| # taz.de -- Parlamentswahl in Polen: Das Erfolgsrezept der PiS | |
| > Die Nationalpopulisten werden wahrscheinlich wieder stärkste Kraft in | |
| > Polen. Auch in Kielce – einer Stadt in den abgehängten Gebieten an der | |
| > Ostgrenze. | |
| Bild: Wahlveranstaltung der PiS am 9. Oktober 2019 in Kielce | |
| Kielce taz | Das Wahlplakat fällt sofort ins Auge. Denn der Politiker Artur | |
| Gierada wirbt als lebensgroße Standfigur für seine Partei, die | |
| liberalkonservative Bürgerkoalition, und seinen Listenplatz Nr. 4. Doch er | |
| steht ohne Kopf da. Jemand hat die Figur aus Hartpappe geköpft. | |
| Zuzanna, die am nächsten Sonntag zum ersten Mal ihre Stimme abgeben darf, | |
| findet das lustig. Sie fotografiert den kopflosen Politiker auf der Brücke | |
| über die Silnica in Kielce. Dann ruft sie ihren Freund an, schickt ihm auch | |
| gleich das Bild und lacht: „Bei uns auf dem Dorf gibt es nur Plakate der | |
| Recht und Gerechtigkeit (PiS) und der Bauernpartei PSL. So was hier habe | |
| ich noch nie gesehen. Echt scharf!“ | |
| Die Sonne taucht die breite Fußgängerpromenade in ein warmes Licht. Das | |
| auch von hier aus sichtbare Schloss der Krakauer Bischöfe erinnert daran, | |
| dass das zentralpolnische Kielce einst als private Bischofs-Stadt gegründet | |
| wurde. | |
| Heute ist die 200.000-Einwohnerstadt zwischen Krakau und Warschau vor allem | |
| für seinen Fußballverein Kielce Korona bekannt. Außerdem ist die | |
| Heiligkreuz-Woiwodschaft mit ihrer Hauptstadt Kielce eine Hochburg der | |
| nationalpopulistischen Regierungspartei PiS. In manchen Dörfern wollen bis | |
| zu 90 Prozent der Wähler für die PiS stimmen. In der Stadt selbst sind es | |
| weniger, aber Wahlen werden in Polen von jeher auf dem Land gewonnen. | |
| ## In Dörfern unterwegs | |
| „Unser Erfolgsrezept?“, fragt Andrzej Prus, der PiS-Parteisekretär in der | |
| Heiligkreuz-Region, rhetorisch. „Wir reden mit den Leuten. Unsere | |
| Kandidaten fahren in die Dörfer. Und beim zweiten oder dritten Mal bringen | |
| sie Lösungen für die Probleme vor Ort mit.“ | |
| Dadurch überzeuge man die oft politikfernen Bauern davon, dass die Partei | |
| glaubwürdig sei und die Sorgen der Bürger ernst nehme. Die | |
| Heiligkreuz-Region gehört mit vier weiteren Woiwodschaften entlang der | |
| Grenze zu Litauen, Belarus und der Ukraine zur sogenannten Ostwand Polens, | |
| die auch oft abschätzig ‚Polen B‘ genannt wird. | |
| „Wir versuchen hier nicht nur, die Armut zu bekämpfen und die Wirtschaft so | |
| anzukurbeln, dass die Regionen zu ‚Polen A‘ aufschließen können. Vielmehr | |
| versuchen wir auch, den Menschen das Gefühl ihrer Würde zurückzugeben“, | |
| sagt Prus in der PiS-Parteizentrale an der IX-Jahrhunderte-Kielce-Allee. | |
| In Mniow, einer Gemeinde gut 30 Kilometer von Kielce entfernt, hat die | |
| PiS-Abgeordnete Anna Krupka zum Gespräch geladen. Im Korridor der | |
| Hauptschule, der zugleich als Versammlungsraum dient, sind niedrige | |
| Sportbänke aufgestellt. Von den über 9.000 Einwohnern, die sich über | |
| mehrere Dörfer verteilen, sind gerade einmal 35 gekommen. Sie hocken in | |
| Mänteln und Anoraks auf den Bänken und hören der eleganten Dame aus | |
| Warschau zu, die ihnen eine halbe Stunde lang darlegt, welche Erfolge die | |
| PiS-Regierung in den letzten vier Jahren zu verzeichnen hat. | |
| ## Neue Turnhalle | |
| Immer wieder einmal lässt die Vize-Tourismus- und Sportministerin | |
| einfließen, dass sie selbst dafür gesorgt habe, dass die Schule in Mniow | |
| eine Turnhalle für rund 500.000 Zlotys (120.000 Euro) bekommen habe. Dann | |
| fragt sie in die Runde: „Haben Sie vielleicht Fragen? Gibt es etwas, | |
| worüber Sie mit mir sprechen möchten oder wobei ich Ihnen vielleicht helfen | |
| kann?“ | |
| Die Bauern und Bäuerinnen sehen sich erstaunt an. Auf das plötzliche Ende | |
| des Vortrags sind sie nicht vorbereitet. Bleierne Stille füllt den Saal. | |
| „Ja“, reibt sich Krupka die Hände, „deshalb bin ich doch gekommen: um Ih… | |
| zuzuhören und mit Ihnen ins Gespräch zu kommen.“ | |
| Schließlich fragt ein Bauer nach der geplanten Kontrolle der Journalisten. | |
| Ein anderer will wissen, ob die PiS Richter, die sich der Justizreform | |
| entgegenstellten, nicht einfach hinter Gitter werfen könne. Krupka will | |
| sich nicht festlegen, verweist darauf, dass viele Zeitungen in Polen in | |
| deutscher Hand seien, was die PiS unbedingt ändern wolle. | |
| Dann herrscht wieder betretene Stille. Am Ende hat dann doch noch eine | |
| Mutter mit fünf Kindern ein persönliches Anliegen. Krupka nickt ihr dankbar | |
| zu und sagt zu den anderen: „Ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihr Kommen. | |
| Ich bitte Sie um Ihre Stimme am kommenden Sonntag“. Dann wendet sie sich | |
| der Jung-Rentnerin zu und fragt genauer nach, was sie für sie tun kann. | |
| ## Erst Kirche, dann Urne | |
| Die 19-jährige Zuzanna kommt auch aus der Großgemeinde Mniow. Doch weder | |
| sie noch jemand aus ihrer Familie haben an der Wahlveranstaltung | |
| teilgenommen. „Wir gehen alle am Sonntag nach der Kirche wählen“, sagt sie. | |
| „Für mich wird das ja das erste Mal sein. Das ist aufregend. Aber um | |
| ehrlich zu sein – ich interessiere mich nicht besonders für Politik und | |
| kenne mich gar nicht aus.“ | |
| So werde sie wohl genauso wie ihre Eltern und fast das ganze Dorf für die | |
| PiS stimmen. „Ende letzten Jahres haben wir schon den neuen Bürgermeister | |
| von Mniow gewählt, auch von der PiS. Der macht seine Arbeit gut, und auch | |
| die PiS-Regierung regiert gut“, ist sie überzeugt. | |
| Den „guten Wandel“ – ein Schlagwort der PiS – könne man jeden Tag im | |
| Fernsehen TVP verfolgen. „Das ewige Rumdiskutieren im Sejm ist ja nun Gott | |
| sei Dank vorbei. Die PiS macht einen Vorschlag , dann kann die Opposition | |
| kurz etwas dazu sagen, dann wird abgestimmt – und fertig.“ | |
| Sie lacht und macht noch ein paar Bilder vom geköpften | |
| Artur-Gierada-Standbild. Dass PiS-Anhänger hinter der Zerstörung von | |
| PO-Walplakaten stecken könnten, glaubt sie nicht. Gierada solle sich nicht | |
| so wichtig nehmen. Dass sein geköpftes Standbild auch in den Bäumen eines | |
| nahen Parks baumelte, sei ein dummer Jungenstreich. „Ich kann die Aufregung | |
| darüber gar nicht verstehen. Dieser ständige Hass auf die PiS kann einem | |
| wirklich auf die Nerven gehen.“ | |
| ## Intensive Diskussionen | |
| Auf dem St. Hubertus-Fest der Jäger in Kielce wird zwar keine Wahlwerbung | |
| gemacht, doch vor der Freiluftbühne des Waldstadions diskutieren die | |
| Kielcer intensiv über die bevorstehenden Wahlen. „Ohne das Kindergeld | |
| 500plus kämen wir gar nicht über die Runden“, sagt Maria Kowalska. „Die PO | |
| hat immer nur gesagt, dafür sei kein Geld im Haushalt. Aber kaum war die | |
| PiS an der Macht, war das Geld für uns plötzlich doch da.“ | |
| Ihre Nachbarin Anna Zielinska nickt: „Ja, die PiS ist die erste Partei, die | |
| sich für die Menschen interessiert und nicht nur Autobahnen bauen will. Ich | |
| hoffe, sie bleibt möglichst lange an der Macht.“ | |
| Während auf der Bühne ein Jäger vorführt, mit welchen Lock- und Pfeif-Tönen | |
| er Rotwild, aber auch Vögel und Wildschweine anlocken kann, um sie dann zu | |
| erlegen, stochert Zielinska immer lustloser in ihrem Pellkartoffel-Becher. | |
| „Gut, dass mein Mann eine Stelle bei den Polnischen Staatswäldern bekommen | |
| hat. Er ist dann auch gleich in die Partei eingetreten. Jetzt wollen wir | |
| ein Haus bauen.“ | |
| Der Expolizist Mariusz M., der dem Gespräch zwischen den Frauen | |
| unfreiwillig zugehört hat, schüttelt den Kopf: „Das größte Problem hier i… | |
| nicht die Armut, sondern der Mangel an attraktiven Arbeitsplätzen. Meine | |
| beiden Brüder und auch meine Tochter sind aus Kielce weggezogen. Krakau, | |
| Stettin und Warschau – da muss ich jetzt regelmäßig hinfahren.“ | |
| ## Wertschätzung erfahren | |
| Die PO habe die Mobilität der Bürger gefördert, ohne zu bedenken, dass | |
| ohnehin schon Zigtausende junge Polen nach ihrer Ausbildung von Ost- nach | |
| Westpolen oder sogar ins Ausland gezogen seien. „Das hat hier im Osten die | |
| Familien zerrissen“, so Mariusz M. Bei vielen habe sich der | |
| Minderwertigkeitskomplex verstärkt, nur ein Polska-B-Pole zu sein. | |
| Die PiS verspreche Arbeitsplätze vor Ort. „Die Leute stimmen in der | |
| Heiligkreuz-Woiwodschaft zu fast 60 Prozent für die PiS, weil sie das | |
| Gefühl haben, von den PiS-Politikern eine Wertschätzung zu erfahren, die | |
| bei den anderen Politikern fehlt.“ | |
| 13 Oct 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Gabriele Lesser | |
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