# taz.de -- Der Hausbesuch: Dunkelblau und Rosagold | |
> Anne-Marie Mormon hat sich schon als Kind in Surinam vom Zauber der | |
> Glasperlen einfangen lassen. In Berlin hat sie daraus einen Erwerb | |
> gemacht. | |
Bild: Anne-Marie Mormon liebt Glasperlen und stellt sie selbst auch her | |
Wo man Wurzeln schlägt, ist immer ein Geheimnis. Anne-Marie Mormon kam von | |
Surinam über Amsterdam nach Berlin und blieb. | |
Draußen: Erst war das Gebäude in der Finckensteinallee in Lichterfelde im | |
Süden Berlins die zentrale Kadettenanstalt der Preußischen Armee. Später | |
nutzten die Nazis es militärisch Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die | |
US-Armee die gesamte Kasernenanlage übernommen. Heute befindet sich das | |
Bundesarchiv hier. Auf einem Zaun direkt daneben steht „Herzlich | |
willkommen“. Gemeint sind die Geflüchteten der Gemeinschaftsunterkunft | |
dahinter. Gegenüber wohnt Anne-Marie Mormon in einer Zweizimmerwohung in | |
einer alten Villa. | |
Drinnen: Auf dem Arbeitstisch im Wohnzimmer liegen farbige Glasstäbe und | |
kleine Scherben von zerbrochenen Flaschen wie auch Werkzeug. In den Regalen | |
stapeln sich Zeitschriften über Glasperlenherstellung, Mode und Schmuck. In | |
diesem Zimmer brennt die Flamme der Glaskünstlerin mehrmals am Tag. | |
Glas und Feuer: Mormon setzt sich die Schutzbrille auf und nimmt am Tisch | |
Platz. Auf der Arbeitsplatte ist der Perlenbrenner befestigt, befeuert mit | |
Gas. Anne-Marie Mormon dreht das Ventil des Brenners auf, das Feuer zischt | |
hervor. Sie nimmt einen blauen Glasstab und erhitzt die Spitze bei 1.200 | |
Grad, bis das Glas glüht und weich wird. „Man muss vorsichtig anfangen“, | |
sagt sie und wickelt das bereits angeschmolzene Glasstäbchen um einen | |
speziellen Dorn. Innerhalb weniger Minuten entsteht eine Spirale aus Glas. | |
Fertig. Mormon knipst den Brenner aus, steht auf und legt die neue Perle in | |
einen Kühlofen. „Vom Perlendrehen krieg ich nie genug“, sagt sie. | |
Glas in allen Varianten: Muranoglas ist ihr am liebsten. Mormon verwendet | |
zudem gern Glas mit Silber. Einfaches Glas wie das von Sektflaschen eignet | |
sich für ihren Schmuck auch. „Es muss nur eine schöne Farbe haben – | |
dunkelblau, rosagold.“ Aus der feinen türkisfarbenen Glasvase, die vor ihr | |
auf dem Tisch steht, wird sie ebenfalls Perlen drehen. Ab und zu stellen | |
die Nachbarn vor ihrer Haustür auch Flaschen ab. | |
Surinam: Anne-Marie Mormon ist 1953 in Surinam geboren. Das kleine Land an | |
der Nordostküste Südamerikas ist für seine Fußballer bekannt. Die | |
niederländischen Superstars Edgar Davids, Patrick Kluivert und Frank | |
Rijkaard stammen aus der ehemaligen niederländischen Kolonie. Erst 1973 | |
wurde Surinam unabhängig. Anne-Marie hat mitgefeiert damals, aber nicht | |
mehr als ein Jahr in der unabhängigen Heimat gelebt. Sie folgte den | |
holländischen Spuren und zog nach Amsterdam. Dort wohnte ihre Cousine. | |
Damals und heute: „Ich mochte es in der Kolonialzeit nie, wenn die | |
niederländische Königin zu uns kam und alle auf der Straße standen und sie | |
begrüßten“, sagt sie. „Aber wenn ich es von heute aus betrachte, hat die | |
niederländische Königin Surinam mehr geliebt, als es die jetzige Regierung | |
tut, die die eigene Bevölkerung beraubt und terrorisiert.“ Als junges | |
Mädchen konnte sie in Surinam allein durch die Stadt laufen, heute wäre das | |
viel zu unsicher. „Aber ich denke trotzdem nicht, dass es für Surinam | |
besser wäre, wenn das Land unter der Kolonialherrschaft geblieben wäre. Das | |
ist Quatsch, von dem einige Menschen dort noch träumen.“ | |
Berlin: In Amsterdam machte Mormon eine Lehre als Bankkauffrau, aber lange | |
dort gehalten hat es sie nicht. Sie wollte weg, nach Berlin. Erst kam sie | |
an den Wochenenden, dann immer mal wieder für länger, und schließlich ganz. | |
„Ich weiß nicht mehr genau, seit wann ich in Berlin bin, aber das 25. | |
Jubiläum habe ich schon gefeiert“, sagt sie. Sie lernte ihren Mann hier | |
kennen. Die Atmosphäre in der Stadt inspirierte sie, ihre Begeisterung für | |
Perlen zum Beruf zu machen. „Meine Oma und meine Mutter haben Perlen | |
getragen, meine Cousine in Amsterdam hatte Körbe voll davon und ich auch.“ | |
Ihr damaliger Mann habe ihr einmal zu Weihnachten einen Gutschein für einen | |
Workshop über das Perlenmachen geschenkt. „Das war der Anfang.“ | |
Polterabend: Plötzlich kommt ein junger Mann ins Zimmer, er ist Anfang 30, | |
trägt einen dunkelblauen Anzug und einen weißen Hut. „Wow, du hast dich | |
echt schick gemacht, mein Sohn“, sagt Mormon und schaut ihn bewundernd an. | |
Er wolle zu einem Polterabend, erzählt er und fragt, ob seine Mutter | |
Geschirr für ihn hat zum Zerschlagen, „es muss kein Muranoglas sein“. | |
Der Sohn: Guilleaume ist in Berlin geboren. Jetzt wohnt er in einer WG in | |
Neukölln. Dort sei mehr Multikulti als im Bezirk, wo die Mutter wohnt. Im | |
Geburtsland seiner Mutter war er zuletzt, als er sechs Jahre alt war. Er | |
kenne Surinam nicht, „aber an Weihnachten fliegen wir dorthin“. Wie die | |
Stars aus Surinam spielte er Fußball. Heute leitet er ein Start-up und die | |
Jugendabteilung eines Fußballvereins. Er überlegt, ob er später in die | |
Politik gehen soll. „Wenn, dann in die Kommunalpolitik, weil ich da | |
kurzfristig Dinge verändern und schneller Einfluss nehmen kann und näher an | |
den Leuten dran bin“, sagt er. Was ihn aber abschreckt: „Dass es wenige | |
Politiker gibt, die in mir Gefühle wecken und mich von ihren Ideen | |
überzeugen können.“ So einer will er nicht werden. | |
Schwarze Deutsche: Guilleaume meidet die komischen Blicke der Menschen, | |
wenn sie ihn fragen, woher er kommt. „Meine Mutter ist aus Surinam, mein | |
Vater war Deutscher, und ich bin ein Schwarzer Deutscher“, sagt er. Für | |
seine Mutter ist die Hautfarbe kein Thema. Vor allem ältere Menschen in | |
Lichterfelde seien sehr freundlich zu ihr. „Da früher hier viele | |
amerikanische Soldaten waren, sind Menschen mit dunkler Haut hier keine | |
Exoten.“ Einmal aber wurde sie auf der Straße angegriffen, ein Mann habe | |
sie gepackt, seine dabeistehenden Freunde amüsierten sich. „Ich konnte mich | |
verteidigen und habe sie gewarnt, sie sollen in Zukunft großen Abstand | |
halten von mir“, erzählt sie. | |
Das Flüchtlingsheim: Als vor zwei Jahren das Flüchtlingsheim vor ihrer | |
Haustür entstand, begegnete sie auf ihrem Heimweg häufiger besoffenen | |
Männern. Seit das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk die | |
Gemeinschaftsunterkunft übernommen hat, habe sich die Situation verändert. | |
„Viele Menschen haben nun Beschäftigung, sie begrüßen mich höflich, Kinder | |
gehen in die Schule und sprechen sehr gut Deutsch.“ Guilleaume hat dafür | |
eine Erklärung: „Integration findet erst statt, wenn die Menschen unter | |
andere Menschen gehen und nicht isoliert bleiben“. | |
Koralle: Während Anne-Marie Mormon erzählt, spielt sie mit der Koralle, die | |
um ihren Hals hängt. Das flammend orange Perlenunikat ist ihr | |
Lieblingsschmuckstück. Es bekümmert sie, dass die Schönheit aus dem Meer in | |
Gefahr ist. Mit ihrem Schmuck will Anne-Marie auf das dramatische | |
Korallensterben aufmerksam machen. | |
Feuer und Liebe: Die rote Ixora-Blume, die Hindus irgendwann aus Indien | |
nach Surinam brachten, ist die Nationalblume des Landes. Dort wird sie Faja | |
lobi genannt – Feuer und Liebe. Die Blüten und Wurzeln dieser Blume werden | |
als Heilmittel genutzt. „Faja lobi“ heißt auch die Glasschmuckproduktion | |
von Mormon. Ihre Perlen sollen, wie die Blume, die Menschen heilen und | |
ihnen Glück und Liebe bringen. | |
18 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Tigran Petrosyan | |
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