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# taz.de -- Das Fernsehjahr 2019: Haltung zeigen, TV!
> 2019 war ein schlechtes Fernsehjahr: Was Sender und Kreative jetzt ändern
> müssen, um nicht hinter die Realität im Land zurückzufallen.
Bild: Das Prinzenpaar Thorsten Neumann (l) und Axel Ladleif in Mönchengladbach…
2019 hat gute Chancen, als das unpolitischste Jahr seit Langem in die
TV-Geschichte einzugehen: Es geht um Filme und Serien – und um die
Enttäuschung darüber, dass es keine wirklich gesellschaftspolitisch
anspruchsvollen Stücke gegeben hat.
Wo sind Filme wie der NSU-Dreiteiler „Mitten in Deutschland“ (ARD, 2017),
[1][der aus drei Perspektiven versucht, die Geschehnisse zum NSU
aufzuarbeiten], „Der Andere. Eine Familiengeschichte“ (ZDF, 2016) zum Thema
Fremdenhass in unserer Gesellschaft oder „Operation Zucker“ (ARD, 2013)
über bandenmäßig organisierten Kindesmissbrauch?
Haben Sender wie Kreative Angst vor den großen Themen? Oder liegt es an der
Haltung, es reiche aus, dem Publikum komplexere Themen in eine
Krimihandlung verpackt zu präsentieren, damit es auch nicht zu viel wird
mit der schweren Kost?
Schließlich laufen Krimis einfach immer gut. Und eine gute Quote hat nach
wie vor viel zu viel Einfluss im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. In
Diskussionen fällt dann häufig auch der Satz: „Der Zuschauer möchte das
nicht.“ Aber ist diese Phrase nicht einfach etwas, hinter dem man sich gut
verstecken kann? Was heißt eigentlich, der Zuschauende möchte das nicht?
## Politische Jugend
Hat ihn oder sie in letzter Zeit einmal jemand gefragt? Und sollte es
tatsächlich so sein, müsste man ihm das, was er angeblich nicht sehen will,
nicht trotzdem zeigen? Hieß es nicht bis vor Kurzem auch noch, die jungen
Leute seien vollkommen unpolitisch und interessierten sich nur für Konsum
und Party? Und nun sind alle ganz überrascht, zu wie viel politischem
Diskurs unsere Jugend fähig ist.
Wenn man auf den Publikumspreis beim Fernsehfilmfestival Baden-Baden
schaut, zeigt sich, dass sich das Publikum doch recht häufig für
anspruchsvolle Filme und Stoffe entscheidet. [2][In diesem Jahr etwa ging
der Preis an einen Film über Kindesmisshandlung („Stumme Schreie“, ZDF).]
Aber was ist das eigentlich, ein „politischer Film“? Darf man ihn nur so
nennen, wenn es auch um Politik geht, oder ist ein Film schon dann
politisch, wenn er gesellschaftliche Gruppen zeigt, die es sonst nicht in
die 20.15 Uhr Prime Time schaffen?
Ich zum Beispiel würde gerne einmal eine Liebeskomödie sehen, in der nicht
das holde blonde Weib, oftmals Buchhändlerin, den
Arzt/Unternehmer/Rechtsanwalt oder Gärtner bekommt, sondern der eine Kerl
den andern Kerl – jeweiliger Beruf erst einmal egal. Und das Ganze nicht
als Problemfilm aufbereitet, sondern als normale Liebeskomödie mit all
ihren Verwicklungen und Missverständnissen.
## Diverse Gesellschaft
Auch heute, mehr als zwei Jahre nachdem – schon lange überfällig – die Ehe
für Alle eingeführt wurde, werden in sozialen Netzwerken Fotos von sich
küssenden Männern mit übelsten Hasskommentaren belegt. Damit wäre also auch
ein solcher Film ein starkes gesellschaftspolitisches Zeichen: Wir leben in
einer diversen Gesellschaft und das ist auch gut so.
In Deutschland hat rund jede vierte Person einen Migrationshintergrund. Bei
ZDF und ARD sieht man davon wenig. Gerade in Zeiten, in denen man versucht,
den über 10 Millionen Deutschen mit Migrationshintergrund ihre
Zugehörigkeit zu diesem Land abzusprechen, ist es notwendig, genau diese
Zugehörigkeit als das zu zeigen, was sie ist: deutsche Normalität. Aber
dafür muss man Position beziehen. Haltung zeigen. In den leichten wie in
den schweren Stoffen.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk genießt trotz aller Kritik immer noch
ein sehr hohes Maß an Glaubwürdigkeit. Aber wichtig für die
gesellschaftliche Akzeptanz ist hier eben auch die fiktionale Relevanz, und
die bemisst sich nicht – zumindest nicht hauptsächlich – nach der Quote,
sondern an einer qualitativ hochwertigen Umsetzung von gesellschaftlich
relevanten Themen. An der vor 40 Jahren zwar nicht selbst produzierten,
aber gegen viele Widerstände vom WDR ausgestrahlten Serie „Holocaust“ zeigt
sich, wie auch fiktionale Produktionen gesellschaftspolitische Diskurse von
weitreichender Bedeutung anstoßen können.
In ihrer Rede zum Hans Abich Preis beim Fernsehfilmfestival in Baden-Baden
brachte es die Regisseurin und Autorin Julia von Heinz auf den Punkt: „Wie
können wir sehenden Auges ein demokratisches Instrument, das uns von den
Alliierten aufgezwungen wurde und das wir heute nötiger brauchen denn je,
sterben lassen?“
25 Dec 2019
## LINKS
[1] /ARD-Spielfilmreihe-ueber-den-NSU/!5287204/
[2] https://www.zdf.de/filme/der-fernsehfilm-der-woche/stumme-schreie-100.html
## AUTOREN
Lucia Eskes
## TAGS
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