# taz.de -- CO2-neutrale Siedlung in Berlin: Insel mit ’nem prima Klima | |
> Die BewohnerInnen der Papageiensiedlung in Berlin-Zehlendorf wollen | |
> CO2-neutral leben. Dabei könnte auch die Deutsche Wohnen helfen. | |
Bild: Wenn die Nachbarn klingeln und CO2-neutral leben wollen | |
BERLIN taz | Wenn Christian Küttner aus seinem Haus am Rande des Grunewalds | |
geht, steht da ein Elektroauto, das er mit anderen Familien in der Siedlung | |
teilt. Zahlen muss er dafür nichts, denn der Strom kommt aus der Solarkraft | |
seiner eigenen Photovoltaikanlage. 200 geteilte Elektroautos statt 1.000 | |
normale Autos, eine Solaranlage auf seinem eigenen Dach, eine auf dem | |
U-Bahnhof Onkel Toms Hütte und eine auf einem Gewächshaus für den Anbau von | |
Gemüse: So stellt sich Küttner sein zukünftiges Zuhause vor. Wenn es um | |
Solarenergie in der Papageiensiedlung in Berlin-Zehlendorf geht, hat er | |
große Visionen. | |
Die BewohnerInnen der zwischen 1926 und 1931 vom Architekten Bruno Taut | |
erbauten bunten Häuschen verstehen sich liebevoll als Dorf mit | |
U-Bahn-Anschluss. Bis 2030 wollen sie eine CO2-neutrale Siedlung sein. Die | |
AnwohnerInnen Christian Küttner, Ute Scheub und Ute Rother-Kraft sind | |
MitbegründerInnen des 2010 gegründeten gemeinnützigen Vereins | |
Papageiensiedlung, der sich dieses Ziel gesteckt hat. Zusammen wollen sie | |
die ökosoziale Lebensqualität ihrer 4.000 EinwohnerInnen am Rande des | |
Grunewalds steigern. | |
Ute Rother-Kraft wohnt seit 38 Jahren in der auch Waldsiedlung genannten | |
Wohnanlage und ist im Vorstand des Vereins. Als politisch denkender und | |
reflektierter Mensch komme sie an dem Thema Klima nicht vorbei, sagt sie. | |
Sie denke dabei an ihre vier Kinder, finde aber, dass sich nicht nur Eltern | |
mit dem Thema beschäftigen sollten. „Alle haben eine Verantwortung. Nur | |
wenn man Kinder hat, dann ist diese unausweichlich.“ | |
Rother-Kraft ist es wichtig, alle AnwohnerInnen in den Prozess | |
einzuschließen und nicht mit dem erhobenen Zeigefinger zu kommen. Sie sagt: | |
„Wir wollen niemandem sein Auto wegnehmen und Angst vor einer Apokalypse | |
machen. Wir wollen vorleben und in gemeinschaftlicher Organisation etwas | |
verändern.“ Erschwert würden klimafreundliche Lösungen für die Siedlung | |
durch den Denkmalschutz. „Durch gemeinschaftliche Lösungen können aber | |
Kosten aufgrund von Denkmalschutz geteilt werden“, so Rother-Kraft. | |
Projekte der Siedlung bezahlen die AnwohnerInnen selber. Erst in ein bis | |
zwei Jahren wolle sich der Verein für staatliche Förderprogramme bewerben. | |
Sonst sei man an äußere Vorgaben gebunden – „wir wollen aber erst mal | |
unsere eigenen Projekte umsetzen“, sagt Rother-Kraft. | |
## Mit Photovoltaik zur Neutralität | |
Dem gelernten Elektriker und Informatiker Küttner hat im vergangenen Jahr | |
Fridays for Future etwas klar gemacht: „In den nächsten zehn Jahren | |
entscheidet sich unglaublich viel.“ Als er dann im Internet seinen | |
ökologischen Fußabdruck berechnete, wurde ihm bewusst, dass er auch selber | |
mit sich konsequent sein müsse. „Und wir leben in einer Siedlung, wo man | |
was machen kann.“ Schmunzelnd erzählt er, wie die Kinder seiner Nachbarn | |
ihre Eltern unter Druck setzten, weniger Fleisch und Plastik zu kaufen. | |
Sein persönliches Ziel: seinen eigens verursachten jährlichen CO2-Ausstoß | |
auf unter 4 Tonnen zu reduzieren. | |
Das möchte Küttner unter anderem mit einer Photovoltaikanlage auf seinem | |
Dach erreichen. Kostensparend sei die eigene Anlage auch, wie der gelernte | |
Elektriker erklärt: „Ich gebe jetzt 6.000 Euro für eine Anlage aus. In 12 | |
bis 20 Jahren rechnet sich das“ – schließlich müsse er ja dann für den | |
selbst erzeugten und verbrauchten Strom nichts zahlen. Außerdem könne man | |
mit einer eigenen Photovoltaikanlage, die 3.000 Kilowattstunden produziert, | |
30 Prozent des Stroms für den eigenen Haushalt verwenden und 70 Prozent des | |
Stroms ins Netz einspeisen. Damit verdiene man sogar noch Geld dazu. „Das | |
ist gesichert eine positive Investition“, sagt Küttner. | |
Zum Vergleich: Der jährliche CO2-Ausstoß des durchschnittlichen deutschen | |
Bürgers liegt laut Umweltbundesamt bei 11,1 Tonnen. Als umweltverträglich | |
gilt demnach ein CO2-Ausstoß von 2,5 Tonnen. CO2-neutrale Papageiensiedlung | |
bedeutet für Küttner, Scheub, Rother-Kraft und den Verein, das jährliche | |
durchschnittliche Pro-Kopf-Aufkommen auf diese 2,5 Tonnen zu reduzieren. | |
Dieses Ziel könne aber nicht nur durch den eigenen Lebenswandel erreicht | |
werden. Photovoltaik-Anlagen, E-Carsharing-Angebote und die CO2-bindende | |
Terra-Preta-Kompostierung seien Lösungen, die der Verein in der | |
Papageiensiedlung umsetzt. | |
Für die Autorin Scheub, die seit 23 Jahren in der Siedlung wohnt, ist | |
Nachhaltigkeit ein Lebensthema. In ihrem Buch „Terra Preta. Die schwarze | |
Revolution aus dem Regenwald“ erklärt sie, wie man mit Klimagärtnern die | |
Welt retten und dabei noch gesunde Lebensmittel produzieren könne. Mit der | |
Kompostierung durch die Pflanzenkohle könne relativ schnell viel CO2 im | |
Boden gespeichert werden. Als positiver Nebeneffekt würden Pflanzen im | |
darauf folgenden Jahr größer und schneller wachsen. „Wenn die | |
Weltbevölkerung morgen Terra-Preta-Kompostierung anfangen würde, würden wir | |
2030 CO2-neutral sein. Dieses Potenzial kennen viele nicht“, sagt Scheub. | |
Im vergangenen Sommer machten Scheub, Küttner und Rother-Kraft mit 50 | |
anderen AnwohnerInnen eine Fahrradtour durch ihre Siedlung. 16 Familien | |
stellten vor, wie sie autofrei leben oder wie sie ihre Photovoltaik-Anlage | |
auf dem Dach installiert haben. „So haben 50 Leute 16 neue Familien und | |
ihre Projekte kennengelernt“, erzählt Küttner. | |
## Deutsche Wohnen von Solarenergie überzeugen | |
„In der Zukunft wollen wir noch viel mehr dezentrale Lösungen für den | |
Klimaschutz in unserer Siedlung schaffen“, so Scheub. Treffpunkt für solche | |
Projektplanungen ist der Bruno-Taut-Laden im U-Bahnhof Onkel Toms Hütte. 80 | |
Vereinsmitglieder zahlen einen Vereinsbeitrag von fünf Euro im Monat, um | |
die Miete zu finanzieren. Zu den Themen Solarenergie, Mobilität, Gärten und | |
gesundes und altersgerechtes Wohnen finden dort und bei den AnwohnerInnen | |
zu Hause regelmäßige Treffen statt. | |
Küttner hat die Hoffnung, in Zukunft die Deutsche Wohnen und ihren | |
Wohnblock in der Papageiensiedlung von Photovoltaikanlagen überzeugen zu | |
können. Das Immobilienunternehmen hatte sich 2007 in die Siedlung | |
eingekauft und knapp 800 Wohnungen saniert. | |
Küttner sieht das Ganze kritisch, da die Deutsche Wohnen mit der Sanierung | |
von Denkmalschutz nur ihr Image habe aufbessern wollen. Könne man das | |
Unternehmen jedoch von Photovoltaik überzeugen, wäre das eine große Sache. | |
„Das ist die effektivste Form, Dächer zu nutzen. Wenn ich meinen eigenen | |
Strom produziere, ist das am klimafreundlichsten, da der Stromtransport von | |
Ökostrom ja auch Energie kostet.“ | |
25 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Luise Land | |
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