| # taz.de -- Spielfilm „Was wir wussten – Risiko Pille“: Das Action-Date s… | |
| > Ein investigativer Spielfilm will aufklären über die Thrombose-Gefahr der | |
| > Antibabypille. Aber erst mal erzählt er was ganz anderes. | |
| Bild: Kommt sie oder kommt sie nicht auf dem Markt, die Thrombose-Pille? Darum … | |
| Das war schon ein Knaller, als am Sonntagabend in der jüngsten Ausgabe der | |
| Arte-Reihe „Durch die Nacht mit …“ die Aktivistin (Flüchtlinge, Klima) | |
| Carola Rackete der Schriftstellerin (Bienen, Wasser) Maja Lunde erklärte, | |
| sie lese nur noch wissenschaftliche Studien: Romane gäben ihr das Gefühl | |
| von Zeitverschwendung. Eine Mehrheit hält es genau anders herum und liest | |
| lieber Romane als wissenschaftliche Studien – und guckt im Fernsehen lieber | |
| Spiel- als Dokumentarfilme. | |
| So wird der Regisseur Daniel Harrich gerne mal als Begründer des | |
| investigativen Spielfilms bezeichnet, weil er inzwischen zahlreiche | |
| kontroverse, originär journalistische Themen (deutsche Kleinwaffenexporte, | |
| gefälschte Medikamente) in fiktionalisierter Form dargereicht hat. Die | |
| Fiktionalisierung erhöht nicht nur die Reichweite. | |
| Man umschifft damit auch das Problem, dass manche Zeugen ihre Auskünfte | |
| lieber nicht vor laufender Kamera geben wollen. Und man hält sich die | |
| Rechtsverdreher vom Leib, indem man an den Anfang oder das Ende seines | |
| (Spiel-)Films einen Satz stellt wie diesen: „Dieser Film beruht auf wahren | |
| Ereignissen. Die im Film handelnden Personen, ihre Konflikte und ihre | |
| beruflichen und privaten Handlungen sind jedoch frei erfunden. Dies gilt | |
| insbesondere für die Mitarbeiter des Pharmaunternehmens.“ | |
| Man kann den Satz auch an den Anfang und ans Ende stellen, nur um ganz | |
| sicherzugehen. Wie die Macher (Regie: Isa Prahl; Buch: Eva und Volker A. | |
| Zahn) von „Was wir wussten – Risiko Pille“. Es geht um die | |
| [1][Antybabypille und das mit ihrer Einnahme erhöhte Thromboserisiko] und | |
| dessen Herunterspielen durch die Hersteller. Wie kann man dieses relevante, | |
| aber an sich trockene Thema nun unter den Bedingungen des Storytellings … | |
| nein, eben nicht aufbereiten, sondern: erzählen? | |
| ## Der menschelnde Rahmen für die Pillengeschichte | |
| Ganz einfach: Man erzählt erst einmal eine ganz andere Geschichte. Die von | |
| Carsten (Stephan Kampwirth), der sich in seine Chefin (Nina Kronjäger) | |
| verliebt hat. Der aber eine Frau und zwei Töchter zu Hause hat und diese | |
| verlässt, wegen der Chefin. Der dann von seiner Chefin erfährt, sinngemäß, | |
| dass er für sie nur eine Affäre ist. Wortwörtlich sagt sie: „Entschuldige | |
| bitte. Aber ich kann jetzt keine zusätzlichen Probleme gebrauchen.“ Zu dem | |
| Adjektiv gleich. | |
| Carsten jedenfalls kehrt trotzdem nicht zu seiner Frau zurück und muss | |
| deshalb einiges unternehmen, um das Wohlwollen seiner Töchter | |
| zurückzugewinnen. Und das wird alles ziemlich ernst und differenziert | |
| erzählt und hätte bereits genug dramatisches Potenzial für einen | |
| TV-Neunzigminüter. | |
| Es ist aber nur der menschelnde Rahmen für die Pillengeschichte. Carsten | |
| arbeitet für ein Pharmaunternehmen, das die Markteinführung einer neuen | |
| Pillengeneration vorbereitet: „Unsere Zielgruppe sind die jungen Mädchen. | |
| Also Erst-Userinnen ab elf. Und die Mädchen müssen vergessen, dass unsere | |
| Pille ein Medikament ist!“ Carsten gefällt schon das Konzept nicht. Vor | |
| allem gibt es da aber das Problem, zu dem seine Chefin keine zusätzlichen | |
| Probleme gebrauchen kann. | |
| Aus einer dänischen Studie geht nämlich das erhöhte Thromboserisiko hervor. | |
| „Es gibt keinen Aufschub. Das Action-Date steht!“, sagt gleichwohl die | |
| Chefin. Sie gibt sich alle Mühe, Carsten wieder auf Linie zu bringen – mal | |
| mehr auf die harte Chefinnen-Tour, mal kommt sie am Abend mit einer Flasche | |
| Rotwein in sein Büro: „Was is ’n mit dir los? Das ist doch nicht das erste | |
| Mal, dass wir so ’ne schwierige Nutzen-Risiko-Abwägung machen.“ Kurz: Der | |
| einstige skrupulöse Mitarbeiter des Pharmaunternehmens, unser Carsten, | |
| sieht sich einer Bande achselzuckender Berufszyniker gegenüber. | |
| Als Zuschauer kämpft man gelegentlich mit der fiktionalen Form und den | |
| Fragen, die sie aufwirft: Gibt es die Thrombose-Probleme neuerer | |
| Pillen-Generationen also nur, weil da zwei Mitarbeiter eines | |
| Pharmaunternehmens den guten alten Grundsatz „Never fuck in the factory!“ | |
| nicht eingehalten haben? Oder sind das etwa genau die Personen, deren | |
| Konflikte und beruflichen und privaten Handlungen die Eheleute Zahn frei | |
| erfunden haben, während als wahre Ereignisse am Ende „nur“ die Pille | |
| [2][und ihr Thromboserisiko bleiben?] Und die Frauen, bei denen das Risiko | |
| real geworden ist. | |
| 23 Oct 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jens Müller | |
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