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# taz.de -- Der Hausbesuch: Das Dorf im Haus
> Die Künstlerin Inge Broska ist umgeben von Dingen aus ihrem alten
> Heimatort, der dem Tagebau Garzweiler weichen musste.
Bild: Bei Inge Broska in Hochneukirch
Ihr Heimatdorf Alt-Otzenrath in Nordrhein-Westfalen wurde für den
Braunkohleabbau weggebaggert, Inge Broska umgesiedelt. Für ihren Umzug
brauchte sie fast zwei Jahre. Sie nahm ihr eigenes Hausmuseum mit. Seit
2006 wohnen die heute 77-jährige Künstlerin und ihr Lebenspartner nun in
einem Jugendstilhaus im Nachbardorf Hochneukirch, umgeben von Kunstwerken
und unzähligen Erinnerungsstücken. Für die Erhaltung des Museums sucht
Broska Nachfolger*innen.
Draußen: Neben dem Hausmuseum ist das Gras hoch gewachsen, Inge Broska
freut sich, dass es so gelassen wurde. Nebenan ist ein Imbiss, wo sie sich
als Vegetarierin manchmal Chicken-Nuggets gönnt und mit Vorname begrüßt
wird. Vor der Tür hängen ein Schild mit dem Museumsprogramm und ein Bild
der Kinder, die sie regelmäßig besuchen und mit ihr basteln und malen. Der
Garten hinterm Haus ist wild: Beeren, Kräuter, Obstbäume. Stolz sei Broska
auf ihre Rosen, den Nussbaum und den 200 Jahre alten Grabstein vom Friedhof
von Alt-Otzenrath. Forken, Sensen und andere Gartenwerkzeuge, so wie eine
„Jötschklompe“ (ein Eimer mit langem Stiel zur Leerung der Jauchegrube),
und „Herzchentüren“ sind Teil der Sammlung.
Drinnen: Direkt neben der Eingangstür sind alte Türklinken und Teile von
Taubenschlägen. Eine Wand im Flur ist voller Bilder ihrer Besucher*innen.
Fast jeder Zentimeter des 800 Quadratmeter großen ehemaligen Pfarrhauses
samt blauem Badezimmer dient als Ausstellungsfläche für Haushaltsgeräte,
Grafiken, Fotografien und Wörter in fast ausgestorbenen Dialekten wie dem
„Utzerather Platt“. In der Küche hängen die Stroh-Schneebesen ihrer Oma,
Bierdeckel, Fleischwölfe. Dazu eigene Kunstobjekte: ein halbes Schwein,
Essen aus Keramik. Alte Waffel- und Bügeleisen stehen auf Fußbänkchen und
Porzellangeschirr in alten Schränken.
Eine Wand ist mit Katzen-Postkarten bedeckt. Im Esszimmer liegen grafische
Arbeiten auf dem Tisch oder hängen an Wänden. Im Wintergarten sind
Türschlösser, Tonbandkassetten, Werkzeuge, die sie mit Kindern aus Ton und
Gips gemacht hat. Im Wohnzimmer steht ein verstimmtes Piano, auf ihm
Stillleben und Jazz-Bilder. Jazz hört sie am liebsten. Vom Scherbenmuseum
im Keller führt das Treppenhaus voller Kuriositäten bis zum Dachboden.
Besucher*innen dürfen überall rein, alles anfassen, Fragen stellen.
Kindheit: Geboren wurde Inge Broska 1942 in einem Krankenhaus in
Mönchengladbach während eines Bombenalarms. Ihre Kindheit verbrachte sie in
einem Haus in Alt-Otzenrath, das der Großvater, ein Seidenweber, kaufte und
später der Mutter übergab. Auch ihre Oma und ihre älteren Geschwister
wohnten dort. Der Vater war im Krieg und kam erst Jahre später zurück. „Er
wollte mich erziehen, aber das habe ich nicht zugelassen“, sagt sie. „Meine
Mutter hat mir alles beigebracht, was ich kann.“ Sie war Hausfrau,
Buchhalterin und Feldarbeiterin, um die Familie zu ernähren. „Eine starke
Frau“, sagt sie. „Und eine exzellente Fotografin.“
Mamas Zimmer: Ihre absoluten Lieblingsstücke sind die Aufnahmen ihrer
Mutter. Sie habe das Leben in Alt-Otzenrath feinfühlig dokumentiert. Das
Zimmer, wo die Bilder ausgestellt sind, ist nach ihr benannt und wie alle
Zimmer voller Gegenstände. In leeren Räumen zu leben könne sie sich nicht
vorstellen. „Ich habe mein System“, sagt sie. Sie versuche thematisch alles
anzupassen, habe Spaß daran, Zusammenhänge zu finden und Sachen eine neue
Bedeutung zu schenken. Nur das Putzen und Aufräumen fände sie mit den
Jahren immer schwerer.
Eat-Art: Putzen war der schlimmste Job, den Broska ausgeübt habe. Als junge
Studentin habe sie das Geld gebraucht. Später machte sie daraus eine
Kunst-Performance mit dem Titel „Ich putze nicht“. Sie studierte
Bautechnik, jobbte, aber „irgendwann hatte ich es satt, nur mit Männern zu
arbeiten, und ging dann zu den Frauen“, sagt sie. „Da fing mein zweites
Leben an.“ Ihre Zeit als „wilde Performerin“ habe sie hinter sich, doch
viele Bilder ihrer Performance-Shows hängen auch im Haus.
Die Liebe: 1986 lernte sie den Kölner Künstler Hans-Jörg Tauchert kennen
und seitdem wohnen und arbeiten sie zusammen. Broska war Schülerin von
Künstlern wie Cestmir Janosek oder Daniel Spoerri, der sie in die Eat-Art
einführte. Obwohl sie „nur ein Suppen-Abitur“ gehabt habe. Ernährung wurde
zum Thema ihrer künstlichen Arbeit, so wie Tod, Grabkultur und Haushalt.
Die Finderin: Das Hausmuseum gründete Inge Broska 1992, als sie nach 20
Jahren mit ihrem Partner in ihr Heimatdorf zurückzog – weil sie von der
Zerstörung des Nachbardorfes Garzweiler hörte, das dem Braunkohletagebau
geopfert wurde. Schon als Kind hatte sie alles Mögliche aufbewahrt. Auch
heimlich, als ihre Mutter etwas wegwarf, habe sie es gerettet. Nach ihrem
Tod fand sie Kindheitsschätze in Kartons auf dem Speicher, die heute als
Teil des Museums der Öffentlichkeit zugänglich sind. „Ich sammele gar
nicht“, sagt Broska. „Ich finde.“
Woher ihre ganze Fundstücke stammen, wisse sie („muss ich ja“). Abgesehen
von ihren Familienerinnerungen habe sie vieles aus den Müllcontainern der
aufgelösten Haushalte in Alt-Otzenrath gefischt, anderes wie Kehrschaufeln
und -besen wurde zurückgelassen, wieder anderes bekam sie von den
Bewohner*innen. „Die haben mir einen Container geschenkt, damit ich alles
transportieren kann und etwas vom verschwundenen Dorf erhalten bleibt.“
Alt-Otzenrath: Zusammen mit dem Fotografen Sebastian Willke dokumentierte
Inge Broska in Bildern die Zerstörung ihres 800 Jahre alten Dorfes. 4 Jahre
lang dauerte das. Broska verarbeitete die Trauer auch mit Performances: Sie
lud zum Tee auf einen Baggerlöffel, interviewte Nachbar*innen. Sie habe
über den Ruinen der letzten Häuser gewacht und den Abriss angeschaut.
Abriss: Broska zeigt Fotos von der alten Dame mit kleinem Hund, die jeden
Tag mit ihr vor der Eingangstür saß und kurz nach der Umsiedlung starb („am
Ende waren wir nur zur zweit und unser Lachen schallte im ganzen Dorf“),
und dem Mann, der im Friedhof umgeben von Särgen wartet. Zwei
nebeneinandergestellte Bilder hätten die größte Symbolkraft: Links,
rennende Gänse und im Hintergrund eine weiße Staubwolke durch eine
Sprengung („der Bauer hat sich gerettet, weil er draußen bei den Gänsen
war“). Rechts, eine Reihe Keramikgänse vor einem Haus in dem neuen Ort
Otzenrath.
Braunkohletagebau: Ihr Heimatdorf war nur eins der über 50 Dörfer, die in
der Gegend zerstört wurden. „Der Bagger rückt immer näher und ist nicht nur
für alte Menschen, für die das Sterben ihres Dorfes mit dem eigenen Sterben
identisch ist, eine massive Bedrohung“, schrieb sie 1998. Der Satz ist bis
heute aktuell.
Das letzte Projekt: Inge Broska sucht Tag und Nacht eine Übernahme für das
Hausmuseum. Sie könne im Moment schwer schlafen, denn sie möchte, dass das
Hausmuseum so erhalten bleibt, wie es ist, und weiter als Ort der
Erinnerung, der Kunst und der Begegnung funktioniert. „Einige Institutionen
würden gerne das wichtigste Museumsinventar auslagern, aber das wäre das
Aus“, sagt sie. Und viele Privatleute wollten nur das „Juhrentschtiehl“,
wie sie das Haus nennen, doch keine Museumsverantwortung. Sie sammelt
Unterschriften und klopft an jede Tür. „Es soll hier weitergehen nach
meinem Ableben“, sagt Inge Broska. „Das ist mein Traum und mein letztes
großes Projekt.“
11 Oct 2019
## AUTOREN
Luciana Ferrando
## TAGS
Der Hausbesuch
Garzweiler
Schwerpunkt Ende Gelände!
Carola Rackete
Der Hausbesuch
Schwerpunkt Klimawandel
RWE
Braunkohle
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