| # taz.de -- Extinction Rebellion in Berlin: Entspannt blockieren | |
| > Am Donnerstagmorgen halten die KlimaaktivistInnen nur noch eine Brücke in | |
| > Berlin besetzt. Doch die Politik der „Nadelstiche“ geht weiter. | |
| Bild: Sandra aus Finnland bei einer Blockade am Mühlendamm | |
| Berlin taz | Donnerstag Morgen halb zehn in Berlin: Frühstück bei | |
| Extinction Rebellion (XR) auf der Marschallbrücke. Irgendjemand hat Kartons | |
| mit Brot, Äpfeln, Marmelade und Aufstrich aus dem Camp mitgebracht. Eine | |
| Frau mit blonden Rastas gießt sich heißem Tee ein und hockt sich auf ihre | |
| Isomatte mitten auf der Fahrbahn. Die beiden Cousins Carlo und Wanja rollen | |
| ihre Schlafsäcke ein. „Die Nacht war ruhig, es gab keine Probleme mit der | |
| Polizei“, erzählt der 18-jährige Carlo. Das Wetter sei zwar schlechter | |
| gewesen als in der ersten Nacht, aber trotzdem hätten bestimmt 150 | |
| AktivistInnen auf der Brücke übernachtet. | |
| „Wir gehen uns jetzt ein bisschen ausruhen und Sachen trocknen im Camp“, | |
| ergänzte Wanja, 24. Seine Eltern seien jetzt da zur Ablösung. „Unsere ganze | |
| Familie ist aus Hildesheim angereist. Früher haben mich meine Eltern zu so | |
| was mitgeschleppt, heute sind wir alle engagiert.“ | |
| [1][Am Montagmorgen war mit der Blockade des Großen Sterns die | |
| XR-Aktionswoche #Berlinblockieren gestartet]. Tausende AktivistInnen haben | |
| sich seither an Straßenblockaden und Demonstrationen beteiligt, über 2.000 | |
| campieren seit dem Wochenende im #Klimacamp neben dem Kanzleramt. Viele | |
| sind aus ganz Deutschland angereist und aus dem europäischen Ausland. Und | |
| die meisten, mit denen die taz gesprochen hat, haben vorher noch nie an | |
| Aktionen des zivilen Ungehorsams teilgenommen. Doch die Dringlichkeit der | |
| Klimakrise, die Enttäuschung über die Politik der Bundesregierung und der | |
| gewaltfreie Ansatz von XR haben sie ermutigt, sich anzuschließen. | |
| Auch Carlo aus Hildesheim ist das erste Mal bei Protesten dieser Art – also | |
| jenseits der gewöhnlichen „Latschdemo“ – dabei. „Es ist einfach, den K… | |
| in den Sand zu stecken bei diesem Thema“, findet er. „Aber hier ist ein | |
| Umfeld, wo man sehr gut füreinander sorgt, und dann lässt man sich | |
| anstecken vom Aktivismus.“ | |
| Die Marschallbrücke in Sichtweite von Reichstag und Regierungsviertel wurde | |
| in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch besetzt. [2][Im Laufe des Mittwoch | |
| kamen weitere Brücken hinzu: Mühlendamm, Jannowitz, Oberbaum] – doch die | |
| wurden nach und nach von der Polizei geräumt. Zuletzt mussten die Rebellen | |
| am Donnerstagmorgen die Jannowitzbrücke aufgeben. Um halb acht hatten sie | |
| noch per Whatsapp um Unterstützung gerufen, eine Stunde später waren alle | |
| von der Straße getragen. Ersatzweise sollte dann die Karl-Liebknecht-Brücke | |
| am Dom blockiert werden – doch die Blockade hielt nicht mal eine Stunde. | |
| Wanja und Carlo auf der Marschallbrücke lassen sich davon nicht entmutigen. | |
| „Klar, diese Brücke hier wird nicht geräumt, weil sie nicht so wichtig ist | |
| für den Verkehr“, vermutet Carlo. Tatsächlich merkt man in der näheren | |
| Umgebung nichts von Verkehrsinfarkt. Auch die 20 Polizisten am Rande sehen | |
| entspannt aus. Ein Fahrstreifen ist für Fußgänger und Radfahrer frei, | |
| manche nicken den AktivistInnen im Vorbeigehen zu. Am Rand der Brücke | |
| verteilen freundliche junge Frauen Flugblätter mit einer Erklärung, wer XR | |
| ist und was sie wollen. Eine ältere Passantin sagt im Vorbeigehen zu ihrer | |
| Begleitung: „Ich versuche ja jetzt auch, mit weniger Plastik einzukaufen, | |
| aber das ist gar nicht so einfach.“ | |
| Mehr Publikum, das es zu überzeugen gilt, hatten die AktivistInnen am | |
| Mittwochnachmittag am Kudamm. Die Jugendorganisation von XR wollte die | |
| Einkaufsmeile an der Kreuzung Joachimstalerstraße ab 16 Uhr blockieren. | |
| Doch daraus wurde erst einmal nichts, die Polizei ließ die Versammlung von | |
| rund 100 Menschen nicht auf die Fahrbahn. Dafür wuchs die Menge auf dem | |
| Bürgersteig in der kommenden Stunde immer mehr an, manche tanzten, andere | |
| saßen herum und warteten frohgemut, ob noch etwas passieren würde. | |
| Auch eine optisch auffallende Vierergruppe mit Blumentöpfen auf dem Kopf | |
| ließ sich die gute Laune nicht verderben. Sie seien schon bei der Blockade | |
| am Potsdamer Platz gewesen, erzählte eine von ihnen, Luisa Puschendorf. | |
| „Vorher habe ich noch nie etwas blockiert.“ Sie habe sich auch vorher | |
| überlegt, wie weit sie gehen würde. „Blockade ja, aber anketten ging mir zu | |
| weit. Da bin ich gegangen.“ Ihre Freundin Linda Huke, 27, findet es aus | |
| mehreren Gründen wichtig zu blockieren. „Es ist schön, die Plätze und | |
| Straßen mal anders zu erleben und zu nutzen“, sagt sie. Außerdem gehe es | |
| darum, „sich und anderen zu zeigen, dass wir alle unser Verhalten ändern | |
| müssen. Es geht nicht gegen die Autofahrer.“ | |
| Zwei Stunden später war es dann soweit: Der Kudamm wurde besetzt. Auf | |
| Twitter waren am Abend Bilder zu sehen, die hunderte Menschen auf der | |
| Kreuzung zeigen. Gegen 22 Uhr gab XR jedoch über diesen Kanal bekannt, dass | |
| man die Blockade dort beenden würde. | |
| Donnerstag Mittag verkündete XR dann per WhatsApp die Strategie | |
| „Bienenschwarm“: AktivistInnen sollten in Klein- und Bezugsgruppen zu | |
| dezentralen Aktionen „ausschwärmen“. Und so geschah es: Bilder auf Twitter | |
| zeigten mehrere AktivistInnen, die sich am Konrad-Adenauer-Haus angeklebt | |
| hatten. Es folgten Aufrufe, zum Halleschen Tor zu kommen, wo die Kreuzung | |
| vor der Amerika-Gedenkbibliothek per „swarming“ blockiert wurde, kurz | |
| darauf sollte dasselbe am Herrmannplatz passieren. Ein taz-Redakteur | |
| beobachtete am Mehringdamm Ecke Gneisenaustraße gegen 15 Uhr eine | |
| Versammlung von rund 70 Personen auf dem Mittelstreifen, die zumindest | |
| teilweise den Verkehr in eine Richtung lahm legte. | |
| Diese Politik der kleinen „Nadelstiche“, so viel steht fest, kann XR noch | |
| einige Tage durchhalten. Das Klimacamp läuft noch bis Ende der Woche, bei | |
| den Blockaden sind aber viele Stimmen zu hören, die wollen, dass die | |
| Proteste weiter gehen. | |
| Mit Blick auf den Anschlag in Halle baten die Organisatoren allerdings am | |
| Donnerstag per Whatsapp, „heute auf Die-Ins und Trauermärsche für das Klima | |
| und ähnliche Aktionen zu verzichten“. Bei der Ortswahl für Aktionen sollten | |
| AktivistInnen zudem beachten, dass diese nicht in der Nähe von jüdischen | |
| Einrichtungen stattfinden, „um die Menschen dort nicht weiterem Stress | |
| auszusetzen und die angespannte Sicherheitslage dort nicht weiter zu | |
| verschärfen“. | |
| 10 Oct 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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