Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Mummenschanz der Panscher
> Das Ehrenamt gilt als ehrbare Tätigkeit selbstloser und uneigennütziger
> Menschen. Vollkommen zu Unrecht! Nichts davon ist wahr!
Das Ehrenamt – überall wird jetzt wieder dafür Werbung gemacht. „Schnell
noch ein Ehrenamt annehmen!“ – „Na, heute schon wen geehrt?“ – „Ehr…
kann allerhand!“ – „Ehrenamt statt Ehrenmord!“ Mit solchen und ähnlich
fadenscheinigen Marketingsprüchen versuchen Bundesregierung und Verbände
derzeit, noch mehr Menschen zu kostenlosen Hilfsdienstleistungen zu
überreden. Laut Allensbach gab es in Deutschland allein 2018 etwa 15,98
Millionen hauptberuflich Ehrenamtliche, Tendenz steigend – und täglich
werden sie ehrenvoller.
Ehrenamt, das hört sich erst mal famos an. Vor unserem geistigen Auge sehen
wir mutige Ehrenmänner Elbhochwasser wegschippern, sehen wir tapfere
Sozialarbeiter in Suppenküchen den dritten Aufguss der Nudelsuppe
zusammenpanschen, sehen Jugendliche den Senioren im Altersheim die
romantischsten Stellen aus „Mein Kampf“ vorlesen. Die Aureole einer
besseren Menschheit umglüht jene, die ihre ohnehin knapp bemessene Freizeit
dem Gemeinwohl widmen, weder Lohnesgaben noch Dankeswort heischend, allein
aus Freude an der guten Tat. Viele Prominente engagieren sich ehrenamtlich:
So lässt sich Familie Maschmeyer gelegentlich mit Flüchtlingen
fotografieren, ohne dafür Honorar zu verlangen, und auch viele
Bundespolitiker beraten ehrenamtlich notleidende DAX-Konzerne, ohne dafür
mehr zu erwarten als eine Garantiestelle nach Dienstschluss.
Wirtschaftswissenschaftler vermuten, dass ohne das Ehrenamt Deutschland
sofort zusammenbrechen würde – so lange schon, so fest auch ist die Idee
unbezahlter Arbeit mit der Geschichte dieses Gemeinwesens verwoben. Im
Mittelalter verlangten die Feudalherren vom gemeinen Volk gratis Hand- und
Spanndienste, auch das Recht der ersten Nacht war Ehrensache; im Zweiten
Weltkrieg hingegen setzten die Nazis in zahlreichen Betrieben
Zwangsehrenamtliche ein, um die wichtigsten Branchen weiter versorgen zu
können. Dass viele dieser Ehrenämtler bis heute nicht von der
Bundesregierung anerkannt werden, ist sicher nur ihrer übergroßen
Bescheidenheit geschuldet!
## Triebe unterm Deckmantel
Doch sind Ehrenämtler wirklich die überirdisch pulsierenden
Leuchtstoffröhren, als die sie unter anderem im reißerischen Vorspann
dieses Artikels gezeichnet wurden? Die Realität sieht leider oft anders aus
als die Wirklichkeit! Hinter vorgehaltener Hand warnen Kenner der Materie
(Chemiker) vor einem spezifischen Typus Mensch, der unterm Deckmantel des
Ehrenamts ungebremst seine autoritären Triebe befriedigt: verschwitzte
Griesgrame in ausgewaschenen Karohemden, die für Pegida nicht charismatisch
genug waren und jetzt ihren kleingeistigen Manipulations- und Mitmischdrang
vermittelt über Gemeinwohlinitiativen im Ehrenamt ausleben – wo sie nach
Belieben drängeln und schikanieren können und dabei nicht nur keinerlei
gesellschaftliche Ächtung erfahren, sondern ihr unheilvolles Treiben sogar
noch als selbstlose Hingabe an die Gemeinschaft verhökern können.
Als fast genauso schlimm gilt der Typus der unausgelasteten
Besserverdiener, die ihre Nachmittage nicht nur dem Tageslichtalkoholismus
widmen, von der sozialen Ungleichheit nicht nur auf dem Bankkonto
profitieren, sondern sich förmlich darin wälzen wollen – denn nie empfindet
man den eigenen Wohlstand stärker, als wenn man zwei Stunden die Woche ein
paar Wohnungslosen beim Kampf um die letzte Packung Hüttenkäse zuschauen
kann.
Vielen wird in diesem Zusammenhang der Fall der Essener „Tafeln“ noch gut
vertraut sein, doch auch anderswo im Tafel-Universum werden Bittsteller
munter nach Hautfarbe sortiert, wird in genuin herrenmenschlicher Attitüde
entschieden, wer heute mit essbarem Müll nach Hause gehen darf und wer
nicht. Kaum hat jemand Ansprüche, kaum wagt eine alleinerziehende Mutter,
nach Birnen statt nach Äpfeln zu verlangen – schon darf sich die undankbare
Nuss hinten anstellen – und dem Ehrenamt noch Lob und Preis singen! Gott
spielen, das Elend verwalten, nach purer Willkür Menschen hungern lassen,
den Sozialkassen und riesigen Lebensmittelkonzernen beim Geld sparen helfen
– und sich bei alledem noch recht pudelwohl, ja als grundguter Mensch zu
fühlen, alles möglich dank Ehrenamt, hurra, hurra, hurra!
## Rumballern mit Weihen
Nirgendwo geht diese Kombination aus moralischer Selbstüberschätzung und
längst nicht nur struktureller Gewalt eine perfidere Symbiose ein als bei
dem Sauf- und Zündelverein „Freiwillige Feuerwehr“, einer Organisation, die
ideologisch und im Gewaltpotenzial in etwa der amerikanischen National
Rifle Organisation entspricht – nur dass bei der NRA niemand davon tönt,
beim Rumballern auch noch den höheren Weihen eines Ehrenamts genüge zu tun.
Dieser spezifisch deutsche Nachkriegswahnsinn, eine hochriskante
Spezialistentätigkeit von Hunderttausenden angelernten Bierdimpfeln und
latenten Pyromanen ausführen zu lassen, wird nur deswegen nicht gebührend
kritisiert, weil praktisch keine Gruppe schneller mit manifesten
Gewaltdrohungen bei der Hand ist – und weil es so wenig professionellen
Ersatz gibt. Tatsächlich ist nur ein verschwindend geringer Teil von
Brandbekämpfern in Berufsfeuerwehren organisiert. Laut Wikipedia gibt es in
Deutschland 1.082.858 Feuerwehrler, davon sind lediglich 27.603 (!)
Berufsbrandkämpfer. Zum Vergleich: Es gibt 237.700 Ärzte in Deutschland,
davon beträgt die Anzahl ungelernter Laien mit psychischen Problemen ca.
7.000 (eigene Schätzung).
Wer gegen diesen bizarren Mummenschanz aufbegehrt, wird jedoch sofort
mundtot gemacht – denn es handelt sich ja um ein Ehrenamt! Ehrenamt,
Ehrenamt – kaum ein Wort, das einen höhnischeren Klang erhält, als wenn
einem ein besoffener Halbwüchsiger mit dem Hochdruckschlauch die Küche
zerlegt, weil der Römertopf zehn Minuten zu lang im Ofen war – und für
diesen geheiligten Vandalismus auch noch eine Rechnung über vierstellige
Beträge schicken darf!
Kein Wunder, dass alle drauf abfahren: Der Staat spart Geld in der
allgemeinen Fürsorge, kann sich aus noch mehr Lebensbereichen zurückziehen
und das Feld dilettierenden Zeigefingertypen mit Profilneurose überlassen
statt teuer ausgebildeten Fachkräften. Die Wirtschaft dankt es ebenfalls,
denn für die Fürsorge müsste sie ja Steuern zahlen – so kann sie einfach
den Restmüll vor die Tür stellen und vom Ehrenamt verteilen lassen.
Nein, kein Zweifel, das Ehrenamt ist systemnotwendig – umso wichtiger ist
es, es so schnell und so hart wie möglich zu bekämpfen. Schlagen Sie
Suppenköchen die Kelle aus der Hand! Drehen Sie Feuerwehren den Hahn ab!
Und hoffen Sie mit uns auf eine ehrenlose Zukunft.
5 Oct 2019
## AUTOREN
Leo Fischer
## TAGS
Ehrenamt
Tafel
Feuerwehr
Kapitalismuskritik
SPD
Norwegen
Innovation
Schwerpunkt Angela Merkel
Kommunikation
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Martyrium in Blech
Kaum benötigt man einen alltäglichen Gebrauchsgegenstand dringend, erlischt
das gleisnerische Konsumversprechen des Kapitalismus.
Die Wahrheit: Orgien der Selbstzerfleischung
Sechs Punkte, wie es mit der SPD doch noch klappen kann. Das sehr
persönliche Motivationsschreiben eines kritischen Freundes der Partei.
Die Wahrheit: Mit Facebook, ohne Nazis
Die Norwegen-Woche der Wahrheit: Das Buchmessengeheimnis 2019 ist gelüftet!
Jostein Gaarders neuer Roman hat den Titel „Sofies Welt II“.
Die Wahrheit: Sie finden … das war … Spitze!
Seit der legendären TV-Show „Dalli Dalli“ geht es in Deutschland
spitzenmäßig abwärts und das definitiv quer durch die Bank.
Die Wahrheit: Der Kanzlerin löchriges Altenteil
Die Wahrheit im Zeitstrahl: Was passiert mit Angela Merkel? Wohin strebt
sie, wenn sie mit allem und allen final durch ist?
Die Wahrheit: Mit Masern reden
Mediation ist das neue Ding. In Kursen können debattenfreudige Teilnehmer
trefflich lernen, gar keine eigene Meinung mehr zu haben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.