| # taz.de -- Waffenruhe in Nordsyrien: Koalition der Weitsichtigen gesucht | |
| > Die Waffenruhe in Nordsyrien bietet eine Chance. Europa muss sie nutzen | |
| > und den Kriegsparteien eine Kontrolle der geplanten Pufferzone anbieten. | |
| Bild: Mission accomplished? Mike Pence handelte zumindest eine temporäre Waffe… | |
| Waffenruhe in Nordsyrien? Klingt gut. Dabei handelt es sich jedoch nur um | |
| ein Zeitfenster von fünf Tagen, wenn sie denn hält, in denen gelingen muss, | |
| was monatelang nicht geklappt hat: eine Lösung für das syrisch-türkische | |
| Grenzgebiet zu finden, der alle zustimmen können. Der Türkei die 30 | |
| Kilometer tiefe Zone kampflos zu überlassen, damit sie dort 2 Millionen | |
| syrische Geflüchtete ansiedelt, kommt für die kurdischen | |
| Volksverteidigungseinheiten (YPG) und ihre politische Partei, die Partei | |
| der Demokratischen Union (PYD) nicht infrage. | |
| In dem Gebiet liegen Zentren kurdischer Selbstverwaltung wie Qamishli und | |
| Kobane, die aus Sicht der Kurden [1][nicht als türkische Protektorate | |
| enden] sollten. Die YPG sind nur bereit, sich von der Grenze | |
| zurückzuziehen, wenn die Region von Verbündeten kontrolliert wird. Die | |
| entscheidende Frage ist deshalb: Wer übernimmt, wenn die kurdischen Milizen | |
| abziehen? | |
| Vier Akteure kommen infrage. Die USA, die auf dem Absprung sind. Das Regime | |
| von Präsident Baschar al-Assad, das bereits in den Nordosten vorrückt. | |
| Russland, dessen Militärpolizei sich als Puffer zwischen Assad-Regime und | |
| die Türkei stellt, um eine Eskalation zu verhindern. Oder eine von | |
| Europäern geführte Beobachtermission, die bislang an deren | |
| Unentschlossenheit scheitert. | |
| Das zurzeit wahrscheinlichste, aber schlechteste Szenario ist die Rückkehr | |
| des Regimes. Sie würde das Ende kurdischer Autonomie und | |
| zivilgesellschaftlicher Arbeit im Nordosten bedeuten. Mit ihrer | |
| nationalistischen Baath-Ideologie würde die Führung in Damaskus das neue | |
| Selbstbewusstsein der Kurden zerschlagen und Assad-treuen arabischen | |
| Stämmen zu mehr Einfluss verhelfen. Das Grenzgebiet würde arabisiert, die | |
| Kurden mit kulturellen Rechten abgespeist. Assad-kritische Aktivisten | |
| müssten vor Verhaftung und Zwangsrekrutierung fliehen. | |
| ## Ausländische Dschihadisten als Druckmittel | |
| Auch IS-Angehörige haben Angst vor dem Folterregime in Damaskus und wollen | |
| weg, bevor Assads Schergen ihre Camps übernehmen. Seine Geheimdienste | |
| könnten die ausländischen Dschihadisten als Druckmittel benutzen, um vom | |
| Westen Geld für den Wiederaufbau und eine Normalisierung der Beziehungen zu | |
| erpressen. Assad in Rojava bringt also entrechtete Kurden, mehr Geflüchtete | |
| und unkontrollierbare Terroristen. | |
| Sollte Russland allein den Deal zwischen Ankara, Damaskus und der PYD | |
| aushandeln, gewinnt am Ende ebenfalls Assad. Moskau will seine Interessen | |
| durchsetzen, ohne Verantwortung zu übernehmen, denn [2][die kostspielige | |
| Rolle als Mandatsmacht] kann sich Präsident Wladimir Putin nicht leisten. | |
| Statt russisches Militär dauerhaft im Grenzgebiet zu stationieren, wird er | |
| Assads Truppen einmarschieren lassen und Erdoğan zusichern, dass dadurch | |
| die Kurden eingehegt würden. | |
| Mit den Amerikanern ist [3][angesichts ihres irrlichternden Präsidenten] | |
| nicht zu rechnen. Sie sind ja auch 10.000 Kilometer entfernt, im Gegensatz | |
| zu Europa, das für Geflüchtete und IS-Kämpfer in Reichweite liegt. Es kommt | |
| deshalb auf die Europäer an, die schnellstens eine „Koalition der | |
| Weitsichtigen“ bilden sollten. Staaten, die als Teil der Anti-IS-Allianz | |
| bereits militärisch präsent sind, darunter Frankreich, Deutschland und | |
| Großbritannien, müssten ihrem Nato-Partner Türkei die Kontrolle der | |
| geplanten Pufferzone anbieten. Europäische Soldaten wären in Syriens | |
| Nordosten willkommen – die Kurden fühlten sich geschützt, die YPG wären | |
| bereit zum Rückzug, ihre Partei PYD ließe sich zu mehr „good governance“ | |
| bewegen: Mehr Meinungsfreiheit, Raum auch für andere Akteure. | |
| So etwas nennt sich Vision. Etwas, wozu Europa im Syrien-Konflikt bislang | |
| nicht fähig war. Jetzt bietet sich eine letzte Chance. Ankara versteht die | |
| Waffenruhe nicht als Ende, sondern Unterbrechung seiner Offensive. Sollte | |
| Erdoğan mit Hilfe seiner Islamisten-Söldner das Grenzgebiet besetzen, wäre | |
| die Region verloren – für die Kurden, für die syrische Zivilgesellschaft | |
| und für Europa. | |
| 18 Oct 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Waffenruhe-in-Nordsyrien/!5634550 | |
| [2] /Offensive-der-Tuerkei-in-Nordsyrien/!5629653 | |
| [3] /Streit-um-Syrien-Politik-der-USA/!5634355 | |
| ## AUTOREN | |
| Kristin Helberg | |
| ## TAGS | |
| Rojava | |
| Schwerpunkt Syrien | |
| Schwerpunkt Türkei | |
| Türkei | |
| Lesestück Meinung und Analyse | |
| Kolumne Orient Express | |
| Türkei | |
| Kurden | |
| Schwerpunkt Syrien | |
| Türkei | |
| Schwerpunkt Fridays For Future | |
| Mike Pence | |
| taz.gazete | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Situation der Kurden: 30 Millionen Menschen suchen Platz | |
| Deutschland muss auf die Kurd*innen in Rojava setzen. Denn sie sind es, die | |
| im Nahen Osten für die Werte des Westens kämpfen. | |
| Waffenruhe in Nordsyrien: Kurdenmiliz zieht sich zurück | |
| Während der Kampfpause verlassen kurdische YPG-Milizen das Gebiet, | |
| US-Truppen ziehen in den Irak weiter. Erdoğan reist für Gespräche am | |
| Dienstag nach Russland. | |
| Kämpfe in Nordysrien: Türkei und Kurden fordern Abzug | |
| Die Türkei möchte Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge nach Syrien | |
| zurückbringen. Doch die dürften sich kaum der syrischen Armee anvertrauen | |
| wollen. | |
| Kölner Demo gegen Einmarsch in Syrien: „Wir alle sind bei Ihnen“ | |
| In Köln gehen über 10.000 Menschen gegen die türkische Militäroffensive auf | |
| die Straße. Die Polizei hatte zuvor ein Demonstrationsverbot geprüft. | |
| Bundestags-Experten zum Türkei-Angriff: Eindeutig völkerrechtswidrig | |
| Für den Wissenschaftlichen Dienst ist klar: Erdogan bricht mit dem Angriff | |
| auf Nordsyrien Völkerrecht. Die Nato müsse der Türkei nicht beistehen. | |
| Konflikt in Syrien: Türkei bricht Waffenruhe | |
| Bei Bombardements eines syrischen Dorfes durch die türkische Luftwaffe | |
| sollen fünf Zivilisten getötet worden sein. Das berichten Aktivisten. | |
| „Waffenruhe“ in Nordsyrien: Diplomatischer Sieg für Erdogan | |
| USA und Türkei einigen sich auf fünf Tage Waffenruhe: Die Türkei bekommt, | |
| was sie wollte. US-Präsident Trump prahlt, die Kurden gehen leer aus. | |
| PYD-Sprecher Salih Muslim im Interview: „Die Türkei und Syrien werden aufein… | |
| Der PYD-Sprecher Salih Muslim im Gespräch über den Einmarsch der Türkei in | |
| Syrien, die Einigung der SDF mit der syrischen Regierung und die | |
| IS-Gefängnisse. |