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# taz.de -- Gamification und der Anschlag von Halle: Rechter Terror als Event
> Die Verbindung zwischen Gaming und Rechtsterrorismus ist komplexer als
> oft dargestellt. Um sie zu verstehen, bedarf es einer Menge
> Aufklärungsarbeit.
Bild: Der Täter von Halle versuchte Game-ähnliche Achievements zu schaffen
Nach dem [1][antisemitischen Akt des Terrors in Halle] wird noch immer
versucht, das Geschehene zu verarbeiten und zu verstehen. Gerade die
Umstände und der Ablauf der Tat – das Livestreaming, die Memes, die
Gamifizierung – werfen Fragen auf. Leider zeigt sich in den darauf
folgenden Diskussionen häufig die verkrustete Distanz der Deutschen zu
Themen des Digitalen. Dabei wäre eine kritische und konstruktive
Auseinandersetzung gerade jetzt wichtig. Was steckt also dahinter?
Etwas gemeinsam zu erleben treibt Menschen zu Streaming-Plattformen wie
Twitch: Man kann live dabei sein. Das war wohl auch die Hoffnung des
Täters: Zu Beginn grüßt er die Zuschauer, ganz wie sonst auf der Plattform
üblich. Aus Hass Entertainment zu machen soll in rechten Kreisen vor allem
das Gemeinschaftsgefühl stärken. Das Ziel: sich gemeinsam überlegen fühlen.
Überlegen, wo sie sonst vermeintlich unterdrückt sind.
Der Terrorist von Halle bezeichnete sich selbst als “Weeb“ (ein
erniedrigender Begriff für Männer, die glauben aufgrund ihres Hobbys keine
Partnerin zu finden) und Loser und steht damit exemplarisch für den
verinnerlichten Opferstatus radikalisierter Männer. Es ist kein Zufall,
dass er vor der Tat nicht nur den Holocaust leugnete, sondern auch über
Feminismus wütete. Frauenfeindlichkeit findet sich immer wieder bei rechten
Terroristen – antifeministische und rechtsextreme Kreise überlappen sich
massiv. Der gemeinsame Feind: Frauen, die keine Kinder mehr wollen, und
Gesellschaften, die das mit einem Bevölkerungsaustausch mit muslimischen
Migrant*innen ausgleichen würden.
In der verqueren Logik der Rechten bekommen die freundlichen netten Männer
von nebenan keine Frauen mehr ab, leben also unfreiwillig ohne
Sexualkontakte, [2][werden zu “Incels“] und müssen nun mit Männern of Col…
konkurrieren, die in ihren Augen fetischisiert für das Ur-Männliche stehen.
## Mehr Verständnis fürs Digitale
In der Folge sehen sich die weißen jungen Männer als die wahren
Unterdrückten, angeblich zum Opfer gemacht durch aggressive Feministinnen,
übermächtige Juden oder hinterlistige Muslime. Der Täter von Halle kündigte
sich selbst zwar als Teil der “Internet-SS“ an, aber jede Radikalisierung
verläuft in Phasen. Niemand kommt als radikaler Rechtsextremer auf die
Welt. Stattdessen werden in Online-Communitys junge Männer mit dem
Gemeinschaftsgefühl geködert, dass sie hier verstanden würden. Rechte
bieten “sichere Häfen“, wo Männer “endlich mal sie selbst sein können�…
der Stange gehalten durch Memes, Hass auf Minderheiten und “spielerisches“
Ausleben der eigenen Wut.
Genau diese Mechanismen gilt es zu benennen und zu kontern. Mit
oberflächlichen Auseinandersetzungen wie der Verteufelung von
Computerspielen, Plattformen oder ganzen Online-Communitys tut man sich
keinen Gefallen, eher treibt es Gruppen von Männern in ebenjene Sphären –
denn Rechte haben den Online- und Gamingdiskurs längst besser verstanden
als die meisten Politiker*innen. Wer sich unterdrückt und missverstanden
fühlt, sucht einen Ort, wo er aufgefangen wird. Rechte bieten das – und
animieren dann dazu, das Unrechtsgefühl in Aggression zu wandeln.
Und das Element der Gamifizierung? Selbst Personalabteilungen in
mittelständischen Unternehmen wissen heutzutage, dass man durch die
Gamifizierung von sonst öden Prozessen Menschen einbinden und aktivieren
kann. Im Gaming selbst gibt es Errungenschaften (Achievements) für so
ziemlich alles: Von “Sammle 100 Kräuter“ bis “Töte 500 Gegner im Nahkam…
werden Spielende dafür belohnt, dass sie das Spiel eben auf möglichst
vielfältige Art und Weise durchspielen. Am liebsten immer wieder. So bindet
man Menschen auf spielerische Art und Weise an die Marke und die Community.
Der Täter von Halle versuchte offensichtlich, in seinen Notizen zur Tat ein
ähnliches Element zu schaffen, dachte sich verschiedene Achievements aus,
die hier nicht wiederholt werden müssen. Die Gamifizierung von Hass und
Terror ist ein dankbarer Mechanismus, um Menschen an rechte Gedanken und
schließlich an Taten heranzuführen. Es ist jedoch vor allem eins: Teil
einer rechten Propagandamaschine.
Diese zu entlarven ist unser aller Verantwortung. Dafür braucht es
Verständnis für und Erforschung von Online-Communitys, digitalen
Umgangsformen und anderen kulturellen Faktoren. Verschiedene Initiativen
gegen Rechtsextremismus in Deutschland leisten genau diese Pionierarbeit.
Umso bitterer, dass ihnen gerade von der Regierung die Mittel gekürzt
wurden.
11 Oct 2019
## LINKS
[1] /Das-Attentat-von-Halle/!5628896
[2] /Antifeministische-Online-Community/!5499524
## AUTOREN
Yasmina Banaszczuk
## TAGS
Games
Schwerpunkt Rechter Terror
Incels
Rechtsextremismus
Lesestück Meinung und Analyse
Schwerpunkt Rechter Terror
#Unteilbar
Schwerpunkt Rechter Terror
Lesestück Recherche und Reportage
Jörg Meuthen
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