| # taz.de -- Norwegische Ministerin über Buchmesse: „Sie kann ja zurückschie… | |
| > Für Norwegens Außenministerin Ine Eriksen Søreide ist klar: Das Gastland | |
| > der Frankfurter Buchmesse ist ein Vorzeigeland für die Freiheit des | |
| > Wortes. | |
| Bild: Die erste Frau an der Spitze von Norwegens Außenministerium: Ine Marie E… | |
| taz: Frau Søreide, der Gastlandauftritt Frankfurter Buchmesse ist eine | |
| große Sache für Norwegen, eines der größten Kulturprojekte außer Landes | |
| bisher. Welche Effekte erhoffen Sie sich davon? | |
| Ine Eriksen Søreide: Der Effekt kann riesig sein, und ich denke, er hat | |
| sich schon jetzt in Frankfurt gezeigt. Wir haben innerhalb eines Jahres | |
| über 500 Titel ins Deutsche übersetzt. Deutschland ist der größte | |
| ausländische Markt für uns. Wichtiger aber ist: Bei der Buchmesse bauen wir | |
| Verbindungen auf, die bleiben werden. | |
| Ein Schwerpunkt ist Meinungsfreiheit. Norwegen ist in den vergangen Jahren | |
| im Demokratieindex des Economist und im Pressefreiheitsranking von Reporter | |
| ohne Grenzen immer auf Platz 1 gewesen. Woran liegt das? | |
| Ich glaube, es gibt bei uns die Tradition einer offenen und inklusiven | |
| Debattenkultur. Nicht nur in Norwegen, in ganz Skandinavien. Und wir haben | |
| gelebte flache Hierarchien. Zum Beispiel [1][hat die Autorin Erika Fatland | |
| bei der Eröffnungsfeier Ministerpräsidentin Erna Solberg scharf dafür | |
| kritisiert], wie sie eine politische Theaterproduktion öffentlich | |
| kommentiert hat. Sie sah das als Eingriff in die Kunstfreiheit. In vielen | |
| anderen Ländern würde so etwas nicht passieren, für uns ist das normal. Die | |
| Ministerpräsidentin kann ja jetzt zurückschießen. | |
| „Freedom of Speech“ beinhaltet auch die Frage, wer in der Öffentlichkeit | |
| sprechen kann und wer nicht. Was die feministischen Kämpfe angeht, war | |
| Norwegen sehr erfolgreich, aktuell stehen drei Frauen an der | |
| Regierungsspitze. Wie selbstverständlich ist es, dass zum Beispiel auch die | |
| samische Bevölkerung oder Migranten Teil des Diskurses sind? | |
| Definitiv haben sie die gleichen Rechte; ob sie die auch wahrnehmen können, | |
| steht auf einem anderen Blatt. Als ab 2015 viele Flüchtlinge nach Norwegen | |
| kamen, haben wir viele Mühen darauf verwendet, sie in Integrationsprogramme | |
| zu bringen, damit sie schnell die Sprache lernen – das steht an erster | |
| Stelle. Viele Migranten schreiben inzwischen für Zeitungen oder drücken | |
| sich anderweitig aus, das ist ein gutes Zeichen, denke ich, aber ich hoffe, | |
| es werden noch mehr. | |
| Die Initiative Icorn (International Cities of Refuge Network) hat ihren | |
| Sitz in Stavanger. Durch Icorn erhalten verfolgte Schriftsteller und | |
| Künstler in anderen Ländern Zuflucht. Welchen Stellenwert hat das Programm | |
| für Sie? | |
| Einen sehr hohen. Es geht dabei nicht nur darum, Solidarität zu zeigen, | |
| sondern die Personen auch in Sicherheit zu bringen. Die Künstler erhalten | |
| in der Regel zwei Jahre Aufenthaltsrecht, sie können ohne Angst und Druck | |
| arbeiten. In Norwegen haben sie im Anschluss die Möglichkeit, Asyl zu | |
| beantragen. Rund 70 Städte weltweit nehmen an diesem Programm teil, in | |
| Norwegen sind es 17 Kommunen. | |
| Ihre Partei regiert zusammen mit der Fortschrittspartei, die als eine der | |
| frühesten rechtspopulistischen Parteien Europas gilt. Ich könnte mir | |
| vorstellen, dass die nicht immer so begeistert davon sind, dass Migranten | |
| gleiche Rechte wie Norwegern eingeräumt werden. | |
| Sie haben eine ziemlich restriktive Politik, wenn es um Einwanderung geht, | |
| das ist richtig. Aber sie stehen zum Recht auf Meinungsfreiheit. Wenn es um | |
| Meinungsfreiheit geht, ziehen alle Parteien in Norwegen an einem Strang. Ob | |
| sich radikale Linke, Migranten, Feministinnen oder wer auch immer in die | |
| Debatte einmischt, es wird akzeptiert. | |
| Hat Meinungsfreiheit für Sie Grenzen? | |
| Nein. Wenn es darum geht, das auszusprechen, was du denkst, sollte es keine | |
| Grenzen geben. In dieser Hinsicht war ich immer sehr liberal. Es gibt einen | |
| Unterschied zwischen Worten und Taten, du hast das Recht, jemanden mit | |
| Worten zu attackieren, aber nicht körperlich. Ich fürchte, dass es in | |
| unseren polarisierten Gesellschaften eine Entwicklung geben könnte, dass | |
| die Einschränkung von Meinungsfreiheit mit Antiterrormaßnahmen legitimiert | |
| wird, zum Beispiel in autoritär geführten Staaten. Die Versammlungsfreiheit | |
| wird dann auch schnell eingeschränkt, die hängt ziemlich eng mit der | |
| Meinungsfreiheit zusammen. Zur Meinungsfreiheit gehört übrigens auch das | |
| Recht, nichts zu sagen, das wird oft vergessen. | |
| In Norwegen gibt es auch kein Gesetz, das Holocaustleugnung unter Strafe | |
| stellt. Gehört dies für Sie zur Meinungsfreiheit dazu? | |
| Wenn es um den Holocaust geht, der zum Schlimmsten gehört, das je passiert | |
| ist, ist es in meinen Augen wichtig, dass man der Leugnung dieses | |
| Verbrechens entgegentritt. Es ist verrückt, zu behaupten, es habe Auschwitz | |
| nicht gegeben. Wenn es solche Äußerungen gibt, müssen sie bekämpft werden. | |
| Wenn sie nur in bestimmten Zirkeln kursieren, ist das für mich sogar eher | |
| kontraproduktiv. Die Schwelle, die Rede- und Meinungsfreiheit | |
| einzuschränken, sollte für mich sehr hoch angesetzt werden. Auch wenn es | |
| schmerzhaft ist. | |
| Verraten Sie zum Schluss noch, welches Ihr Lieblingsbuch ist? | |
| O je, das ist unmöglich zu sagen! Ich habe viele Lieblingsbücher. Eines ist | |
| „Momente der Geborgenheit“ von Erik Fosnes Hansen, es liegt bestimmt 15 | |
| oder 20 Jahre zurück, dass ich es gelesen habe. In jüngerer Zeit hat mich | |
| „Die Birken wissen's noch“ von Lars Mytting beeindruckt. Ich habe das Buch | |
| mindestens zwanzig Freunden geschenkt. | |
| 21 Oct 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
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| Maja Lunde | |
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