# taz.de -- TV-Reihe für Schicksalsgeschichten: Rentnerglück im ZDF | |
> Die ZDF-Reportagereihe „37°“ feiert Geburtstag. Früher waren die Filme | |
> der Reihe politischer. Heute setzt man auf vorstrukturierte | |
> Alltagsgeschichten. | |
Bild: Bei „37°“ werden ganz heiße Eisen angepackt: Rentner verbringen ihr… | |
Das ZDF hat das Image eines Seniorensenders, und insofern ist es | |
konsequent, dass die [1][Reportagereihe „37°“] gern die reife Zielgruppe | |
anvisiert: 2018 lief dort etwa „Rentnerglück am Goldstrand. Im Alter nach | |
Bulgarien“ und in diesem Frühjahr „Rente unter Palmen. Thailand und die | |
Suche nach dem Glück“. | |
Nun feiert „37°“ seinen 25. Geburtstag. Kein Wunder, dass der am Dienstag | |
zu sehende erste Film des Jubiläumsdreiteilers „Was uns bewegt“ wieder von | |
Menschen erzählt, die ihren Lebensabend anders verbringen als die meisten | |
ihrer Altersgenossen: „Bauernhof statt Altersheim – Alt werden zwischen | |
Hahn und Esel“ lautet der Titel. | |
„37°“ ist eine der zahlreichen TV-Reihen mit [2][Alltags- und | |
Schicksalsgeschichten]. Die Filme heißen etwa „Mein Mann, der Alkohol und | |
ich. Wenn die Liebe ertrinkt“. Dass Frauen von Alkoholismus nicht nur als | |
Kollateralopfer betroffen sind, zeigte „37°“ dann im Juni („Mein stiller | |
Freund. Wenn Frauen trinken“). Die Gleichförmigkeit der Titel – die | |
verwandten Formate „Menschen hautnah“(WDR) und „Echtes Leben“ (ARD) hab… | |
oft ähnliche – verweist auf überraschungsarmes Fernsehen. | |
Beim niedlich betitelten „37°“-Jubiläumsfilm „Bauernhof statt Altershei… | |
Alt werden zwischen Hahn und Esel“ mag man kaum noch von | |
Informationsfernsehen sprechen, der Film dient eher der Zerstreuung. | |
## Unglaubliches Reporterglück | |
Ähnliches gilt für „Schluss mit Überfluss – Von Minimalisten und | |
Konsumverweigerern“, den letzten Teil von „Was uns bewegt“ (22. Oktober): | |
Wir lernen eine „selbständige Osteopathin“ kennen, die einen Großteil ihr… | |
Besitzes weggegeben hat und nun ein „transportables Holzhäuschen“ sucht, | |
einen ehemaligen Golflehrer, der im Wald lebt – und eine alleinerziehende | |
Mutter, die „mehrere hundert Kleidungsstücke“ hat und diese auf 50 | |
reduzieren will. Probleme haben die Leute! | |
Die TV-Kritikerin Barbara Sichtermann hat in einer Kritik von „Die | |
Beginner“ – eine zweiteilige Doku über junge Menschen kurz nach ihrem | |
Schulabschluss – indirekt die großen Schwächen von„37°“ benannt: „Es… | |
diverse gute Mittel, Menschen in Lebenskrisen oder -übergängen zu zeigen“, | |
die „die Macher nicht zum Nachhelfen oder Hintenrum-Inszenieren nötigen“ | |
und bei denen „die Interviewten keine auswendig gelernten Sprüche aufsagen | |
müssen“. | |
Generell sieht man die Ergebnisse des „Nachhelfens“ in Szenen, in denen die | |
Protagonisten einen wichtigen Brief erhalten oder ein wichtiges Telefonat | |
führen – immer ist die Kamera dabei. Überraschung, was für ein | |
Reporterglück! | |
„Gute Mittel“ (Sichtermann) hatten sie bei „37°“ in der Frühphase dur… | |
„Am Anfang dominierte der Autorenfilm“, sagt Peter Arens, Leiter der | |
ZDF-Hauptredaktion Geschichte und Wissenschaft. Mittlerweile träten die | |
Autoren „hinter die Geschichten zurück, um deren Heldinnen und Helden in | |
den Mittelpunkt zu rücken“. Tatsächlich sind die „Heldinnen und Helden“ | |
aber nur Erfüllungsgehilfen für redaktionelle Konzepte. | |
Erfreulich, dass das ZDF zum Geburtstag zeigt, wie es anders ginge. In der | |
Nacht zu Mittwoch sind ältere „37°“-Filme zu sehen, darunter Hartmut | |
Schoens „Jenseits der Schamgrenze – Ein Mädchen wird nach Deutschland | |
verkauft“. Der gehörte 1994, im Startjahr von „37°“, zu dem Dreiteiler | |
„Grenzüberschreitungen“. Im Mittelpunkt eine 26-Jährige, die ihr Kind in | |
der Slowakei zurücklässt und in Deutschland als Prostituierte arbeitet. | |
Den bei heutigen Redakteur*innen verbreiteten Vorstellungen von | |
sympathischen Protagonist*innen entspricht sie eher nicht. „Jenseits der | |
Schamgrenze“ wirft auch ein Schlaglicht auf die Perspektivlosigkeit, die | |
damals in der Slowakei herrschte. [3][Heutige „37°“-Filme sind dagegen | |
unpolitisch.] | |
Der heute im fiktionalen Bereich arbeitende Schoen, der 1995 mit dem ersten | |
Teil der „Grenzüberschreitungen“ einen Grimme-Preis gewann, formuliert eine | |
Kritik am ZDF-Klassiker, die zum Zustand des dokumentarischen Fernsehens | |
oft zu hören ist: Autoren müssten ihre Filme „vorstrukturieren“, weil die | |
Redaktionen wissen wollten, was passieren wird und wie die Protagonisten | |
agieren werden. Schoens Fazit: „Die wahre Natur des dokumentarischen | |
Arbeitens“ gehe dabei „fast völlig verloren“. | |
8 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
René Martens | |
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