# taz.de -- Vor den Wahlen in Thüringen: Gottesmutter schlägt Landesvater | |
> In Thüringen mag Bodo Ramelow regieren, im Eichsfeld hat seit 1575 die | |
> katholische Kirche das Sagen. Aber sind die Eichsfelder gegen die AfD | |
> gefeit? | |
Bild: Schön hier: In Heyerode im Eichsfeld sind nicht nur die Menschen eher ko… | |
EICHSFELD taz | Woran erkennt man die Demarkationslinie zwischen dem | |
Eichsfeld und dem benachbarten Unstrut-Hainich-Kreis? „Unsere Dörfer sind | |
sehr ordentlich, alles schmucke Häuschen, die gut ausgebauten Straßen sind | |
gekehrt, man sieht’s an der ganzen Optik“, antwortet darauf die | |
CDU-Landtagsabgeordnete Christina Tasch. In ihrem Dingelstädter | |
Abgeordnetenbüro stapeln sich die üblichen Wahlkampfköder, Flyer, | |
Flaschenöffner, Feuerzeuge, Helfer schwirren herein. Nur noch ein paar Tage | |
[1][bis zur Landtagswahl in Thüringen]. Aber um etwas vom Eichsfelder Stolz | |
zu vermitteln, nimmt sich Christina Tasch Zeit. „Und wenn Sie von | |
Mühlhausen hereinfahren, haben Sie gleich ein Kreuz oder ein | |
Gebetsstöckchen mit frischen Blumen am Weg“, fügt sie hinzu. | |
Die 59-jährige freundlich-resolute ehemalige Landesvorsitzende der | |
Frauen-Union, die nach 21 Jahren mit einem weiteren Direktmandat für den | |
Erfurter Landtag rechnen darf, spricht vom Eichsfelder, „der „zu Hause | |
seinen Stil machen und in Ruhe gelassen werden will“. Die Uhren, jedenfalls | |
die Jahres- und Wochenrhythmen, tickten hier anders. „ Bei uns ist der | |
Sonntag noch ein Sonntag“, hört man überall. Die obligatorische Kirmes | |
auch. | |
Dieser Landstrich im Westen Thüringens hat eine besonders | |
abwechslungsreiche Topografie, steile Buckel mit haarigen Serpentinen, | |
reich bewaldet, idyllische Täler, zeitlose Fachwerkhäuser. Nur wenige | |
Großbetriebe brachten stilbrechende Neubauten in das ansonsten vom Handwerk | |
dominierte Ländchen. Zweite Nationalreligion neben der katholischen ist im | |
Eichsfeld die Fleischanbetung. Die Fleischereien auf den Dörfern haben die | |
Wende überstanden. Das einzigartige Gehackte (bitte nicht Hackepeter!) | |
sucht seinesgleichen, der Feldgieker gilt als sensationell. | |
Seit der Gegenreformation im 16. Jahrhundert sind die rund 100.000 | |
Eichsfelder stramm katholisch. Vor der Machtergreifung der Nazis dominierte | |
hier die Zentrumspartei so klar wie nach der Wende die CDU. Die | |
dickfällig-freundliche Spießigkeit dieses Menschenschlags neigt zur Abwehr | |
wechselnder Herrschaften. | |
## Nazis scheiterten wie SED | |
Die NSDAP konnte hier ihren Kirchenkampf nicht so durchziehen wie anderswo. | |
Nicht anders erging es der SED in der DDR. Erinnerlich ist noch eine | |
Begegnung mit dem Pfarrer von Effelder im Jahr 1985, Heimat der Eichsfelder | |
Dom genannten dreischiffigen Kirche. „Zwölf Genossen habe ich am Ort“, | |
verkündete damals Norbert Borkowski im Stil des italienischen Romanhelden | |
Don Camillo. „Die habe ich alle im Griff!“ | |
Die SED versuchte, Industrie ins Eichsfeld zu bringen, auch, um damit auch | |
einen Fuß in die Kirchentür zu bekommen. Markante Beispiele sind das | |
Zementwerk Deuna und die 2013 endgültig liquidierte Baumwollspinnerei | |
Leinefelde, die einmal 4.000 Menschen Arbeit bot. Mit ihren Bemühungen, das | |
Eichsfeld auf Linie zu bringen, konservierte die SED aber eher dessen | |
trotzigen Konservatismus. | |
Der fand seinen Adressaten in der CDU, nachdem in der Nacht des 9. November | |
1989 der Grenzübergang Teistungen nach Niedersachsen geöffnet wurde und der | |
Trabi-Stau bis Nordhausen reichte. Vor der Volkskammerwahl am 18. März 1990 | |
predigten die Pfarrer von den Kanzeln den Gläubigen, wen sie jetzt | |
anzukreuzen hätten. | |
Die Brüche nach 1990 aber gingen auch am Land der Kontinuitäten nicht | |
spurlos vorüber. Pfarrer Dominik Trost, der heute für den Eichsfelder Dom | |
in Effelder zuständig ist, klingt ganz anders als sein handfester Vorgänger | |
aus DDR-Zeiten: „Viele können ohne Gott und Kirche ganz wunderbar leben“, | |
konstatiert er nüchtern. Das zusammenschweißende Feindbild des Sozialismus | |
sei entfallen. Der 44-jährige Pfarrer sitzt im benachbarten Struth, denn | |
die Kirchenstrukturreform infolge des Priestermangels und des Schwundes an | |
Kirchenbesuchern hat auch das fromme Eichsfeld nicht verschont. | |
Bei Haussegnungen entdeckt er Kreuze oder den „Herrgottswinkel“ nur noch | |
bei Älteren. Die beherrschten noch die Gottesdienstrituale und die | |
„Kirchenschlager“ aus dem Gesangbuch, während die Kirche sonst auch im | |
Eichsfeld mehr zu einem Dienstleistungsbetrieb für familiäre Großanlässe | |
geworden ist. Nur die Wallfahrten wie etwa die der Männer zur Kirche | |
Klüschen Hagis gelten weiterhin als gut besucht. | |
Gerhard Jüttemann war einmal Betriebsratsvorsitzender der Kalikumpel von | |
Bischofferode, bis das Werk 1993 geschlossen wurde. „Ein für die Treuhand | |
typisches Plattmachen der ostdeutschen Konkurrenz“, sagt er. Heute trifft | |
man den vital wie eh und je wirkenden 68-Jährigen im Kalimuseum Holungen. | |
Fotos, Fahnen, Dokumente und Solidaritätserklärungen werden gezeigt. Es | |
sind die einzigen Überbleibsel, alle Schachtanlagen sind verschwunden außer | |
einer gewaltigen Halde, die wie ein kleines Gebirge wirkt. | |
Von Jüttemann kann man etwas über die Gründe des Erfolgs der Linken in | |
Thüringen erfahren. Etwa vom Vertrauen, das sich die Partei in den 1990er | |
Jahren als Kümmerer erwarb. Und entgegen allen Weltuntergangsbeschwörungen | |
vor fünf Jahren habe sich die Wirtschaftslage auch im Eichsfeld in den fünf | |
Jahren der linksgeführten Koalition mit SPD und Grünen verbessert. Mit nur | |
3,3 Prozent ist die Arbeitslosenquote die zweitbeste aller Thüringer | |
Kreise. | |
## Nur mäßige Linke-Erfolge | |
Aber sackte nicht die Linke im Eichsfeld bei den Kreistagswahlen im Mai von | |
10,3 auf 6,9 Prozent ab? Der heutige Ministerpräsident Bodo Ramelow hatte | |
das Eichsfeld einmal als „Gazastreifen von Thüringen“ bezeichnet. In | |
diesem Jahr schmeichelte er sich bei einem Wahlkampfauftritt ein: „Das | |
Eichsfeld ist immer ein Vorzeigekreis gewesen.“ | |
Wenig überraschend bleibt die Linke wie einst die SED im Eichsfeld in der | |
Diaspora. Dennoch hat sich 2018 in der gefühlten Hauptstadt Heiligenstadt | |
eine 15-köpfige Linksjugend wiedergegründet. Drei von ihnen sitzen im | |
Parteibüro in der malerischen Innenstadt, die am Abend wie ausgestorben | |
wirkt. Dafür gibt es im Büro für den Gast ein Bier, wobei sich auch die | |
Junglinken mit Neunspringer Bräu als Eichsfelder Patrioten erweisen. | |
Ihre Namen wollen sie allerdings nicht in der Zeitung lesen. Sie fühlten | |
sich nicht unmittelbar bedroht, aber in der Verwandtschaft oft isoliert und | |
von anderen als „Hetzer“ denunziert. „Im Eichsfeld wird es eher toleriert, | |
wenn man rechts statt links ist“, heißt es. Diesem Mainstream wollen sie | |
etwas entgegensetzen, ja sogar von einer Rebellion ist die Rede. | |
Ein Erfolg ist nicht messbar. Sie organisieren Bildungsveranstaltungen im | |
Jugendklub „Villa Lampe“. Aber „animieren und nicht gleich radikalisieren… | |
klingt eher nach Eichsfeld, „Alles ist politisch“ nach späten | |
Achtundsechzigern. | |
Erweisen sich die behäbigen Eichsfelder Kirchgänger dafür resistenter gegen | |
den Rechtstrend, so wie vor 86 Jahren, als die NSDAP im März 1933 nur auf | |
Platz vier landete? Die CDU hat bei den Kommunalwahlen im Mai zwar die | |
absolute Mehrheit im Kreistag verloren, stellt aber immer noch die | |
dreieinhalbfache Zahl der AfD-Kreisräte. Die AfD blieb mehr als vier Punkte | |
unter dem Landesdurchschnitt. | |
Das beruhigt aber weder die Linksjugend noch die CDU. Der AfD-Landes- und | |
Kreisvorsitzende Björn Höcke hat angekündigt, „den Erbhof der CDU sturmreif | |
zu schießen“. Bei seiner Rede Ende September in Heiligenstadt antworteten | |
mehrere Kirchen mit permanentem Glockengeläut. Höcke wiederum holte den | |
Dresdner Europaabgeordneten Maximilian Krah ins Eichsfeld und ließ ihn | |
erklären, warum auch Christen die AfD wählen sollten. | |
## Höcke wohnt im Eichsfeld | |
Seinen Feldherrensitz, ein ehemaliges Pfarrhaus, hat Höcke in Bornhagen im | |
äußersten Nordwestwinkel des Eichsfeldes. Im Dorf holte schon die NPD bei | |
den Kommunalwahlen 2014 17 Prozent der Wählerstimmen. Im nur sechs | |
Kilometer entfernten Fretterode wohnt der vielfach vorbestrafte | |
NPD-Funktionär Torsten Heise, der auf seinem Grundstück ein Denkmal für die | |
Panzerdivision der SS-Leibstandarte Adolf Hitler wiedererrichtet hat. | |
Pfarrer Dominik Trost runzelt die Stirn. Er befürchtet eine unangenehme | |
Überraschung bei den Landtagswahlen am kommenden Sonntag. „Wenn der Pfarrer | |
nicht so genau hinguckt, wird allerhand geredet an den Stammtischen!“ | |
Aber nicht an allen. Im „Eichsfelder Hof“ zu Dingelstädt sitzen zwei | |
Doppelkopfrunden. Höcke und die AfD kommen schlecht weg. „Der hat doch | |
selber Migrationshintergrund, kommt aus Westfalen und Hessen und | |
vereinnahmt hier den DDR-Widerstand!“, murren die Herren. „Da mache ich | |
lieber drei Kreuze bei Christina!“ Gemeint ist Unionskandidatin Christina | |
Tasch. Noch scheinen die Eichsfelder Gott und die CDU höher zu ehren als | |
die Retter des vermeintlich untergehenden Vaterlandes. | |
25 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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