| # taz.de -- Präsidentschaftswahl in Afghanistan: Größere Anschläge bleiben … | |
| > Die Wahl in Afghanistan geht ohne die befürchtete schwere Gewalt über die | |
| > Bühne. Es deutet alles auf eine äußerst niedrige Wahlbeteiligung hin. | |
| Bild: Wenig zu zählen? Mitarbeiterinnen der Wahlkommission in Kabul | |
| Die erste Runde von Afghanistans vierter Präsidentschaftswahl seit dem | |
| Sturz der Taliban 2001 ging am Samstag ohne die befürchtete schwere Gewalt | |
| zu Ende. Aber gleichzeitig deutet alles darauf hin, dass die | |
| Wahlbeteiligung so niedrig wie nie war – sie lag bisher immer zwischen 5,7 | |
| und 8,0 Millionen, wenn auch diese Angaben mit Sicherheit frisiert waren. | |
| Selbst die afghanische Wahlkommission, bekannt für ihre skurril | |
| widersprüchlichen Zahlenangaben, musste ihren ursprünglichen Optimismus von | |
| einer „sehr guten“ Wahlbeteiligung deutlich dämpfen. Sie teilte am Abend | |
| mit, dass „nicht mehr als zwei Millionen“ Menschen gewählt haben, von – | |
| wohl ebenfalls deutlich nach oben manipulierten – 9,7 Millionen | |
| registrierten Wählern, davon ein Drittel Frauen. | |
| Am gestrigen Samstagabend behauptete Kommissionschefin Hawa Alam Nuristani, | |
| in 98 Prozent aller Wahllokale hätten die biometrischen | |
| Wählererfassungsgeräte funktioniert, die Wahlbetrug verhindern sollen – | |
| obwohl aus vielen Provinzen das Gegenteil berichtet wurde. | |
| Die Kommandeure der afghanischen Streitkräfte gratulierten sich selbst, | |
| dass sie mit einer Ausnahme keine größeren Anschläge zugelassen hätten. Die | |
| Ausnahme war eine Explosion am Morgen in der Schah-Moschee der | |
| südafghanischen Großstadt Kandahar, ganze 200 Meter vom Gouverneurssitz | |
| entfernt. Eine Bombe war im Mehrab, der Gebetsnische, deponiert worden. Die | |
| Explosion verletzte 16 Menschen, einen Polizisten, Wahlhelfer und Wähler, | |
| drei davon schwer. | |
| ## Kein Grund für Optimismus | |
| Grund für den Optimismus der Kommandeure gibt es aber nicht. Auch wenn die | |
| größeren Vorfälle ausblieben: Bisher wurden für Samstag landesweit trotzdem | |
| etwa 400 Anschläge verzeichnet, bei denen mindestens drei Menschen getötet | |
| und 24 verletzt worden sein sollen. Die New York Times spricht sogar von | |
| zehn getöteten Zivilisten und 30 Sicherheitskräften; insgesamt 190 weitere | |
| Menschen seien verletzt worden. Das sind etwa doppelt so viele Anschläge | |
| wie bei der Parlamentswahl im vorigen Oktober, als es 54 Tote und hunderte | |
| Verletzte gab. | |
| Die Taliban brauchten aber offenbar keine großen Anschläge in den Städten, | |
| um die Menschen vom Wählen abzuhalten. Die Drohungen der Taliban, sich von | |
| den Wahllokalen fernzuhalten, an die Telefongesellschaften, ihre Signale | |
| abzuschalten, und landesweite Straßensperrungen scheinen schon genug | |
| gewesen zu sein. | |
| Die Telefongesellschaften können es sich nicht leisten, ihre jeweils etwa | |
| eine halbe Million Dollar kostenden „Rückgrat“-Sendemasten, die jeweils | |
| mehrere Provinzen abdecken, zu verlieren. Ein knappes Dutzend Provinzen war | |
| gestern unerreichbar; Telefon und Internet funktionierten die meiste Zeit | |
| nicht, so dass kaum etwas herausdrang. So zum Beispiel aus Kundus, dem | |
| ehemaligen Hauptstationierungsort der Bundeswehr in Afghanistan, wo von | |
| Mörser- und Raketenbeschuss direkt ins Stadtzentrum die Rede war. | |
| In der Südprovinz Sabul überrannten die Taliban das Distriktzentrum | |
| Schadschui direkt an der großen Überlandstraße Kabul-Kandahar und | |
| unterbrachen die Verbindungen zwischen beiden Städten. Die | |
| Regierungstruppen eroberten die Kleinstadt erst Samstagmittag zurück, aber | |
| zum Wählen war es dort dann wohl zu spät. | |
| ## Wahlzentren aus Sicherheitsgründen geschlossen | |
| Genaueres war aber nicht zu erfahren, denn nach der Rückeroberung brach | |
| auch dort die Telefonverbindung zusammen. Schadschui war nur ein Beispiel | |
| für die etwa 2.000 Wahlzentren landesweit – jeweils mit mindestens einem | |
| Wahllokal jeweils für Frauen und Männer, oft aber sogar im zweistelligen | |
| Bereich – die am Wahltag aus Sicherheitsgründen geschlossen blieben. | |
| Einige Analysten in Kabul wie Javid Hossaini vom Institute for Central Asia | |
| & Afghanistan gehen davon aus, dass die Taliban ein Signal an die | |
| Bevölkerung senden wollten, dass sie doch nicht so schlimm wie gedacht | |
| seien – indem sie auf größere Anschläge verzichteten. Außerdem könnte es | |
| auch ein Zeichen an Washington sein, dass eine Wiederaufnahme der Anfang | |
| des Monats von Trump für „tot“ erklärten Truppenabzugsgespräche möglich | |
| ist. | |
| Gewählt wurde fast nur in den großen Städten, aber auch dort war die | |
| Beteiligung gering. In der Herater Resa-Moschee warteten am Morgen 20 bis | |
| 30 Männer, aber danach bildete sich keine Schlange mehr – ein deutlicher | |
| Gegensatz zu früheren Wahlen. Am Abend hatte nur etwa ein Viertel der 6500 | |
| dort registrierten Frauen und Männer abgestimmt – und das in einem Viertel | |
| der schiitischen Hasara-Minderheit, die sonst extrem stark mobilisiert. In | |
| Kabul im zentralen Stadtteil Kala-ja Fathullah schloss am Nachmittag sogar | |
| ein Wahllokal mangels Wählern. | |
| Das ist Resultat weit verbreiteter Frustration über die gegenwärtige | |
| Regierung und ihre beiden Spitzen, Präsident Ashraf Ghani und | |
| Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, den beiden Hauptkandidaten. | |
| Ein Bauer in der Nordprovinz Tachar fasste für die taz diesen Teil des | |
| Meinungsspektrums zusammen: „Ich habe an der vorigen Wahl teilgenommen, | |
| aber ich fühle mich heute schuldig, damals abgestimmt zu haben.“ Nichts | |
| habe sich danach geändert. „Ich werde mich diesmal nicht wieder beteiligen, | |
| und habe das auch meiner Familie verboten.“ | |
| Sollte bei diesem ersten Wahlgang keiner der Kandidaten eine absolute | |
| Mehrheit erreicht haben, findet am 23. November eine Stichwahl statt. Am | |
| 19. Oktober soll das vorläufige Endergebnis bekanntgegeben werden – wenn | |
| die Wahlkommission das hinbekommt. | |
| 29 Sep 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Ruttig | |
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