann mir vorstellen, dass ich nie in meiner Heimatstadt | |
geblieben wäre. Es wäre anders, hätte ich keine Angst in dieser | |
Gesellschaft gehabt. Ich brauche Freunde, ich brauche Kultur. Ich brauche | |
Ruhe. | |
Wie haben Sie die Terrorangst erlebt? | |
Ich habe festgestellt, dass viele in Angst gelebt haben. Das ist sehr | |
menschlich. Das ist auch typisch für eine Diktatur – da klatschen die | |
Menschen für Schlechtes, um zu überleben und die Angst zu bekämpfen. Wenn | |
der Löwe mich angreifen kann, ist es eine Lösung, wenn ich auch ein Löwe | |
bin. Dann verwandle ich mich in etwas, das ich nicht bin. Ich übernehme | |
Gedankengut, das ich innerlich nicht teile. Aber: Ich überlebe. Oder lebe | |
in Ruhe. | |
Ihr Bestseller „Patria“ erzählt von der Spaltung von Menschen, die sich | |
nahestanden. Haben auch Sie diese Spaltung erfahren? | |
Ja. Familien haben nicht mehr miteinander gesprochen. Es gab sogar | |
Aggressionen. Einmal stand in der Zeitung, dass ein Junge seine Mutter in | |
aller Öffentlichkeit geschlagen hat – aus politischen Gründen. | |
Hat die Spaltung auch Ihre Familie und Freunde getroffen? | |
Also meine engste Familie nicht. Nicht zuletzt, weil wir eine geschlossene | |
Gruppe waren und wir uns immer geliebt haben. Die Politik spielte bei uns | |
zu Hause keine Rolle. Aber da gab es Freunde, die mich nicht mehr begrüßt | |
haben. Aus politischen Gründen, ganz ohne Streit. Wenn so eine Bewegung | |
stattfindet, teilt man die Bürger in Gruppen. Davon gibt es nur zwei: Wir | |
und die Feinde, die anders denken oder anders aussehen. Das kennen wir | |
überall. Das Benehmen gehört zur menschlichen Seele. Daran knüpft der Sinn | |
der Demokratie an – dass man eine gemeinsame Regel akzeptiert und sich | |
nicht bekämpft. | |
Wie waren Sie selbst zur ETA eingestellt? | |
Wenn man so jung ist, ist man sehr anfällig. Man war immer der Propaganda | |
ausgesetzt. Oder weil die Freunde mitmachen. Ich glaube, es sind drei | |
Gründe, weshalb ich trotzdem nicht anfällig für Gewalt war. | |
Und welche sind das? | |
Zum einen meine christliche Erziehung. Ich hatte schon mit vier, fünf | |
Jahren eine Moralvorstellung. Man durfte andere Menschen nicht verletzten | |
und auch nicht töten. Ich wusste das, und ich war völlig davon überzeugt. | |
Meine Mutter hat mir auch Grimms Märchen erzählt, wo man lernt, wer der | |
Böse ist und was man darf und was nicht. Das sind sehr einfache, schlichte | |
Prinzipien, aber sie waren nützlich. Wenn ich gewalttätig geworden wäre, | |
hätte ich gegen diese Prinzipien verstoßen müssen. | |
Und die anderen Gründe? | |
Ich bin in einer Stadt aufgewachsen, in San Sebastian. Man hat dort | |
leichter Zuflucht, wenn man mit einem sozialen Konflikt lebt. In einem | |
kleinen Dorf ist das sehr schwierig – wo sich alle kennen und man weiß, was | |
der andere denkt und welche Partei er wählt. In einem Dorf als Dissident | |
aufzutreten, ist nicht nur sehr schwierig, sondern auch gefährlich. Und der | |
dritte Grund sind die Bücher. | |
Inwiefern? | |
Ich wusste schon früh, dass die Welt nicht in meiner Straße endet. Es geht | |
weiter. Es gibt andere Sprachen, andere Ideologien, andere Menschen, andere | |
Kulturen. Und das wirkt gegen Gewalt. Durch Bücher wurde ich sehr kritisch. | |
Nicht nur, dass ich mich gegen Gewalt schützen wollte. Sondern ich begann | |
zu verstehen. Ich war dagegen. | |
2018 gab die ETA ihre vollständige Auflösung bekannt. Können Sie sich noch | |
an diesen Tag erinnern? | |
Ich habe sogar einen Satz auf Twitter veröffentlicht, der an ein Zitat von | |
Kafka angelehnt war: „Heute begann der Krieg, am Nachmittag bin ich | |
schwimmen gegangen.“ Die letzten ETA-Mitglieder wollten, dass man sie in | |
allen Zeitungen vorstellt, aber die spielten schon lange keine Rolle mehr. | |
Wie wichtig war die Kultur für den Frieden in der spanischen Gesellschaft? | |
Ein Beispiel: Der Titel Kulturhauptstadt hat in meiner Heimatstadt San | |
Sebastian einfach Brücken gebaut. Nach Jahrzehnten des ETA-Terrorismus mit | |
vielen Opfern war es uns absolut wichtig, dass man etwas Positives erzeugen | |
kann. Also man schafft Verbindungen zwischen Leuten, die sich gestern nicht | |
angesprochen haben. Kultur kann eine Brücke bauen. | |
Können Sie das erklären? | |
Für mich ist die wichtigste Funktion der Kultur, dass sie die Menschen | |
besser macht, uns motiviert. Und, dass sie uns freier macht. Durch Kultur | |
werden wir in die Lage versetzt, die Realität selbst zu verstehen, ohne | |
dass uns jemand bevormundet. Wer viel liest und reist, wird auch | |
toleranter. Weil diese Person weiß, es gibt auch Leute mit anderen | |
Realitäten. Die im Leben anders denken und sprechen. Also ich glaube, | |
Kultur macht uns menschlicher. Deshalb kann sie uns verbinden. Ich würde | |
mich auch sehr freuen, wenn Hannover Kulturhauptstadt wird. | |
Warum? | |
Die Stadt ist viel besser als ihr Ruf. Ich sage das, weil ich viele Witze | |
über Hannover als Provinzstadt höre. Das stimmt aber nicht, Hannover lebt! | |
Hier gibt es ein Kulturangebot besten Ranges. Deshalb sollte Hannover in | |
Europa bekannter sein. | |
Möchten Sie Menschen mit Ihren Büchern verbinden? | |
Das wäre schön. Aber im Prinzip ist es meine Absicht, durch meine Literatur | |
nur Dankeschön zu sagen an die Literaten, die in vergangenen Zeiten | |
geschrieben haben – die ich gerne gelesen habe. Ich will nicht schreiben, | |
um die Welt zu retten. Das steht außer meiner Kraft. | |
Wäre das nicht ein schöner Idealismus? | |
Nein. Idealismus und ich passen nicht so gut zusammen. Außer natürlich, als | |
ich jung war. Seitdem habe ich meinen Vorrat an Idealismus aber schon | |
verbraucht. | |
15 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Jacqueline Hadasch | |
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Roman über das Baskenland, die ETA und den Alltag des Terrors gelungen. |