# taz.de -- Wohnraum für Studierende: Studiwohnen extra teuer | |
> Die gemeinnützige Bürgermeister-Reuter-Stiftung vermietet | |
> Einzimmerwohnungen an Studierende. Die Mieten sind trotz | |
> Steuerbegünstigung hoch. | |
Bild: Wer neu in Berlin ist, landet vielleicht in einem der teuren Häuser von … | |
Nach einer langen und unergiebigen Internetsuche nach einem Zimmer in | |
Berlin stieß der Student B.* schließlich auf die Webseite „House of | |
Nations“. Er zog aus seinem Heimatland hierher, um an der TU zu studieren. | |
Wenige Klicks, eine Überweisung – und B. hatte ein Zimmer in einem Wohnheim | |
an der Alfred-Jung-Straße in Lichtenberg gebucht. | |
Nur: Er bezahlt dafür fast dreimal so viel wie Studierende in öffentlichen | |
Wohnheimen. Jetzt würde B. gerne ausziehen. Seinen Namen und seine Herkunft | |
möchte der Student nicht veröffentlichen, aus Angst, dass er dann aus dem | |
Wohnheim geworfen wird. | |
Wie B. geht es vielen: Besonders internationale Studierende, die neu nach | |
Berlin ziehen, sind vom unübersichtlichen Wohnungsmarkt überfordert. Die | |
Warteliste für Wohnheimzimmer des Studierendenwerks sind lang, ein privates | |
WG-Zimmer ohne Besichtigung zu mieten, ist riskant, und viele haben keine | |
Bekannten in Berlin. | |
An dieser Notlage setzt die gemeinnützige Bürgermeister-Reuter-Stiftung an: | |
Unter dem Namen „House of Nations“ vermietet sie möblierte | |
Einzimmerwohnungen in Wohnheimen an Student*innen und Praktikant*innen. | |
Über ein Onlineportal können Zimmer auch aus der Ferne reserviert werden. | |
## 70 Prozent des Einkommens für die Miete | |
Insgesamt gehören der Stiftung neun Wohnheime in Berlin. Das billigste | |
Zimmer ist 14 Quadratmeter groß und für 391 Euro warm zu haben. In der | |
Keithstraße in Charlottenburg liegen die Mieten für ein Appartement | |
zwischen 552 und 583 Euro. Am teuersten sind die | |
19-Quadratmeter-Appartements im frisch eröffneten Wohnheim in der | |
Alfred-Jung-Straße 12 für 685 Euro. B. bezahlt für sein | |
21-Quadratmeter-Zimmer 635 Euro – ein Bett, ein Tisch, eine Lampe, ein | |
Regal, ein Badezimmer und eine kleine Küche mit Ausstattung. | |
Waschen und Fernsehen sind nicht in der Miete inbegriffen. Wer kürzer als | |
sechs Monate mietet, bezahlt noch mehr, so wie ein ehemaliger Bewohner, der | |
während seines vierteljährigen Praktikums 695 Euro monatlich zahlte. Auf | |
der Webseite von House of Nations ist von „angemessenen Preisen“ die Rede. | |
Laut einer Studie des Deutschen Studentenwerks von 2016 verfügen | |
Studierende, die nicht bei ihren Eltern wohnen, in Berlin über rund 1.000 | |
Euro im Monat. Im Schnitt bezahlen sie 400 Euro und damit 32 Prozent ihres | |
Einkommens für die Miete, wie eine Studie des Instituts der deutschen | |
Wirtschaft aus dem Jahr 2019 zeigt. Wohnheimzimmer des Studierendenwerks | |
kosten durchschnittlich 241 Euro. Für ein Zimmer bei „House of Nations“ | |
müssen Studierende bis zu 70 Prozent ihres Einkommens aufwenden. | |
Die Bürgermeister-Reuter-Stiftung ist gemeinnützig und somit | |
steuerbegünstigt. Die Mietpreise bei House of Nations orientieren sich aber | |
am freien Berliner Wohnungsmarkt. Und liegen selbst da im oberen | |
Preissegment, wie eine Auswertung des Projekts Mietenwatch zeigt: | |
Vergleichbare möblierte Einzimmerwohnungen in Fennpfuhl, wo auch B. wohnt, | |
kosten rund 6 Euro weniger pro Quadratmeter als die Wohnungen im Wohnheim. | |
## Juristisch zulässig | |
Die traditionsreiche Stiftung wurde 1953 vom damaligen Regierenden | |
Bürgermeister Berlins, Ernst Reuter (SPD), gegründet, um Geflüchteten aus | |
der sowjetischen Besatzungszone zu helfen. Bis heute sitzen in Vorstand und | |
Aufsichtsrat bekannte Persönlichkeiten aus der Berliner Politik, etwa Frank | |
Bielka, ehemaliges Vorstandsmitglied der Degewo, die ehemalige | |
Senatsausländerbeauftragte Barbara John (CDU), die jetzt als Ombudsfrau für | |
die Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds aktiv ist, oder Detlef | |
Dzembritzki, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der SPD. Seit der Gründung | |
hat die Stiftung den gemeinnützigen Zweck verschoben, von der Hilfe für | |
Geflüchtete auf die Unterbringung von Student*innen. | |
Hochpreisige Wohnheime als gemeinnütziger Zweck – was widersprüchlich | |
klingt, ist juristisch zulässig, wie Rainer Hüttemann, Professor für | |
Steuerrecht an der Uni Bonn, erklärt: „Die Förderung der Studentenhilfe | |
zählt ebenso wie die Unterstützung wirtschaftlich bedürftiger Personen zu | |
den gemeinnützigen Zwecken. Deshalb werden Studentenwohnheime im Gesetz | |
ausdrücklich als Beispiel für steuerbegünstigte Betriebe genannt.“ | |
Die Preise der Wohnungen spielten dabei keine Rolle, müssen sich aber an | |
den Selbstkosten der Stiftung orientieren. Gewinne müssen in die Stiftung | |
zurückfließen und wieder für gemeinnützige Zwecke eingesetzt werden. Dass | |
die Stiftung mit der Arwon GmbH, die Immobilien verwaltet und zwei Hotels | |
führt, zudem noch ein profitorientiertes Unternehmen führt, sei auch | |
normal: Sie dürfe Vermögen anlegen, um den Stiftungsbetrieb | |
aufrechtzuerhalten. Auch da gelte: Die Einnahmen müssen gemeinnützigen | |
Zwecken zugutekommen – zum Beispiel dem Bau von weiteren | |
Studentenwohnheimen. | |
## „Teuer, dreckig und schlechter Service“ | |
„Wie jedes Unternehmen müssen auch wir wachsen“, sagt der Sprecher der | |
Stiftung, Heiko Zademach, auf Anfrage. Dass die Stiftung gemeinnützig ist, | |
heiße nicht, dass sie aus Idealismus handele. Die Mieten erscheinen | |
Zademach nicht zu hoch für Studierende: „Wir sind immer voll und haben | |
sogar Wartelisten“, sagt er. Außerdem biete man besonderen Service, wie zum | |
Beispiel den 24-Stunden-Concierge. | |
Doch der Service wird offenbar nicht von allen geschätzt. In den | |
Kommentaren auf der Facebook-Seite der Stiftung schreibt jemand: „Teuer, | |
dreckig und schlechter Service“, ein anderer: „Die Leute von der | |
Administration sind unfreundlich und helfen kaum. Die Internetverbindung | |
funktionierte fast nie.“ B. erzählt, dass er vom Concierge ermahnt worden | |
sei, nach 22 Uhr keinen Alkohol im Zimmer zu trinken. Ein ehemaliger | |
Bewohner berichtet, nach 22 Uhr dürfe nicht laut geredet werden. Zademach | |
hat von solchen Regeln keine Kenntnis. | |
Student B. verdient sich Geld für die teure Miete mit Nebenjobs zum | |
Studium. „Ich würde gerne ausziehen“, sagt er, „aber ich habe keine | |
Alternative.“ | |
15 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Anina Ritscher | |
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