Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Der Hausbesuch: „Es zählt, was man im Kopf hat“
> In Syrien half Bhzad Shakou anderen zu überleben, in der Wildnis und im
> Krieg. Nach seiner Flucht bietet er nun in Deutschland Survivaltrainings
> an.
Bild: Bhzad Shakou vor den Zelt im Strandbad Plötzensee, wo er lebt, weil er k…
Bhzad Shakou war schon einmal auf der Flucht. Aus Syrien, über das
Mittelmeer. Jetzt zeigt der 30-Jährige anderen, wie man einen Rucksack
packt, wenn man fliehen muss, bringt ihnen bei, wie man in der Natur
überlebt. Schon in Syrien beschäftigte ihn das Überleben, er hatte den
Rettungsschwimmerschein, war viel draußen unterwegs. Er war eine Art
Prepper, wie Leute genannt werden, die sich auf das Überleben im
Katastrophenfall vorbereiten. Seine Geschichte zeigt, dass nicht alle in
der Prepperszene Spinner sind.
Draußen: Bhzad Shakou wohnt mal hier und mal da. Zurzeit schlafen er und
seine Freundin in einem Wohnwagen am Plötzensee im Berliner Bezirk Mitte.
Es gibt einen Strand, eine Bar, ein Fußballfeld und einen FKK-Bereich. Ihm
gefalle es, „nur die vielen Mücken nerven“, sagt er. Ein kühler Wind weht,
vier Schwäne schwimmen im Wasser, in der Ferne krault ein Mensch.
Drinnen: Der Pächter des Strandbades, ein Holländer, überlässt Shakou
seinen Wohnwagen, wenn er nicht da ist. Shakou und seine Freundin schlafen
mal auf dem Sofa im Vorzelt, mal im Bett. Im Zelt ist Laminatboden
ausgelegt, an der Wand stehen Campingmöbel. Wenn Shakou und seine Freundin
nicht am Plötzensee übernachten können, kommen sie bei Freunden unter.
Kleiderschrank: Shakou zeigt auf ein rotes Auto, „das ist mein Schrank“. Es
parkt neben dem Toilettenhäuschen. Der Wagen gehört der Mutter seiner
Freundin, das Paar verstaut darin all seine Sachen. Bis zum Dach türmen
sich Kleidung, Plastiktüten und allerlei Gerümpel.
Zu zweit sein: Seine Freundin, mit der er seit einem Jahr zusammen ist, hat
er im Fitnessstudio kennengelernt. Mit ihr sucht Shakou eine
Zwei-Zimmer-Wohnung, seit sechs Monaten vergeblich. Jetzt im Herbst wird es
kalt im Zelt, vor allem seine Freundin friere, sagt er.
Kriegsbeginn: Shakou macht Kälte nicht viel aus. Er sei abgehärtet, da er
„viel erlebt“ habe, sagt er. In Syrien brach 2011 der Bürgerkrieg aus. „…
Krieg war eine Überraschung für alle“, sei aber am Anfang im Alltag nicht
spürbar gewesen. Shakou stammt aus Damaskus, er studierte
Computerwissenschaft in Aleppo. Als die Universität zerbombt wurde, brach
er das Studium ab und ging nach Damaskus zurück.
Herz und Kopf: Seine Eltern wollten, dass er das Land verlässt: „Sie haben
mich gezwungen zu gehen.“ Anfang 2013 lebte Shakou zunächst ein Jahr in
Ägypten, „Herz und Kopf waren aber immer in Syrien.“ Nachdem er sechs
Monate im Libanon verbracht hatte, ging er zurück nach Damaskus.
Hilfe leisten: In Syrien leitete Shakou Erste-Hilfe-Kurse und brachte
Leuten bei, wie man daheim Pflanzen anbaut und eine Gasmaske aus
Haushaltsutensilien herstellt. Er verteilte Hilfsgüter an Menschen, die
ihre Häuser im Bombenhagel verloren hatten. Außerdem war er zwei Monate in
einem syrischen Gefängnis. Er will nicht mehr dazu sagen, auch aus Sorge um
seine Familie. „Ich bin nur einer von vielen Millionen, alle haben
Schlimmes erlebt.“
Überleben: Im Wald ist Shakou immer gerne gewesen. Dort hat er sich
beigebracht, was es zum Überleben in der Wildnis braucht. Im Verein „Syrian
Exploration and Documentation Society“, den er eine Zeit lang leitete,
machte er Wanderungen mit Gleichgesinnten in unbekanntes Terrain, um es zu
dokumentieren. Shakou ist muskulös, hat große Hände. Er treibt gerne Sport
und fährt viel mit dem Rad. In Syrien kletterte er an Felsvorsprüngen ohne
Sicherung, „verrückte Sachen eben“. Shakou ist ein Typ, der gern rausgeht,
gern anpackt.
Alltag im Krieg: Der Krieg war eine „sehr starke Zeit, weil man anfängt,
Freunde, Nachbarn und Familie zu verlieren“, sagt er. Den Eltern in
Damaskus gehe es gut, sie leben mit seinen zwei Schwestern in einer Gegend,
die vom Krieg weitestgehend verschont wurde. Andere im Familienkreis hatten
weniger Glück und verloren ihre Häuser: „Das passiert“, winkt er ab, „an
Krieg gewöhnt man sich schnell“. Shakous Bruder wohnt mit seiner Frau auch
in Berlin.
Flucht: Shakou wollte nicht zum Militär, „ich konnte keine Waffe in die
Hand nehmen und töten“. Deshalb musste er 2015 endgültig aus Syrien weg. 26
Jahre alt war Shakou, als er sich in der Türkei mit Freunden traf, um mit
ihnen über das Mittelmeer nach Griechenland zu kommen. Ihm vertrauten sie,
weil er Rettungsschwimmer war. In seinem Rucksack hatte er eine
Rettungsdecke, Seile, ein Messer, Feuerstahl und einen Spiegel. In einer
kleinen Bauchtasche, die er heute als Erinnerung trägt, war sein Geld.
„Erfahrung ist mehr wert als teure Werkzeuge“, sagt Shakou. Es zähle, „w…
man im Kopf hat und nicht in der Tasche.“ Erst: Flucht nach Österreich.
Dann: Berlin.
Überlebenskette: Um seinen Hals hängt eine schwarze Gebetskette, die er
auch bei seiner Flucht trug. In Mazedonien und Zypern nutzte er die Kugeln
an der Schnur zum Zählen von Distanzen. Nach 100 Schritten schob Shakou
eine Perle des einen Endes nach oben: 100 Meter. Nach zehn Stück, bei einem
Kilometer angelangt, setzte er eine Perle des anderes Endes um – und fing
von vorne an.
Im Heim: In Berlin lebte Shakou zunächst in einem Erstaufnahmezentrum in
Spandau. Bevor die Behörden seinen Asylantrag bestätigten, durfte er keinen
Job annehmen. Er spricht Arabisch und Englisch und arbeitete anfangs als
Dolmetscher im Heim. Irgendwann wurde ihm der Lageralltag zu viel, er
demonstrierte mit 60 anderen gegen die Zustände.
Zweite Familie: Eine Frau, die im Geflüchtetenheim half, nahm ihn nach den
Protesten bei sich in Lichtenberg auf. Sie, ihr Mann und ihre zwei Kinder
„wurden zu meiner zweiten Familie“, sagt Shakou. Er sei stolz darauf, weil
es sich bei ihnen anfühle wie zu Hause. In Ägypten sei er allein gewesen,
in Deutschland nicht. Nachdem er Asyl bekam, besuchte er Deutschkurse,
schaute Lehrfilme auf YouTube, machte erst das B1-, dann das
B2-Sprachzertifikat. Momentan besucht er einen C1-Kurs. Shakou hat Deutsch
im Alltag gelernt, im Kontakt mit seiner Lichtenberger Familie, mit
Freunden, Freundinnen. Er spricht Deutsch jetzt nahezu perfekt.
Neu anfangen: Shakou machte in Berlin zunächst eine Ausbildung im
Büromanagement: Sechs Monate dauerte die, er hatte gute Noten, allerdings
sprang dabei wenig Geld heraus. Dann lernte er über Bekannte einen
Rettungsführer kennen, der in Berlin und Brandenburg Survival- und
Preppingkurse anbietet. Sein Ding. Das verbindet ihn mit seinem früheren
Leben.
Erfahrung vermitteln: Heute ist Shakou Überlebenstrainer. „Mein Hobby“,
erzählt er, „ist zu meinem Beruf geworden.“ Am meisten Spaß mache es ihm,
die Fähigkeiten, die er auf der Flucht gebraucht habe, anderen zu
vermitteln. Alle seien gespannt, wenn er Geschichten erzähle – die
Neugierde spiegele sich in den Augen der Leute, die teilnehmen.
Survivaltraining: Die Gebetskette, die er um den Hals trägt, zeigt er in
jedem Kurs. Auch die Bauchtasche, die er bei seiner Flucht bei sich hatte.
Wenn Shakou erklärt, auf was es beim Überleben in der Wildnis ankommt,
zählt er sieben Sachen auf: Feuer, Unterkunft, Orientierung, Wasser,
Nahrung, Rettung und Versorgung. In Syrien ist die Natur vielerorts
unberührt, in Deutschland meist bekannt. Nichtsdestotrotz liebt er es, hier
in der Natur zu sein. „Prepping sollte jeder machen“, sagt Shakou. „In
Syrien haben viele ihr Leben verloren, weil sie nicht wussten, was zu tun
ist im Notfall.“
Ein Auskommen haben: Weil das Geld, das die Survivalkurse einbringen, nicht
ausreicht, arbeitet Shakou zudem als Rettungsschwimmer am Plötzensee.
Manchmal packt er auch bei Renovierungen mit an, hin und wieder erledigt er
Büroarbeiten oder hilft beim Catering. Was die Zukunft angeht, will er sich
nicht festlegen: „Ich habe schon Pläne, aber ich mache mich nicht
abhängig.“
1 Nov 2019
## AUTOREN
Simon Schwarz
## TAGS
Der Hausbesuch
Fluchtrouten
Wohnungslosigkeit
Schwerpunkt Flucht
Kunst Berlin
Der Hausbesuch
Zwillinge
Der Hausbesuch
Der Hausbesuch
## ARTIKEL ZUM THEMA
Der Hausbesuch: Dunkelblau und Rosagold
Anne-Marie Mormon hat sich schon als Kind in Surinam vom Zauber der
Glasperlen einfangen lassen. In Berlin hat sie daraus einen Erwerb gemacht.
Der Hausbesuch: Alles mit Blumen
Ohne die Maueröffnung hätte Katrin Stein niemals ihren Traumberuf lernen
können: Floristik. Sie meint echte Blumenkunst, nicht die aus Plastik.
Der Hausbesuch: Gemeinsam eigen
Jasmin und Evelyn schwanken zwischen dem Gemeinsamen, dem Eigenen und dem
Bereich dazwischen. Sie sind eineiige Zwillinge.
Der Hausbesuch: Das Dorf im Haus
Die Künstlerin Inge Broska ist umgeben von Dingen aus ihrem alten
Heimatort, der dem Tagebau Garzweiler weichen musste.
Der Hausbesuch: Der Hund rettete ihr Leben
Hedi Menge lernte Steno und assistierte Bürgermeistern. Weil sie
Contergan-geschädigt ist, ist sie auf ihren Assistenzhund Bobby angewiesen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.